Die Moderne

General Public, 5. Berlin Biennale

2008:Jul // Birgit Effinger

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07-2008






Derzeit arbeite ich mit meiner Kollegin und einer jährlich wechselnden Gruppe von Künstlerinnen in einem kleinen Pavillon, der im Rahmen der Interbau 1957 im Hansaviertel von Walter Gropius geplant wurde. Der rechteckige Flachdachbau kann als Beispiel des Nachkriegsmodernismus firmieren: Die Glaswände des eingeschossigen Baukörpers bieten gemäß den zeittypischen Versprechen von räumlicher und damit auch gesellschaftlicher Transparenz ein organisiertes Bild-Raum-Gefüge zwischen alltäglichen Nah- und Fernblicken und heben in bester modernistischer Tradition die Grenze zwischen Innen und Außen optisch auf. So kann der Blick durch die Scheiben in den unmittelbar angrenzenden Tiergarten wandern oder er streift die Bewohner des Viertels bei ihren alltäglichen Gängen. Die Verschränkung von Außen- und Innenraum stimmt jedoch mit den Bedürfnissen unserer heutigen Lebenspraxis nur bedingt überein. Die Zelebrierung von Transparenz durch Einfachverglasung setzt uns sämtlichen Witterungseinflüssen aus: Im Winter ist es permanent fußkalt, an heißen Tagen verwandelt sich der lichtdurchflutete Innenraum in einen stickigen Brutkasten. Was den Pavillon anbelangt, so hat die materialisierte Vision von Transparenz augenscheinlich auch ihre Schattenseiten.

Von den technischen oder ideologisch motivierten Konstruktionsmängeln des Modernismus legen auch auf der derzeitigen Berlin Biennale viele Arbeiten Zeugnis ab. Insbesondere in der Neuen Nationalgalerie, dem Flaggschiff der westlichen Symbolpolitik, begleiten modernistische Architektursprachen den Diskurs, an dem sich viele Arbeiten reiben. So greift Simone Winterling in einem Arrangement unter anderem die sukzessive Verunstaltung des Ferienhauses der Architektin Eileen Gray durch Le Corbusier auf. Der zu dieser Arbeit zugehörige 16mm-Film dokumentiert, wie Kondenswasser an den Scheiben der Nationalgalerie herunterläuft. Goshka Macuga erweist der ebenfalls lange unterschätzten Gestalterin Lilly Reich, einer langjährigen Mitarbeiterin von Mies van der Rohe ihre Referenz. Wieder und wieder wird die Moderne reaktualisiert und nach verborgenen Widersprüchen befragt.

Modernistische Formen- und Themenrepertoires treten freilich nicht nur auf der Berlin Biennale in Erscheinung. Allerorten finden sich heutzutage ästhetische Verfahrensweisen, die sich des Themenparks ‚Modernismus’ nebst seiner vielfachen Verzweigungen bedienen. Auf der einen Seite handelt es sich um künstlerische Ansätze, die versuchen, die Erfahrungen und Effekte eben jener Modernität darzustellen. Auf der anderen Seite werden dekorative Formenkonzepte, mithin Retrochic, in bekannten Modernismen schlicht neu verpackt.

Was heißt es heute, wenn Künstlerinnen und Künstler den Sammelbegriff Postmoderne auf dem Rückweg in die Geschichte der Moderne wiederbeleben und modernistische Formen zum Gegenstand der künstlerischen Arbeit machen?

Dieser Frage suchte eine Diskussionsveranstaltung mit dem ambitionierten Periodisierungslabel „Die Nuller – Ein Versuch der Definition einer zu Ende gehenden Dekade anhand ihrer künstlerischen Zeugnisse“ nachzugehen (siehe auch Dokumentation im Kasten). In der fraglos unterhaltsamen Debatte wurde eine Fülle erbaulicher Formulierungen mobilisiert: Ansichten wie Vintagekunst, Figuren der Wiederholung gibt es bereits seit der Renaissance, Kommunismus, Jonathan Meese versus Elvira Bach oder André Butzer, ­Autonomie und Selbstreferenz der Moderne wurden von den Teilnehmern Melanie Franke, Guido Baudach, Andreas Koch, Raimar Stange und Kerstin Gottschalk (Moderation) wie Konfetti in den Raum geworfen. Im Eifer des Gefechts konnte sich die lebhafte Runde leider nicht detaillierter über die Konjunktur der Modernismuswiederkehr ­verständigen. Es gäbe derzeit eben eine schräge Wiederkehr die oft in marktkonformes Kunst-Design mündet, so lautete das resignierte Fazit. Wir müssten eben abwarten, bis der Prozess der rückwärtsgewandten Wiederaufnahme sich selbst erschöpft und dann etwas anderes, vielleicht Aufregenderes kommt. Gegen Ende ein kleiner Ausblick: Einen größeren Gegenwartsbezug weisen nach Andreas Koch ästhetische Verfahrensweisen auf, die sich technisch avancierter Mittel etwa der kinematografischen Installation bedienen. Indes ist dieser Gedanke dem Innovationsimperativ der Moderne zutiefst verpflichtet, da Modernität immer mit Technik, also auch mit Fortschritt verbunden war.

Die Moderne hat zwar viele Konzepte hervorgebracht, dennoch hat sich das narrative Grundmuster, dass es ab nun an nur noch pure Autonomie und Selbstreferentialität geben würde, durchgesetzt. Spätestens seit der Kenntnis über die Instrumentalisierung der amerikanischen Kultur gegen den Kommunismus ist die Diskussion um die Durchsetzung der modernistischen Kunst in Europa und vor allem in Deutschland kritisch hinterfragt worden.

Auf einer Abendveranstaltung der Berlin Biennale wurde erneut evident, dass der Modernismus keineswegs homogen war. Das Kuratorinnenkollektiv „What, How & for Whom“ aus Kroatien präsentierte am Beispiel des Werkes des Bildhauers Vojin Bakic (1915–1992) eine spezifische modernistische Variante, die abstrakte Formensprachen mit den Koordinaten des offiziellen sozialistischen Kulturbetriebs verknüpfte. Modernismus war nie nur eine Bewegung oder eine Abfolge von Stilen, sondern ein vielfachen Wandlungen unterworfenes System der Wahrnehmungen. An verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten gab es verschiedene Modernismen mit unterschiedlichen Folgen.

Vielleicht ist es konstruktiver, anstatt die Wiederaufnahme von – um es im Documentajargon zu sagen – antiquierten Modernismen zu beklagen, die jeweils beschworenen Mythen zu entziffern. Dann treten aus dem derzeitigen Dickicht der Modernitätsthematik pikante Harmlosigkeiten zu Tage, etwa dass die Neuwagen bei Citroen C4 Picasso oder gar XSARA Picasso getauft werden.
 
„Die Dekade der Nuller“ Originalfassung #61, General Public, Schönhauser Allee 167c, 17.4.2008

„Die Moderne und ihr Unbehagen…“ im Rahmen der 5. Berlin Biennale, Neue Nationalgalerie, 8.4.2008  
Thea Djordjadze, „Mathémat“, 2006 (© Courtesy Sprüth Magers Projekte, Köln)
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