wo ich war

2010:Dec // Esther Ernst

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11-2010
















WILLEMSEN ROGER 28. Juni 2010
Der kleine Horizont. Zur Poetik des Fortfahrens
Antrittsvorlesung als Honorarprofessor der HU, Berlin

+ da wollte Luise ganz unbedingt hin, obwohl ich befürchtete, dass trotz abgeknallter Hitze kein einziges Stühlchen mehr frei sein würde im Hörsaal. Aber falsch, da war viel Platz und Roger war sehr chic und schwitze, während er über die Fremde vortrug und auf die Begriffe „Erfahrung“ oder „in etwas bewandert sein“ hinwies, die etymologisch auf den Zusammenhang von Wissen und Reisen zurückzuführen sind, und dies deshalb nahe liegt, weil sich an fremde Orte begeben und Erkenntnisse gewinnen, grundsätzlich zusammen treffen. Ha, das schreib ich mir glatt auf und verbrate es bei meiner nächsten Bewerbung nach ich-weiss-nicht-wohin. Eckenförde, oder wie das heisst.
Dann und wann der Gedanke an die lustigen youtube-Videos „Wahrheit oder Pflicht“ und wie toll der über die peinlichsten und intimsten Momente erzählen kann.

ELIASSON OLAFUR 12. Juli 2010
Innen Stadt Aussen
Martin-Gropius-Bau, Berlin

+ Bettina war erst in der Ausstellung, dann eine Woche auf Island wandern, dann noch mal in der Ausstellung – und dann enttäuscht.
Beim Frühstück führen wir ein weiteres Mal die Eliasson-Spektakel-Disskusion; Luise sagt, man könnte statt einem Olafur-Werk auch eine Frau mit drei Brüsten bestaunen, Bettina findet den Nebel auf Island viel eindrücklicher und ich komme mir als Betrachter (und als ausgewiesener Effektehasser) immer bissel wie auf dem Rummel vor. Aber dann gehe ich doch lieber in den Zirkus und schau den Eisbären auf der Wippe zu, und bin fürchterlich traurig, weil das ein ernst gemeintes, abgrundtiefes und deshalb so berührendes Spektakel ist und grundsätzlich von Effekten lebt. Bei Eliason finde ich neben dem unerträglichen Mitmachzwang (bin ja ebenfalls Theater-Mitmachhasser) die Ausstellung übertrieben didaktisch.
Und ab jetzt siedle ich den guten Herrn Eliasson endgültig im Spektakel-Design an und geh nicht mehr hin.

DAS UNGEBAUTE BERLIN 13. Aug. 2010
Café Moskau, Karl Marx-Allee, Berlin

+ Verrückte Menschen mit verrückten Plänen, manche davon aber auch ganz bescheiden, zurückgenommen und trotzdem gescheitert.
Hundert nie umgesetzte Architektur-Vorhaben der letzten hundert Jahre hängen in Form von neu- und nachgebauten Modellen sowie Faksimile-Zeichnungen und Plänen im Café Moskau in Petersburger Hängung. Auf Tischen liegen Ordner mit Begleitinformationen und da wurde es auch gleich schon bissel unübersichtlich, denn die Entwürfe sind aufs Minimum reduziert präsentiert. Gerade die letzten dreissig Jahre sind dann wirklich sehr huschelig dokumentiert, so dass zu manchen Bauvorhaben lediglich ein kleines Foto mit zu knapper Bildunterschrift zu finden ist. Jemand wie ich, der nicht Architekturprofi ist, hat’s dann echt schwer. Im Untergschoss zeigen Filmschnipsel Gesprächsausschnitte mit den jeweiligen Architekten. Spannende Ausstellung, wirklich sehr, auch wenn wahrscheinlich der dicke Katalog das Übersichtlichste und Tollste daran ist...

PLATEL ALAIN / VAN LAECKE FRANK 19. Aug. 2010
Les Balletscdelab
Hau 1, Berlin

+ was für eine Enttäuschung, kaum zu glauben, weil nämlich Platels Stück b.a.c.h. von vor circa zehn Jahren für mich zum Grössten gehörte, was ich im Theater je gesehen habe. Aus und vorbei, oder altersdebil, auf jeden Fall war diese Arbeit Mist. Eine kleine Gruppe Transvestiten stellten sich vor, ziehten sich aus und um, taperten eher hilflos auf der Bühne auf und ab, versuchten dramatisch oder komisch zu sein. Das scheitert total, weil sich da nix und niemand zeigt und bleibt sehr flach. Auch, weil man eine Travestieshow nicht ohne den ganzen Trash und Glemmer und Ambientekram auf eine riesige Theaterbühne übersetzten kann. Dazwischen ein Solo eines jungen (schwulen?), unglaublich schönen spanischen Tänzers (die Verbindung zu den Transen ist echt auch bissel schwach...), und eine heterosexuelle Frau (was für eine Bezeichnung), die sich unter die Transen mischt und sich kaum mehr von ihnen abhebt, soll wohl die fliessende Grenze markieren. Blöd, ärgerlich, schade!

BOCK JOHN 20. Aug. 2010 / 24. Aug. 2010
FischGerätenMelkStand
Temporäre Kunsthalle, Berlin

+ toll, toll, toll war das!
Ein überforderndes Zuviel, eine Aufregung, ein Adventkalender, spektakulär und darin gar nicht schön, eine grosse Freude.
Vielen dank auch.

Und wahnsinnig lustig fand ich den Raum: „Mutter Tod mit Peperoni“ mit Marin Kippenbergers Arbeit „Schlecht belegte Studentenpizza gepollockt“, 1993

Und gut gefallen hat mir auch der zugeschissene Schweizer-Wander-Rucksack im umgekehrten Vogelhäuschen unter der Decke mit Klositzausblick

Und... ach, vieles war wirklich sehr erfreulich

LUKAS MICHAEL 31. Aug. 2010
Parkett, 2008 – 2010
Pfaueninsel, Berlin

+ Zum 200 Todestag der Königin Luise von Preussen hat die Stiftung der Preussischen Schlösser und Gärten Michael Lukas beauftragt, ein paar Künstler einzuladen, um vor Ort ein Werk zu realisieren.
Und nach meiner Belustigung über die kulissenhafte Ruinenschlossarchitektur vom Tischlermeister Brendel von 1797 sind wir dann ganz zufällig auf die Arbeit vom Kurator Lukas selbst gestossen.
Orange-violett eingefärbter Tartan markiert auf einer satt-grünen Lichtung einen im Boden eingelassenen Grundriss eines kleinen Schlösschens oder Jagdzimmers oder so. Fenster, Stützsäulen und ein kleines Türmchen sowie die Einlegearbeit eines Parketts sind unschwer herauszulesen, unklar bleibt mir die etwas stümperhafte Leiter in dem Turmrondell.
Tartan riecht toll, besonders bei Sonnenschein und wir drei ehemaligen Leichtathleten haben uns gleich mal bisschen an die Vergangenheit erinnert gefühlt und ein Nickerchen gehalten.

MUSIKFEST BERLIN 17. Sept. 2010
Pierre Boulez dirigiert Igor Strawinskys „Le Rossignol“
Philharmonie, Berlin

+ ich hab noch nie die Berliner Philharmoniker spielen hören und ich glaube Pierre Boulez erlebte ich zuletzt als Kind im Orchester meiner Eltern. Und erst wollte ich gar nicht hingehen, weil fürchterlich verkatert, und dann war ich komplett aus dem Häuschen. Ein Wahnsinn wie die spielen, ich konnte zum Beispiel die Übernahme der Basslinie von den zwei Harfen in die Cellis nicht erkennen und suchte im Orchester bei den Kontrabassisten. Beeindruckend wie dieses Riesenorchester so fein und exakt und mit welchen Abstufungsmöglichkeiten Klangfarben erzeugen kann. Echt irre. Und die Sopranfrau Barbara Hannigan war der Oberknaller. Die konnte unglaubliche Tönen produzieren, die tönte zwischendurch wie eine singende Säge oder aber hat sich ganz leise in ein Streichertutti eingefädelt bis sie schlussendlich ein Solo sang. Und der Strawinsky klang wie Debussy. Verrückte Welt.
Beim Rausgehen beschloss ich, mit dem Erbe meiner Grossmutter die nächsten paar Jahre Philharmonie-karten zu kaufen. Oder doch lieber reisen gehen?

DEAN TACITA 3. Sept. 2010
Craneway Event
Tanz im August, Hau 1, Berlin

+ Dean dokumentierte kurz bevor Cunningham starb, drei Tage die Endproben seines Stücks „Craneway Event“ in der unglaublich beeindruckenden Industriehalle am Hafen von San Francisco. Ein langsamer, zwischendurch etwas langweiliger Film, bei dem es gleichzeitig wahnsinnig viel zu schauen gab. Einerseits: was wird geprobt, wie stemmt ein 90-jähriger Cunningham im Rollstuhl eine Probe, wie wird kommuniziert, warum können sich Tänzer Veränderungen merken ohne sich Notizen zu machen (im Vergleich zu Orchestermusikern)... Anderereists: die Ford Factory mit der kompletten Glasfront zum Hafen, draussen wird entladen, neue Schiffe laufen ein, das zunehmend sich verändernde Licht... Und dann ist natürlich noch der leitende Blick von Frau Dean, der mir gar nicht aufgezwungen schien, sondern viel mehr das Gefühl vermittelte, dass ich Ähnliches beobachtet hätte. Tolle Tonspur, bei der die durch den Tanzboden künstlich hergestellten Hafengeräusche besonders gut hörbar wurden.

Roger Willemsen (© Esther Ernst)
Roger Willemsen (© Esther Ernst)
Eliasson Olafur (© Esther Ernst)
Eliasson Olafur (© Esther Ernst)
Das ungebaute Berlin (© Esther Ernst)
Das ungebaute Berlin (© Esther Ernst)
Platel Alain / Van Laecke Frank (© Esther Ernst)
Platel Alain / Van Laecke Frank (© Esther Ernst)
Bock John (© Esther Ernst)
Bock John (© Esther Ernst)
Lukas Michael (© Esther Ernst)
Lukas Michael (© Esther Ernst)
Musikfest Berlin (© Esther Ernst)
Musikfest Berlin (© Esther Ernst)
Dean Tacita (© Esther Ernst)
Dean Tacita (© Esther Ernst)
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