Jonathan Monk

Haus am Waldsee

2006:Dec // Melanie Franke

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12-2006
















Im Flüsterton wird eine Nachricht, vom Urheber erdacht, der Reihe nach weitergeflüstert, bis schließlich der Letzte das bei ihm Angekommene verkündet, zumeist unter Gekicher, denn nur noch wenig ist vom Ursprünglichen geblieben. Die Komik dieses Kinderspiels basiert auf einem Differenzphänomen, einer im Verlauf entstandenen Lücke zwischen dem ursprünglich Gesagten und dem durch viele Münder Verformten.

Gleiches kann für das Vorgehen von Jonathan Monk gesagt werden, denn er nimmt das ursprünglich Gesagte der Kunstgeschichte, das Repertoire an Geschaffenem und kommentiert es, indem er es auf rekonstruierende Art verändert. Auflösen und damit Entschlüsseln vermag diese Rätsel nur, wer jene Fäden, die der Künstler zu einem neuen Muster verflochten hat, aus dem Original kennt. Für alle anderen ist es weniger lustig.

In unterschiedlichen Medien findet dieses Vorgehen in der gegenwärtigen Ausstellung im Haus am Waldsee Formen, seien es Installationen, Zeichnungen, Bilder oder Filme auf ratternden Super-8w-Projektoren, die auf Kniehöhe positioniert zumeinst immer gleiche Einstellungen zeigen. 60 Minuten lang wird das Verdampfen eines heißen Tees in „The sublimation of desire, winter“ beobachtet.  Im Eingang der Ausstellung lehnt ein Grabstein versehen mit dem Geburtsdatum des Künstlers „A work in progress (to be completed when the time comes) 1969–(white)“. Allesamt sind diese Arbeiten in einem dichten kunsthistorischen Referenzsystem verwoben, beziehen sich immer auf bereits kanonisierte Werke. Dabei zitiert Jonathan Monk aus jenem Jahrzehnt, das bis heute gleichbedeutend ist mit Aufbruch, Ausbruch und Anarchie und das offen bleibt für nostalgische Erinnerungen einerseits und utopische Hoffnungen andererseits: den Sixties. „Die Künstler, mit denen ich mich auseinandersetze, sind stets präsent, heute vielleicht noch stärker als früher. Ich finde irgendwelche Hintertürchen und nutze sie. Das heißt, dass ich jeweils den Aspekt einer Arbeit verfolge, der entweder zu offensichtlich oder aber nicht erkennbar ist.“ Ein Beispiel für jenes hintersinnige Zitieren ist die Arbeit „The missing letter“: fünf Luftpost-Briefumschläge, allesamt adressiert an die gleiche Anschrift, wurden am gleichen Tag an den italienischen Arte-Povera-Künstler Alghiero Boetti nach Rom versandt. In der Ausstellung hängen diese Kuverts in sechs Rahmen, der letzte ist leer. Auffallend sind die gleichen Briefmarken auf jedem Umschlag, jeweils in anderer Reihenfolge aufgeklebt. Es scheint nicht verwunderlich, dass alle Briefe ihren verstorbenen Empfänger nicht erreicht haben und mit einem Vermerk ‚sconosciuto‘ (unbekannt) zurückgesandt wurden. Alle, bis auf einen, der scheint verloren oder doch irgendwo angekommen. Mit dem Umordnen von Briefmarken und dem Einbeziehen des Postsystems in das künstlerische Verfahren zitiert Monk jenes Vorgehen, welches Alighiero Boetti selbst in den sechziger Jahren mit Postversand-Aktionen wie „Settecentoventi lettere“, „Centoventi lettere“  und „Otto lettere dall’Afghanistan“ einsetzte. Dabei wurden alle möglichen An- und Umordnungen nach Farben durchgespielt und ergaben so die maximale Anzahl der zu versendenden Briefe. Das methodische Verfahren Boettis rekonstruierend, verwandelt Monk den Urheber in einen Empfänger und dreht die Autorschaft posthum einfach um. Hier öffnet sich genau jene Lücke, die in dem Fehlen des sechsten Briefes „The missing letter“ ihre physische Existenz findet. Leerstellen dieser Art füllen die Ausstellung. Denn ähnlich wie mit Boetti verfährt er auch mit den Kuben von Sol LeWitt und Dan Graham oder mit Methoden serieller Reihung der Minimal Art.

Letztlich kreist das für die Ausstellung zusammengetragene Konvolut um Fragen von Autorschaft in der Kunst und Originalität per Signatur im Werk. „My name written in my piss“ zeigt Jonathan Monk, wie er seinen Namen in einen Sandstrand uriniert. Kunsthistorikern fallen bei dieser Geste alle möglichen Referenzen von Marcel Duchamps ‚falsch‘ signiertem Urinoir bis hin zu Jackson Pollocks Drippings und Andy Warhols Piss Paintings ein, die Jonathan Monk mit seiner lapidaren Geste ironisch zu kommentieren scheint. Diese Haltung trägt er weiter, indem er den Kuratoren, in diesem Falle Katja Blomberg, die Aufstellung seiner Installationen überlässt und diese so für eine weitere Ebene der Autorschaft öffnet. Schließlich war es die Kuratorin, die das Fahrrad auf dem Flügel positionierte. Es ruht auf Lenker und Sattel, die Räder werden per Motor betrieben, allerdings gegenläufig. „Constantly moving whilst standing still“ – vorwärts und rückwärts zugleich, was eigentlich zum Stillstand führen müsste. Es dreht sich trotzdem und dieses Trotzdem ist jene durch ‚Stille Post‘ entstandene Lücke, die den Umgang mit dem schweren Erbe der Sixties erträglich, ja sogar komisch macht. 

Jonathan Monk, „Yesterday, Today, Tomorrow etc.“
Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30,
8.12.2006‒18.2.2007
Jonathan Monk: „Constantly moving whilst standing still“, 2005, Collection Dr. Paul Marks, Toronto, Canada (© Heinz Pelz)

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