Die 7. Berlin Biennale / Epilog

2013:May // Seraphine Meya

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05-2013
















Revolutionäres Scheitern
/ Die 7. Berlin Biennale – Epilog

Die 7. Berlin Biennale ist gescheitert. So schrieben es viele große deutsche Zeitungen im Sommer 2012 und auch die Kunstwelt war sich selten so einig.
Die Biennale in Berlin letztes Jahr nahm den Anschein einer Kulmination des Trends der politischen Ausstellungen und Biennalen in den letzten Jahren. Artur Żmijewski, der Kurator rannte offene Türen ein, mit der Forderung nach Aufstand und Revolution. Doch ging er zu weit?
Die 7. Berlin Biennale war über jede historische und politische Sensibilität erhaben und das war es, was letztlich die vielen Hoffnungen auf ein Aufrütteln der Kunst(welt) so enttäuschte.
Kunst sollte zu Politik werden, um die verbreitete Wahrnehmung zu verweigern, was im Kunstraum geschehe sei generell „fake“ und ohne Wirkung, wie die Co-Kuratorin Joanna Warsza im Katalog zur Ausstellung schrieb. Die Vermischung der beiden Sphären Kunst und Politik, so zeigte sich, war und ist eine heikle. Und immer wieder erschienen Aktionen der Biennale als viel zu kurz gedacht.

So regte sich allgemeiner Protest, als Martin Zet zur Bücherverbrennung der stark kritisierten Bücher „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin aufrief. Der Beigeschmack von nationalsozialistischen Bücherverbrennnungen oder Kulturrevolution war zu präsent. Der Philosoph Georges Sorel verurteilte in seiner Suhrkamp-Publikation „Über die Gewalt“ (1981) trotz einem Aufruf zur widerständigen Gewalt die rücksichtslose Art derjenigen, die eine Utopie vor Augen haben und dabei alle Opfer auf dem Weg dorthin als Mittel zum Zweck hinnehmen. Eine Kritik, die auch auf die 7. Berlin Biennale anwendbar ist.
Die „Peace Wall“ von Nada Prlja sorgte ebenso für Aufruhr. Die Mauer, die Ost- und West in der Friedrichstraße teilte, um auf das Gefälle zwischen Arm und Reich aufmerksam zu machen, wurde von den Bewohnern zum Teil sogar gewaltsam kritisiert. Läden im Ostteil der Friedrichstraße beklagten schwere Umsatzeinbußen durch die Mauer, das Werk verschärfte die Situation also noch. Wieder erwartet man angesichts der ortsspezifischen Geschichte von einer Künstler/in mehr Feinfühligkeit.

Noch einige weitere solcher Projekte, die historische und politische Sensibilität vermissen ließen, fanden statt.
Artur Żmijewski jedoch schwieg zu den meisten Fragen und Vorwürfen beharrlich und verweigerte auch beim Abschlussplenum im Juni in den Kunstwerken die Aussage – oder er verwies auf Joanna Warsza, die höchstes Engagement in der Rechtfertigung zeigte. Besonders aufschlussreich hinsichtlich der Problematik von zu wenig reflektierter Vermengung von Politik und Kunst ist die Einladung der Pixadores Cripta, Biscoito, William und RC aus Saõ Paulo, Brasilien. Mit Pinseln und Farbe bewaffnet klettern die Pixadores durch Saõ Paulo, um mit runenhaften Zeichen ihren Unmut über politische und gesellschaftliche Zustände deutlich zu machen. Die jungen Männer aus den Favelas ohne Perspektiven unternehmen lebensgefährliche Kletterpartien. Sie markieren den letzten unbemalten und besonders weit sichtbaren Fleck an den Hochhäusern der Stadt und präsentieren so auch ihre eigene Macht, Gefahren zu trotzen.
Grundlegend erscheint ein Handlungsdrang zur politischen Aussage, da handeln die einzige Möglichkeit ist, sich zur Wehr zu setzen, Anklage zu erheben, Kritik zu üben, sich zu ermutigen.

Der Import solcher unmittelbaren Aufständigkeit erscheint für die Komfort-Zonen der Berliner Kunstsphäre als besonders reizvoll, da sie Grenzen von Gesetz und persönlicher Selbsterhaltung übertritt. In einer kolonialistisch anmutenden Geste forderte der westliche Kurator die lateinamerikanischen Aktivisten dazu auf, ihren Ausdruck in domestizierter Form in der St. Elisabeth Kirche in Berlin auf zu diesem Zweck aufgespannten Papierbahnen zu zeigen. Den radikalen Pixadores war diese „simulative“ Form selbstverständlich fremd, wobei ihnen die unberührten steinernen Wände der Kirche offensichtlich wesentlich reizvoller als Aktionsort erschienen. Die Kirchenwände wurden also erklommen und bemalt, worauf die Kuratoren empfindlich reagierten. Der Streit des Kurators mit Cripta endete damit, dass der Pixador Artur Żmijevski mit gelber Farbe übergoss. Das Bild der Auseinandersetzung erschien unter anderem in der brasilianischen Zeitung Folha mit einem Kommentar von Cripta: „Es handelt sich um eine politische Biennale, die das System kritisiert. Die mussten aber das System zu Hilfe holen, um uns zu stoppen. Sie haben uns eingeladen, weil sie unsere „Pixação“ kennen lernen wollten. So, nun haben sie sie kennen gelernt.“
Eine solche Zurschaustellung einer Reaktion auf politische Repression im europäischen Kunstkontext, in dem künstlerische Arbeit weitestgehend unabhängig von politischen Zuständen möglich ist, erzeugt Konflikte. „Postkolonialisierungstheorien“ und „global art“ sind Stichwörter, unter denen solche Konflikte und ihre Vermeidung rege diskutiert werden.

Natürlich erreicht man so „Grenzüberschreitung“, wie es Co-Kuratorin Joanna Warsza in einem persönlichen Interview am 28. Juni 2012 von der Kunst forderte. Doch das Kokettieren mit dem Aufständischen muss sorgfältig bedacht werden. Ob etwas Kunst ist oder nicht, ist nicht die Frage, die man stellen muss. Viel wichtiger ist ein sensibler und respektvoller Umgang mit historisch gewachsenen Schwierigkeiten in der Beziehung zwischen Industrieländern und anderen Teilen der Welt. Übergeht man nämlich den Fakt, dass die Pixadores allein aus gegebenen Bedingungen ganz anders arbeiten, als beispielsweise ein europäischer Künstler, begibt man sich in die Falle des paternalistischen Gebarens mit kolonialistischer Anmutung. Insbesondere gegenüber Schwellenländern mit starker sozialer Ungleichheit und, trotz Wirtschaftswachstum, kaum Chancen zum sozialen Aufstieg.
Zudem lässt sich anmerken, dass zur Darstellung von sozialem und ökonomischem Druck ein Blick in Berlins Vorstädte gereicht hätte.
Die Forderung, dass Kunst Grenzen überschreiten muss und mit Politik verschmelzen soll, wie man es aus der Pressemappe zur Ausstellung erfährt, hat einen gewissen ideologischen Anspruch. Mit optimistischem Glauben an die Revolution wird durch die Abschaffung der autonomen Kunst eine bessere Welt versprochen. Dass die Optimisten die zerstörerischsten Revolutionen machen, da sie mit der Utopie vor Augen alles andere übersehen, davor warnte schon Georges Sorel. Ebenso ist die Frage nach dem „Danach“ für die wenigsten Revolutionäre dezidiert geklärt. Was macht man nach der Abschaffung der Kunst? Das alte System durch ein neues ersetzen und mit klugen Rechtfertigungen weitermachen wie zuvor?
Das Politische in der Kunst ist ein altes, immer widersprüchlich bleibendes Thema. Zonen der Autonomie und Freiheit sind Räume, die sich zeitgenössische Kunstschaffende immer wieder schaffen, erhalten und dennoch flexibel halten wollen. Der Begriff der Autonomie als ein Ideal künstlerischer Produktion, finanzieller und ideologischer Einfllussnahme gegenüber immun, wurde nicht nur seit Schiller vielfältig von Theoretikern reflektiert. Die Freiheit als Grundforderung der Menschen ist hier auch als eine künstlerische Freiheit gedacht, zu tun, zu denken und zu lassen, was man will.

Prekäre Arbeitssituationen, Fördergelder aus der Wirtschaft und von privaten Mäzenen sind eine Realität, in der Freiheit und Autonomie immer auf dem Prüfstand stehen. Trotzdem versucht die Kunst, das Spannungsfeld zwischen Funktion in der Gesellschaft und innerer Autonomie im richtigen Gleichgewicht zu halten. Hannah Arendt schrieb in ihrem Buch „On revolution“ von 1963, dass jede Revolution die Freiheit zum Ziel hätte. Ein Satz der sich ebenso auch auf die Kunst anwenden lässt, sowohl hinsichtlich der allgemeinen, als auch der persönlichen Freiheit.
Unterbrechungen und ideelle Pausen im System ließen immer wieder Utopien denkbar werden oder neue Ideen entstehen. Der stete Tropfen höhlt den Stein und ein stetiger Widerstand sichert ein konstantes Hinterfragen des Ordnungssystems. Ein heraklitisches Hinterfragen, das in seiner unangreifbaren Wiederholung möglicherweise beim Betrachter ankommt. Sowohl die taz als auch die ZEIT schrieben vom Scheitern der 7. Berlin Biennale. Das Scheitern wird häufig und inflationär gebraucht, meist mit einer rein negativen Konnotation, ist jedoch einer genauen Betrachtung würdig.

Ist Scheitern revolutionär? Welches kritische Potential hat das Scheitern der 7. Berlin Biennale für das Verhältnis von Politik und Kunst? Carl Jaspers beschreibt in dem Buch „Was ist Philosophie“ von 1971 das Scheitern als „Grundsatz zum Werden des Seins“. Jedes Scheitern im Leben – sei es Krankheit, Verlust oder Schuld – begreift Jaspers als Grenzsituation, die dem Leben Antrieb verleiht. Grenzsituationen, in denen Neues geschaffen wird und Fortschritt entsteht. Das Scheitern der Berlin Biennale für das Publikum und die Kunstwelt war fulminant und löste Empörung aus. Dieses Scheitern war also möglicherweise der Beginn des Weges zum Werden des Seins der Kunst. So mancher Journalist nahm das Scheitern der Berlin Biennale zum Anlass, klarzustellen, was er von Kunst erwartet. Es wurde deutlich, wie wichtig gerade die Freiheit der Kunst für diese Zeit ist, in der nicht nur die Wirtschaft und die Politik zu scheitern scheinen. Ziele konnten definiert werden, neue Utopien und man klärte auch, was man vermeiden will in der Kunst. Möglicherweise hätte die Berlin Biennale auch ein Erfolg werden können, hätten die Kuratoren ihr Handeln nicht als messianisches Heilsversprechen an die Kunst formuliert, sondern voller Lust ins Leere gehandelt und von vorneherein ihr Scheitern geplant.

Das Patentrezept zur Befreiung des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit als „freier“, konsumierender demokratischer Bürger kann es nicht geben – und doch bietet die Kunst in ihrem reflexiven Verhältnis zum System Möglichkeiten der gedanklichen Unterbrechung und Neuformulierung. Der Freiheitsbegriff der Kunst wurde mit dieser Biennale wieder zur erstrebenswerten Vision.

http://multiplosdearte.com (© )
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