Über den „Produktionsstandort“ Berlin

/ B(i)ased in Berlin

2011:Aug // Thomas Eller

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07-2011











Es war so etwas wie die Urszene Klaus Wowereits, die ihn in einen Kulturpolitiker verwandelt hat – eine offizielle Reise nach New York – und statt auf seine drei Opernhäuser wurde der Regierende Bürgermeister auf die vielen in Berlin lebenden Künstler angesprochen, die alle Weltklasse wären! Zurück in Berlin musste er zu diesem Zeitpunkt vor fünf, sechs Jahren jede gefühlte zweite Woche in der FAZ in einem Artikel von Niklas Maak lesen, dass Berlin seine größten Söhne, wie zum Beispiel Thomas Demand oder Olafur Eliasson ignorierte und ihnen Museumsehren versagen würde. Spätestens die Ausstellung 36 × 27 × 10, die erfolgreich im Dezember 2005 im ehemaligen Palast der Republik stattfand, erzeugte in der ganzen Stadt das Gefühl, dass es notwendig sei, etwas für die in Berlin lebenden und arbeitenden Künstler zu tun. Statt sich damals zu fragen, was denn notwendig sei, oder gar wünschenswert, wurde der Ruf nach einem Ort zur Antwort. Statt also strukturell zu fragen, wurde institutionell entschieden: Eine (neue) Kunsthalle muss her!

Seitdem gibt es Dissens, um nicht Streit zu sagen, darüber, wie eine solche Kunsthalle denn auszusehen habe und was darin stattzufinden hätte. Und wen wundert es, dass sich seitdem jeder eine andere Kunsthalle wünscht? Je nach ästhetischem oder intellektuellem Interesse, je nach politischer Ausrichtung oder Szenezugehörigkeit, phantasiert sich jeder seine eigene Kunsthalle zurecht und weiß natürlich besser, was dort zu passieren habe. Als ästhetisch-soziale Begegnungsstätte wollten sie die einen sehen, und als Forschungslabor zwischen Kunst und Wissenschaft die anderen. Als Leuchtturm der besten Künstler, oder als Plattform für die vielen noch kaum bekannten wiederum andere … Haben sie nicht alle ein bisschen Recht? – Nein.

Die Märkte der zeitgenössischen Kunst sowie ihre Produktionsstätten sind in den letzten Jahren weltweit neu verortet worden. Innerhalb Deutschlands hat sich Berlin in den vergangenen 15 Jahren zu einem der wichtigsten Produktionsstandorte für bildende Kunst weltweit entwickelt und hat den Zenit der möglichen internationalen Aufmerksamkeit erreicht, wenn nicht überschritten. Der Hype ist vorbei. In derselben Zeit hat sich der Kunstmarkt in einem bisher nie dagewesenen Maße globalisiert. Neue Produktions- und Kunsthandelsstätten (z.B. Osteuropa, Naher Osten, Süd­ostasien) tauchten unvermittelt auf dem Radar junger Märkte auf und versuchen sich kulturell wie wirtschaftlich auf eine neu zu zeichnende Landkarte zu setzen.

Nicht zuletzt durch diese Entwicklung stehen Deutschland und Berlin vor der Herausforderung, sich zu diesen globalen Umstrukturierungen zu positionieren und auf kultureller Ebene auf vollkommen neue Weise zu konkurrieren. Die alte atlantische Achse der Kunstproduktion und -vermittlung wird multilateraler werden. Hilft es in einer solchen Situation weiter, Nabelschau in Berlin zu betreiben und zu ignorieren, dass die Strukturen, welche kulturelle Produktion bestimmen, auf vielfältige Weise mit den gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Bestrebungen vieler Weltregionen verwoben sind? – Kunst wird zwar lokal produziert, steht aber heute sofort in einer internationalen Konkurrenz um Bedeutung und Wertschätzung. – Wie bildet Berlin dieses Spannungsverhältnis strukturell und institutionell ab? Welche Antworten werden hier gefunden? – Eine Kunsthalle für Berliner Künstler?

Zu inhaltsfrei wurde in der Vergangenheit die Diskussion um den Zweck einer neuen Institution in Berlin geführt. Der bürgerliche Name, Kunsthalle, der ihr gegeben wurde, half auch nicht, eine zeitgemäße Profilierung zu finden. Es erscheint also fast wie ein Befreiungsschlag, dass vom Salon Populaire eine Diskussion über kulturpolitische Ziele in einem größeren Rahmen angestoßen wurde. Leider landete dieser Vorstoß sofort wieder in der schädlichen Melange von weltanschaulichen künstlerischen Entwürfen in Verquickung mit sozialpolitischen Forderungen einerseits. Andererseits verharrt sie in einer falschen Opposition, die in Kulturpolitik den Feind sieht, der künstlerische und kreative „Leistung“ zum Zwecke von Stadtmarketing benutzt, ohne entsprechende Lizenzgebühren dafür zu bezahlen. Deswegen wohl verweigert der Salon Populaire den Dialog, den die Senatsverwaltung angeboten hatte, um in dieser Position ihrer eigenen Klientel gegenüber glaubhaft zu bleiben. Es bleibt in gewisser Weise ein Rätsel, wie man gesellschaftliche Relevanz für den Bereich zeitgenössische Kunst einfordert und sich aber gleichzeitig nicht als Teil dieser Gemeinschaft sehen will, sondern größten Wert darauf legt, nicht „vereinnahmt zu werden“. Man kann dies nur als spätes Echo einer Avantgarde aus früheren, sehr viel konservativeren Zeiten verstehen und so beschleicht einen manchmal das Gefühl, dass die Gesellschaft in einigen Dingen sehr viel weiter ist, als es das Selbstbild mancher Kunstszene wahrhaben will.

Dennoch wurden mit „Haben und Brauchen“ einige wichtige Fragen angestoßen. Die Frage nach den „Produktions- und Präsentationsbedingungen von zeitgenössischer Kunst in Berlin” muss angesichts einer sich immer mehr diversifizierenden Vielfalt von Kunstbegriffen, die sich in den letzten 20 Jahren entwickelt hat, neu diskutiert werden. Kunst ist nicht mehr gleich Kunst. Die heute existierenden, unterschiedlichsten Praktiken in Kunstinstitutionen zu präsentieren, deren Formate wir aus dem 19. Jahrhundert geerbt haben, funktioniert nicht mehr. Um es zugespitzt zu sagen: Die Praxis hat schon längst die Idee „Kunsthalle“ gesprengt.

Interessant ist auch die These vom „Profit und Imagegewinn für die Stadt” (www.habenundbrauchen.de) durch die Kunst, weil sie den Wesenskern von Kunst berührt. Es geht, so legt die Formulierung nahe, um Geld und symbolische Werte. Und in der Tat besteht auch jedes Kunstwerk (dieser Begriff beinhaltet alle denkbaren Kunstbegriffe, also auch immaterielle, ephemere Werke und Prozesse) schon immer aus beiden Formen von Kapital – Geld und Bedeutung (auch wenn man noch nie wirklich darüber sprechen wollte). Man muss auch verstehen, dass es keine Kunst ohne Markt gibt, denn auch der mit öffentlichen Geldern geförderte Bereich stellt einen Markt dar, auf dem mit öffentlichen Mitteln symbolische Werte geschaffen werden. Wenn aber bei „Haben und Brauchen“ mit Verweis auf das kreative Prekariat argumentiert wird, erweist sich der Vorstoß wieder nur als Sozialpolitik für’s eigene Klientel und nicht als tatsächlicher Versuch inhaltlicher Gestaltung der Kunstszenen Berlins.

Dennoch sind wir damit am neuralgischen Punkt der Situation der Berliner Kunstszenen angekommen. Es gibt eine Diskrepanz, eine unbalancierte Situation im „Produktionsstandort” Berlin. Wie viele Künstler bekommen in Berlin denn wirklich eine Chance? – Man hat das Gefühl, dass es eine sehr steile Pyramide gibt, die zwei handvoll Akteure an die Spitze setzt und eine breite Basis, die tatsächlich wenig Entwicklungschancen zu haben scheint. Man könnte betriebswirtschaftlich also sagen: Es gibt zu viele Produzenten und zu wenig „Markt“. Eine zentrale Zielsetzung einer kulturpolitischen Diskussion müsste somit den Blick auf die Stabilisierung und Professionalisierung von hiesigen Produktionsbedingungen richten, sowie sukzessive über die nationalen Grenzen hinweg neue Netzwerke und Allianzen aufbauen, die es perspektivisch ermöglichen, Deutschland auch als globalen Marktstandort auszubauen. Denn sonst droht wahrscheinlich tatsächlich irgendwann einmal eine massive Abwanderung von Künstlern. Dass aber die Spitze dessen, was man von außen als Berliner Kunst erkennt, immer spitzer wird, ist das Interesse einer anderen kleinen Gruppe von Akteuren, die, vollkommen nachvollziehbar, Strategien anwenden, die die Entwicklung ihres eigenen Marktsegmentes unterstützen. Das Gallery Weekend hat inzwischen solche Durchschlagskraft entwickelt, dass das Art Forum Berlin aufgeben musste und damit das mittlere Marktsegment Berlins keine Plattform mehr hat. Die dadurch entstehende Entkoppelung wird von vielen als unsolidarisch und kurzsichtig verstanden. Die Frage ist jedoch, ob dahinter nicht die Phantasie eines von oben bis unten durchlässigen, weil homogenen Kunstmarkts steht, den es so vielleicht nie gegeben hat. Dennoch entsteht mit viel Macht auch viel Verantwortung und es wäre eine Frage wert, wie sich das Gallery Weekend sein Marktumfeld in Berlin in zehn Jahren vorstellt. Um es in ein Bild zu packen: Es ist schwer vorstellbar, dass die Kirschen oben auf immer größer werden können, wenn nicht auch der Kuchen größer wird.

Man muss noch erwähnen, dass es neben den Galerien und Kunstmessen natürlich noch viele weitere expandierende Kunstmärkte gibt, die sich hier auf knappem Raum leider nicht ausreichend beleuchten lassen, wie zum Beispiel: Kunst als Wissensproduktion, Kunst als kritische Praxis, Kunst als urbane, soziale Interaktion etc. Das Spektrum geht von künstlerischer Dienstleistung bis zur Erfüllung repräsentativer Zwecke bei Kunst am Bau usw. Dabei entsteht ein Moiré dieser thematischen Strukturen mit den kulturellen Herkünften der Kunstproduzenten, das die o.g. Phänomene mit den verschiedensten philosophischen und ästhetischen Traditionen überlagert. Alle diese Teilmärkte (der Begriff ist hier durchaus in einem Luhmannschen Sinne gebraucht) differenzieren sich vom bisherigen Kernmarkt aus und erzeugen eigene Marktrealitäten und „Pyramiden“. Das Feld ist also extrem unübersichtlich. Die Energien aber, die sich hier kreuzen, bilden reale gesellschaftliche Entwicklungen ab, deren Bearbeitung unbedingt nötig ist, um die kulturellen Kohäsionskräfte der Gesellschaft zu erhalten. Bisher allerdings hat sich für diese Praktiken noch kein tragfähiges Supportsystem ausgebildet. So muss auch hier eine „Professionalisierung“ das Ziel sein, die nur durch kulturpolitische Initiative und anfängliche öffentliche Förderung erreicht werden kann. So hat eben jeder in Berlin seinen „bias“ (wenn man böse ist, kann man das mit „Scheuklappen“ übersetzen, falls nicht, bedeutet „bias“ eine sehr starke, wenn auch partikulare Überzeugung). Wie immer werden auch in Berlin Kämpfe um Bedeutung mit sehr viel mehr zerstörerischer Kraft gekämpft, als wenn es um Geld ginge. Und so scheint es in der inzwischen sich eingestellt habenden Berliner Klientelpolitik so zu sein, dass niemand einen größeren Kuchen will, sondern noch immer einfach das größere Stück – bevor nichts mehr da ist. Man muss leider vermuten, dass sich dieses Verhalten nicht ändern wird, wenn es nicht einen gemeinsamen Plan, oder zumindest einen Wunsch gibt, größere Brötchen zu backen. Das ist ein Appell nicht an die Akteure, die natürlich Interessenpolitik betreiben müssen, sondern an die Kulturpolitiker, die verstehen lernen müssen, dass es in erster Linie um Gestaltung und nicht um Zuwendung geht. Andere Weltregionen warten nicht, bis Berlin sich endlich organisiert hat. Wenn man einmal erfahren hat, wie Akteure in den USA, Asien, Lateinamerika, im Nahen Osten, etc. agieren, wenn man mitbekommen hat, welche kulturpolitischen Aspirationen in China gehegt werden, fragt man sich schon, welche Chancen wir in Old Europe in der Zukunft haben werden. Wofür steht Berlin eigentlich? Wo will es hin? – Wir wissen es nicht! Dabei sind das wichtige Entscheidungen, die Berlin kulturelle Identität geben werden. Wir müssen uns fragen: Wie soll Berlin 2030 im kulturellen Vergleich aussehen? – Was ist nötig, um im globalen Wettbewerb zu bestehen? – Welche kulturellen Stärken hat Berlin im Vergleich mit anderen Städten in anderen Ländern? – Wie kann man kulturhegemonialen Ansprüchen anderer Kulturen begegnen? – Wie sieht kultureller Dialog aus?

Gleich danach stellt sich die Frage, wie man die unterschiedlichen Kunstszenen in die Lage versetzt, produktiv zu werden und an den Visionen für eine kulturelle Zukunft mit zu gestalten. Mit anderen Worten – wie balanciert man den symbolischen und den monetären Anteil an künstlerischer Produktion so, dass mutige und zukunftsweisende Entwürfe gelingen können. Welche Märkte muss man entwickeln, um (auch wenn man dieses Wort kaum noch benutzen will) nachhaltige Effekte zu erzielen, die „den Kuchen größer machen“? – Welche urheberrechtlichen, zollrechtlichen etc. Maßnahmen kann man zur Förderung des Bereiches einleiten. Dazu wäre eine SWOT-Analyse (strength-weakness-opportunity-threat) des Berliner Kunstmarktes im internationalen Vergleich sicherlich dienlich.

Als dritte gibt es die kuratorische Ebene, auf der es um den freien Streit der Ideen und Kunstbegriffe gehen muss. Welche Institutionen benötigt man dafür? – Wie funktioniert der Vielklang der Berliner Institutionen untereinander? – Wie lockt man internationale Akteure in die Stadt? – Wie entstehen Diskurse, die das internationale Geschehen beeinflussen? – Welche künstlerischen Praktiken bilden sich aus?

So müsste also in Berlin einmal Kultur- und nicht nur Zuwendungspolitik gemacht werden. Dazu wäre es nötig, mit dem Hinhören anzufangen und gestalterisch weiterzumachen, indem man die Akteure in der Kunstszene unterstützt und gleichzeitig für höher gesteckte Ziele in die Verantwortung nimmt.

Warum das so wichtig ist? – Wir leben in einer Zeit in der visuelle Kultur, die Vermittlung über Bilder eine wichtige interkulturelle Funktion ausübt. Weltweit schaut man nicht mehr wegen der drei Opernhäuser nach Berlin, sondern wegen der zeitgenössischen Kunst. Dass Berlin das nicht als Chance begreifen will, ist genauso ein Skandal, wie der exorbitante Zuschuss von rund 260 Millionen Euro im Jahr für die Opernstiftung. Mit einem Drittel dieser Summe könnte Berlin in diesem Zeitraum im Bereich zeitgenössische Kunst in der Zukunft eine wirkliche (und nicht nur gehypte) Position im internationalen Vergleich entwickeln. Deswegen die Forderung: Schließt ein Opernhaus und gebt das Geld in die Entwicklung der zeitgenössischen bildenden Kunst – dort ist es besser aufgehoben als in einem dreifachen Traditionsverein!

Produktionsstandort Berlin (© Andreas Koch)
Berlin Alexanderplatz (© Andreas Koch)
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