Neue Buch- und Magazinläden

2009:Jun // Barbara Buchmaier

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06-2009



Was erwarten, wünschen, wollen wir als Käufer, als Leser von einem Magazin, von einem Buch? Suchen wir nach Inspiration, nach Inhalten? Oder nutzen wir Printerzeugnisse als Accessoires, als Fetische, durch deren offensiven Besitz wir uns repräsentiert, gar einem angestrebten Image oder Kontext näher gerückt fühlen?

Schon seit geraumer Zeit nehme ich während meiner Aufenthalte bei „Pro QM“ das unaufhörlich wachsende Angebot an Zeitschriften und Magazinen war und damit verbunden auch die Schwierigkeiten einer angemessenen Präsentation. Gleichzeitig frage ich mich, ob mich ein so breites Spektrum an Heften eher anmacht oder abschreckt, wer all die Magazine kaufen, geschweige denn durchblättern, gar lesen soll, oder ob man mit dem Verkauf von Zeitschriften echtes Geld verdienen kann. Als ich realisiere, dass mit „do you read me?!“ jetzt, trotz der vielfach ausgerufenen „Zeitschriftenkrise“ und steigenden Umsatzpotentialen im Online-Shopping, seit Herbst 08 in Mitte ein auf Lifestyle-Magazine spezialisiertes Geschäft existiert und auch „Motto Berlin“, ein im Dezember in Kreuzberg eröffneter Laden, vor allem mit Kunst- und Kulturmagazinen handelt, möchte ich meinen Fragen genauer nachgehen. In meine Recherche, die mich in ein schillerndes Universum aus Hochglanzmagazinen, Themenheften, Fanzines, Coffeetable Books, Ephemera, Artists’ and Vintage Publikationen führt, integriere ich auch den neuen „Perfect Book“ in Charlottenburg und den seit kurzem in der Friedrichstraße ansässigen „TASCHEN Store“.

Accessoirize! Heile Welt bei „do you read me?!“

Die Phrase „do you read me?!“, zugleich eine provokante Frage und Aufforderung, kommt als Name des auffälligen, smart wie effektiv gestalteten Zeitschriften-Fachgeschäfts in der Auguststraße 28 ganz gut, denn sie lässt offen, ob die angebotene Printware jemals gelesen werden wird. Vom zentralen Wanddisplay, das wie das übrige, in schwarz gehaltene Verkaufsmobiliar von Designer Mark Kiessling stammt, der Mitinhaber des Ladens ist, blicken einem über 100 Cover entgegen. Was man sich aus diesem zwar löblich breiten, von mir jedoch als übergroß und zu plakativ empfundenen Angebot an Magazinen aus Sparten wie Kunst, Kultur, Fotografie, Mode und Design aussuchen möchte, hängt vom eigenen Geschmack ab, wobei man vor Ort auch aufgrund der begrenzten Räumlichkeit und der schieren Masse nicht unbedingt Lust bekommt, sich auf einzelne Titel einzulassen. Hat man spezielle Interessen, kann man sich deshalb von Kiessling, der auch als Artdirektor und Designer bei ­„Greige/Büro für Design“ für Kunden wie „SMART“ oder „ArtForum Berlin“ arbeitet, und von Jessica Reitz, die als gelernte Buchhändlerin und Kommunkationswirtin längere Zeit im „Dussmann Kulturkaufhaus“ als Marketing Managerin tätig war, beraten lassen: „Das fängt z. B. bei einem privaten Kunden an, der sich für Fotografie interessiert und den wir auf dem Laufenden halten, was Neuerscheinungen auf dem Magazinmarkt generell betrifft oder entsprechende Ausgaben von bestehenden Magazinen. (…) Es kann aber auch ein Hotel sein, das uns seine Zielgruppe definiert, für die wir dann Magazine zusammenstellen, oder Agenturen, die ebenfalls entsprechende Anforderungen haben… “, beschreibt Reitz. Dass dieser Service kostenlos ist, überrascht mich dann, denn bei „do you read me?!“, einem auf Professionalität und Spezialisierung ausgerichteten Ladenkonzept, das sich bisher, laut den Inhabern, selbst trägt und das sich gezielt an Menschen richtet, „die schöne Dinge wert schätzen“, scheint mir der kommerzielle Aspekt doch im Vordergrund zu stehen. Von der informationsfreudigen Jessica Reitz erfahre ich schließlich auch etwas über die Verdienstmöglichkeiten: „Das ist sehr unterschiedlich, es gibt den klassischen Pressevertrieb, bei dem man Margen von um die 25% hat, wir kaufen aber auch bei ausländischen Grossisten und direkt ein und da ist es oft Verhandlungssache, weil Porto und Art der Verpackung, Remission sowie Liefertermine durchaus sehr unterschiedlich sind. Der Vertrieb unterscheidet sich eklatant vom Buchhandel.“ Die Bestseller im Display von „do you read me?!“ sind: „Apartamento“, „032c“, „Forms of Inquiry“ und „Dummy“, außerdem finden sich dort noch Tageszeitungen und ausgewählte Buchpublikationen, vermissen lässt es jedoch Titel aus dem osteuropäischen Raum.“

Am Nabel der Produktion – „Motto Berlin“

„Motto Berlin“ wurde im Dezember 2008 vom Fotografen Alexis Zavialoff, der bereits seit einigen Jahren den Schweizer Magazinvertrieb „Motto Distribution“ leitet, in einem leerstehenden, noch original möblierten Ladenlokal in einem Kreuzberger Hinterhof in der Skalitzerstraße 68 eröffnet. Besucht man das Geschäft, das sich im selben Gebäudekomplex wie die kürzlich wiedereröffnete „Silberkuppe“ und die „Galerie Chert“ befinden, erwartet einen auf etwa 60 m2 Fläche, in Regaleinbauten aus dunklem Holz, auf einem langen Tisch und in mehreren Glasvitrinen, ein äußerst breites Spektrum an Magazinen, Büchern und Künstlereditionen, die, soweit möglich, nach Genre oder Herkunftsland sortiert sind. Die Angebotspalette ist hier noch vielfältiger als bei „do you read me?!“, doch überfordert sie nicht, sondern lädt, vermutlich auch dank des tendenziell gemütlichen Ambientes, zum Stöbern und Studieren ein. Im Gespräch mit Zavialoff wird klar, dass er sein Angebot laufend selbstkritisch nach Insiderwissen wie thematischen und produktionsorientierten Gesichtspunkten zu aktualisieren sucht. Nicht nur die regelmäßigen Veranstaltungen, zu denen er Herausgeber ganz unterschiedlicher Magazine einlädt, sondern auch seine Präferenz für Zeitschriften, die als Themenhefte konzipiert sind, sein Anliegen, nicht nur aktuelle Nummern, sondern auch „Back issues“ im Angebot zu haben und der Wunsch, generell mehr Künstlereditionen anzubieten, zeigen seine ideelle wie inhaltlich orientierte Auseinandersetzung mit dem Material, das er anbietet. Spätestens wenn man erfährt, dass Zavialoff neben seiner noch relativ neuen Tätigkeit als Ladenbetreiber weiter die „Motto Distribution“ leitet und diverse kommerzielle Aufträge als Fotograf (u.a. für Magazine) annimmt, beginnt man zu verstehen, dass man es hier mit einem komplexen Netzwerker, einem prozessorientierten Systemiker zu tun hat, der immer am Puls der Zeit, am Nabel der Produktion sein will. „I only work with niche titles … I don’t work with newsstands or titles who have mainstream distribution … My magazine publications are sold mostely like books … After opening the store in Berlin I receive emails everyday from new publishers“, lautet ein Extrakt aus zwei kürzlich mit Zavialoff geführten Interviews. Zu den Bestsellern seines Ladens, der international bereits bekannter sein dürfte als hier in Berlin, und in dem es auch diverse Publikationen aus Osteuropa und Japan gibt, zählen „Purple“, „Fantastic Man“, „Foam“ und „Uovo“.

„Perfect Book“ – Blättern im 20. Jahrhundert

In Charlottenburg, nähe Stuttgarter Platz, findet man in der Weimarer Straße 32 den gut sortierten Second-Hand Buchladen „Perfect Book“, der von der amerikanischen Künstlern Sara Sizer betrieben wird. In dem etwa 50 m2 großen, klar strukturierten Laden, bietet sie in minimalistischem Mobiliar von Rafael Horzon eine überraschend umfassende Auswahl an zumeist gebrauchten Künstlermonografien, Ausstellungskatalogen und -broschüren, Postern und anderen Ephemera des 20. Jahrhunderts an. Der Schwerpunkt liegt auf europäischen und US-amerikanischen Titeln aus den 1960er und 1970er Jahren. Magazine und Zeitschriften sucht man hier vergeblich, stattdessen erwarten einen längst vergriffene Kataloge und Katalögchen, darunter auch bekannte Titel wie „Westkunst“ oder „When attitudes become form“, die man sonst nur in Archiven, Fachbibliotheken oder vielleicht im Netz finden kann. Gerade wenn man sich für die Kunstgeschichtsschreibung und/oder die Buchgestaltung und Layouts der Nachkriegszeit interessiert, ist man bei „Perfect Book“ am richtigen Ort. Die Tatsache, dass man die Publikationen, die zu ähnlichen Preisen wie im Internethandel angeboten werden, am bereitstehenden Tisch auch genauer studieren darf, ohne zu kaufen, erhöht den Genussfaktor. Ein besonderes Angebot bei „Perfect Book“: überlassen Künstler der Ladeninhaberin ein Exemplar ihres Katalogs, erhalten sie 10 % Rabatt auf Einkäufe. Und wenn sie Glück haben, wird ihre Publikation auch im Laden gezeigt.

Alles käuflich – Penis, Busen, Beine bei TASCHEN

Schließlich die frisch eröffnete Berliner Filiale von TASCHEN im zentralen Abschnitt der Friedrichstraße: dort offeriert man in einem von Philippe Stark kreierten, postmodern-überzeichneten Ambiente auf etwa 70 m2 die aktuellen Titel des 1980 gegründeten Verlags, der sich selbst auch mit dem blumigen Titel „Publishers of Art, Anthropology and Aphrodesia“ schmückt. Im zentralen Geschäftsraum wird in diversen Wandregalen und auf einem langen, diagonal stehenden Büchertisch das vielseitig an Kunst- und Körpergrößen orientierte Standard-Repertoire des Verlags feilgeboten, das mich jedoch nicht besonders interessiert. In einem schmalen Gang nach hinten wird’s jedoch etwas exklusiver, denn hier walten die „SUMOS“: Artists’ Editions in Form von Buchobjekten im XXL-Fomat, die über eine limitierte Auflage und die Künstlersignatur zu Möchtegern-Fetischen für den Mittelklassesammler stilisiert werden. Neben dem kürzlich veröffentlichten Erotik-Schmöker „America Swings“ mit unzähligen FKK-Fotos von Naomi Harris und einem Interview von Richard Prince, ist in der prägnanten Reihe, die 1999 mit einem Fotoband von Helmut Newton eingeführt wurde, auch eine Edition von Christopher Wool erschienen. Nicht zu übersehen ist in diesem Zusammenhang, dass Verleger Benedict Taschen auch als Kunstsammler agiert. Seine persönlichen Präferenzen, sowie die der Galeristen seines Vertrauens, spiegeln sich demnach nicht nur in der von ihm persönlich „mitkuratierten“ Künstlerauswahl der inzwischen bereits drei Volumes zählenden Reihe „Art Now“.

Während ich noch im zentral ausliegenden „The Big Penis Book“ blättere, kommt der Verkäufer spontan auf mich zu und informiert, dass dieser Band, anders als beispielsweise das „Big Book of Breasts“, ein regelrechter Topseller sei. Auf die Frage, woran das wohl liegen könnte, einigen wir uns kurzerhand darauf, dass bare Brüste eben doch viel öfter zu sehen seien, als das männliche Glied in all seiner Blöße/Größe. Spätestens beim leicht verlegenen Verlassen des TASCHEN-Stores realisiere ich, wie eklatant sich das Stöbern und Kaufen im Laden vom Online-Shopping unterscheiden kann.

Entgegen den lauter werdenden Unkenrufen auf den Tod der Printmedien, die erst kürzlich im SZ-Magazin unter der Headline „Wozu Zeitung?“ angestimmt wurden, ist das eigentliche Fazit meiner Recherche, während der mir geradezu ins Auge stach, wie sehr die Ladenbetreiber mit dem „Outfit“ ihrer Titel arbeiten und dabei deren Inhalte eher vernachlässigen, dass das Gedruckte als das physisch fassbare Material der Publikationen selbst den eigentlichen Fetisch darstellt, ob man nun darin liest oder nicht…

www.doyoureadme.de
www.mottodistribution.com
www.perfectbook.org
www.taschen.com


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