"Mein kleiner grüner Kaktus"

/ Max Raabe und Anton Henning

2011:May // Hans-Jürgen Hafner

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03-2011
















Wenn Chansonnier Max Raabe in der Fernsehwerbung zu seinem neuen und neben der obligatorisch um Multimedia-Schnickschnack aufgepeppten CD immerhin auch, minus Schickschnack, auf echtem Vinyl erhältlichen Longplayer „Küssen kann man nicht alleine“ in der ihm eigenen, sozusagen bis aufs Messer prononcierten Diktion von „Popzauber“ spricht – ich gebe zu, das jagt mir jedes Mal eine Gänsehaut über den Rücken – doppel-p, kurz-o, doppel-p, abgerundet von einem geradezu deliriös gesäuselten „dsauberr.“ So grausam deutsch kann Deutsch sein und so unglaublich gegenwartsvergessen Gegenwart. Wenn ich den Raabe dann ab und an festgekeilt in die türnächste Samtkoje im schönen Restaurant Diener, auch unter dem Namen Tattersall geläufig, sehe, dann hasse ich mich beinahe für jene Seite in mir, die mir besagtes Diener lieber sein lässt als jedes Kreuzköllner Jungspundetablissement – auch wenn der Sentimentfaktor da wie dort in etwa gleich unerträglich ist; im Diener aller­dings von einer diesem Problem gegenüber wenigstens statistisch adäquateren Menge von älteren Menschen mitproduziert wird. Am Sentiment, das sollte einem in Berlin Ansässigen freilich klar sein, muss ziemlich gezielt herum­operiert werden. Das Sentimentale und die Hauptstadt, das mixt nicht erst seit gestern mehr als nur gut – was uns, die wir von der Welt noch besseres erwarten, als sie derzeit politisch und – ich muss es aussprechen – ökonomisch zu bieten hat bei aller Duldsamkeit unserem inneren Schweinehund gegenüber unbedingt bewusst bleiben muss. Sentiment, das ist, was es zu jedem Schultheissbier gratis obendrein gibt. Das ist, was immer noch in der Luft liegt in dieser Stadt – selbst, wenn der letzte Hausbesetzer gentrifiziert ist und noch der dünnste Braunkohlehauch das Flair von Latte Macchiato angenommen hat.

Dieses patentierte Berliner Sentiment, das die westdeutschen Alt-Wehrflüchtlinge mit den qua Stipendien hoch geposhten Kreativaussteigern, die Wendeverlierer mit den Neokonservativen on a budget auf der Suche nach ein bisserl Bürgerlichkeit vereint, ich ertappe mich immer wieder dabei, ein bisschen wie die Katze auf Baldrian drauf abzufahren. Sentiment macht, wie Baldrian, müde. Müde, wie Raabes Vor-während-und-nachkriegsdeutsch. Müde wie diese, ach, heiteren, pointierten, und schuldlosen Couplets mit ihrem altersschwachen Popzauber für was weiß ich für eine Generation.

Worauf ich allerdings hinaus will, ist nicht, dass diese von Schwester Humpe gefällig mitverantwortete Volksunterhaltung äußerst furchtbar, in Musik genauso wie in Text und Gestus geradezu oberredundante Scheiße ist. Irgendwie versteht sich das dann doch noch von selbst. Ich will darauf hinaus, dass es extrem viele Kunst gibt, die mit identischen Mustern verfährt bzw. geradezu galerieweise auf die Marktplätze und ins Publikum hinausposaunt wird – und, was bei Max Raabe vollkommen klar ist, ist bei der Kunst so klar eben nicht.

Nach der Suada hätten Sie völlig recht, wenn Sie sagen würden: Und jetzt aber noch auf den Anton Henning einzuhauen bei seiner gefühlt viertausenddreiundsechzigsten Ausstellung, natürlich wieder bei dem bekannten Neocon-Verklapper Arndt, so derart einfach braucht er sich’s nicht zu machen. Dass das nicht erst seit Jahr und Tag der schlechterdings allerfurchtbarste, allerredundanteste Kunstfolklorekitsch für den Neu-Berliner Bürgerdarsteller ist, das wissen wir selber.

Worauf ich entgegnen müsste, dass Raabe, Henning, Arndt und Konsorten allerdings höchstwahrscheinlich wissen, was sie anrichten. Was ich für unsere Youngsters aber nicht ohne weiteres unterschreiben würde. Die etwa für den Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst nominierte Kitty Kraus eröffnet erst Ende April; und wie es der Teufel so will, bei Neu. Zauberei?

Anton Henning, „Blumenstilleben No. 340 (AH 2006-194)“, 2006 (© Galerie Arndt)
Max Raabe, Ausschnitt aus dem Cover der CD „Küssen kann man nicht alleine“ mit Annette Humpe (© Decca, 2011)
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