Gegen das Komplizendasein

Replik auf Gesa Ziemer, urbanspacemag

2012:Apr // Niele Büchner

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04-2012
















1. agieren nie alleine, sie sind mindestens zu zweit
Wie oft träume ich vom Zusammenarbeiten und schrecke gleichzeitig vor den zähen Aushandlungen zurück, weil die Zeit fehlt und weil es schwierig ist, ein fragiles Gleichgewicht zu finden zwischen Rücksichtnahme auf die drängenderen individuellen Projekte, Familienverpflichtungen etc. der Anderen und der Berücksichtigung meiner eigenen Interessen. Zwischen meinem Anspruch an Zuverlässigkeit und den Möglichkeiten der Anderen.
Erschwert wird dieser Wunsch zusätzlich durch das Paradox einerseits mit seinen FreundInnen zusammenarbeiten zu wollen, aber gleichzeitig davor zurückzuschrecken, der freundschaftlichen Ebene noch eine geschäftliche hinzuzufügen. Zu groß ist die Angst davor, dass das Mit- und Füreinandersein in Ausnutzung umkippt. Dass Verpflichtungen entstehen, wo die Nicht-Verwertungslogik an höchster Stelle stehen sollte. Dass es schwieriger ist als erwartet, die Ebenen und Sprechweisen tatsächlich voneinander zu trennen.

2. erscheinen nicht als solche, sondern als Einzelgänger
Ja, was denn nun? Geht es ums Gemeinsame oder die Wahrung der individuellen Handschrift und Sichtbarkeit? Warum nicht dazu stehen, dass etwas gemeinsam entstanden und ausgehandelt worden ist? Sich gemeinsam abgewrungen wurde? Und damit gegen den zunehmenden Individualisierungsdrang und Corporate-Identity-Drang des Kunstfeldes ein Zeichen setzen?

3. kreieren ein gemeinsames Ziel, das allen Nutzen verschafft
Ich will kein gemeinsames Ziel, das Nutzen bringt, sondern Differenzen, die nicht verwertbar sind.

4. schließen temporäre, keine dauerhaften Beziehungen
Analog zum Prinzip: statt Beziehungen gehe ich nur temporäre unverbindliche Affären ein? Aber ist nicht eine gewisse Vertrautheit die Voraussetzung für den Austausch von Differenzen und das Formulieren von Kritik?

5. vertrauen tief, weil sie ein hohes Risiko eingehen
Wo soll ich bitte dieses Vertrauen hernehmen? Als Scheidungskind mit Verlustängsten? Als Halbwaise ohne finanzpotentes Elternhaus? Als Brillenträgerin mit regelmäßigen Migräneanfällen, aber ohne jegliche Zusatzversicherung und Rentenvorsorge?

6. machen alle mit
Ja, alle machen mit, aber doch nur, wenn ihnen in irgendeiner Form ein Gewinn in Form kulturellen oder ökonomischen Kapitals winkt.

7. profitieren von Differenz
Ständig wird die Differenz gelobt, aber wo sind die Ratgeber, die einem erklären, wie man diese Meinungsverschiedenheiten und das Anderssein dann tatsächlich aushält? Wie oft arten Diskussionen in aggressives Meinungsbashing aus, in der alle einander zu übertönen versuchen? Wie kann ich Meinungsverschiedenheiten nicht als persönliche Beleidigung auf fassen? Wo lerne ich Absagen auszuhalten? Wie schalte ich den Neid aus? Und wie soll überhaupt Differenz entstehen? Wenn man sich netzwerktechnisch immer nur mit Leuten umgibt, die das Ähnliche machen, ähnlich denken oder aussehen? Wo kann ich die Leute ohne Hochschulabschluss treffen? Wie finde ich mit ihnen eine gemeinsame Sprache ohne hierarchische Sprachbarrieren aufzubauen?

8. aktivieren das Kleine im Großen
Nicht das Kleine im Großen, ich will das große Ganze aktivieren! Und dabei nicht von einem Chef gebremst werden, der mich ständig kleinhält, mir ständig neue Ansagen macht, mir einen kleinen Selbstverwirklichungsbrocken hinwirft, während mein sonstiger Job aus reinem Zuarbeiten besteht.

9. finden sich, anstatt zu suchen
Ja klar, Netzwerke ergeben sich von ganz alleine, man muss nur warten und die Leute kommen auf einen zu. Nein, die Leute kommen auf einen zu, weil du dich auf den gleichen Veranstaltungen wie sie rumtreibst. Weil du von jemandem empfohlen wirst, weil du smalltalk betreibst und dich in Projekten engagierst und auf möglichst vielen Ebenen sichtbar bist.

10. achten auf das Informelle und kommunizieren 
auf anderen Wegen
Soll ich mich tatsächlich auf die Strasse stellen und darauf warten, dass der Einfall, nein, der Umfall kommt? Dass mir jemand seine Visitenkarte in die Hand drückt, mit der Aufforderung, ich solle doch mal einen Text für ihn schreiben, weil ich so poetisch daherkommen würde?

11. sind ein Beispiel für die Kraft des Schwachen
Gruppenbildungen als Selbstermächtigungen? Aber ist die Voraussetzung dafür nicht die Aufgabe meiner größten Schwäche – der Schüchternheit? Schon der erste Schritt in die Gruppe ist da schwer. Aber vielleicht sollte ich mal überlegen, eine Selbsthilfegruppe für Schüchterne zu begründen? Ganz ohne Netzwerker-Hintergedanken natürlich
Seite aus dem urban spacemag #4 „Ego Urban ismus“ (© Beitrag von Gesa Ziemer)
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