Die Dekade der Nuller

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2008:Jul // Andreas Koch

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07-2008
















Abdruck der Eingangsthesen zur besprochenen Veranstaltung

„Die Nuller – Ein Versuch der Definition einer zu Ende gehenden Dekade anhand ihrer künstlerischen Zeugnisse“  


1. Die aktuelle Biennale in Berlin trägt den Titel „When Things Cast no Shadow“, wenn Dinge keinen Schatten werfen. Die Interpretation der Kuratoren geht von zwei Zuständen aus, wo dies der Fall sein kann: Entweder steht die Sonne im Zenit, oder es ist nachts. Was aber ist, und diese Idee kam mir beim Anschauen der Biennale, wenn die Dinge selbst die Schatten wären, nichts als Schatten der vorangegangenen Zeit, Schatten der Werke, die bis jetzt geschaffen wurden, Schatten der Kunst. 

2. Während in den 90er Jahren die Kunst versuchte ihre Grenzen zu überschreiten und angrenzende Gebiete wie Design (Tobias Rehberger) und Musik (Carsten Nikolai) oder fernere Berufswelten wie die der Küchenchefs (Rirkrit Tiravanija), der Trödelverkäufer (Christine Hill) oder der Zoologen (Carsten Höller) imitierte, besetzte, transferierte und dadurch oft unsichtbar wurde, benutzt die Nuller-Jahre-Kunst im Gegenteil primäre Merkmale der ‚modernen‘ Kunst, um sich unmissverständlich als solche auszuzeichnen.  

3. Es fand z.B. ein Revival des Sockels, der Bronzeskulptur, des 16-mm Films, des expressiven Farbauftrags oder der Collage statt. Die Unterschrift des Künstlers wanderte wieder auf die Vorderseite. Skulptur ist wieder als klassische, abgegrenzte Skulptur sichtbar. Man könnte all diese Merkmale auch mit dem Wissen des allgemeinen kunstfernen Betrachters gleichsetzen. So sieht moderne Kunst eben aus. Und sie sieht in den nuller Jahren aus wie aus den Zwanzigern, Fünfzigern, Siebzigern oder Achtzigern. Als würden die nuller Jahre eine allgemeine basale Ikonographie der Kunst reproduzieren wollen.  

4. In der Mode oder auch mittlerweile in der Musik redet man statt von Retro, lieber von Vintage. Ich schlage vor diesen Begriff auch auf die nuller Jahre zu übertragen: Vintagekunst.  

5. Oder Bühnenkunst. Als würden Kunst und Künstler gespielt werden, als würde man für den nächsten Tatort in Filmwohnungen die Kunstausstattung im Hintergrund herstellen und im sozialen Leben die exzentrisch-neurotische Diva oder das alkoholisierte pinselschwingende Kreativmonster mimen, erscheint die Nuller-Jahre-Kunst wie eine Kulisse mit Bühnenkünstlern, gerade weil die Primärmerkmale so überbetont benutzt werden. 

6. Die Kunsträume wachsen mit. Als wenn das Museale zur Kunst gehören würde, wie die Bühne zum Theater, und als würde sie sich sonst nicht als Kunst auszeichnen, werden die meisten Präsentationsräume museumsähnlich ausgebaut: Hohe weiße Wände, weite Hallen, viel Platz für ein Maximum an Aura. Der Projektraum der Neunziger mit seinen raumbezogenen Installationen verschwindet zunehmend. 

7. Alle möglichen Formen die im Kanon der Moderne ihren Platz haben, werden gefunden und neu arrangiert. Die Maler und Bildhauer grasen die formalen Oberflächen ab, die Konzeptkünstler graben alte Geschichten, Künstler oder Architekten wieder aus. „Romantischer Konzeptualismus“ meint zu oft romantischen Rückbezug auf Kulturgeschichte, denn emotionale Konzepte. 

8. Bezugs- oder Referenzkunst. Natürlich bewegt man sich in der Kunst immer auch mit den zuvor geschaffenen Sprachen der Kunst, gibt es immer Bezüge, sei es zur eigenen Arbeit oder zu Werken anderer. Wenn aber das neue Werk nur noch aus Bezügen besteht, fehlt die Möglichkeit einen weiteren Schritt zu tun. Man landet dann bei ähnlichen Rezeptionen wie bei aktueller Musik. „Klingt wie Franz Ferdinand, gesungen von Nena mit etwas Elektronikgefrickel á la Kreidler“. Nur dass das Anhören von Musik direkter und eindringlicher ist als das Anschauen von zeitgenössischer Kunst und in der Kunst das Erlebnis auch über Erkenntnis erzeugt wird. 

9. Wenn man in den Nullern hauptsächlich über oder mit den Bezügen der letzten 100 Jahre arbeitet, dann bleibt als Trost, dass das nicht die nächsten 100 Jahre so weiter gehen kann, dass das irgendwann hohl drehen muss. Werke, die sich auf die Nuller-Kunst beziehen bleiben schwer vorstellbar, denn wer will schon als x-tes Referenzglied sich hintenan stellen – eine Arbeit über eine Arbeit, die über die Arbeit einer Designerin der 30er Jahre referiert, wird es hoffentlich nicht mehr geben. 

10. Natürlich freut das die Kunsthistoriker, denn sie können nun ihr Wissen ausspielen und alle Bezüge, die die Künstler wissentlich oder unwissentlich legen, wieder entheddern.  

11. Nach Wolfgang Ullrich wird etwas am ehesten als Kunst angesehen, wenn es vielseitig interpretierbar ist. Er bezeichnet diesen Zustand als „Jokerfunktion“. Dies trifft vermehrt auf die Nuller-Jahre-Kunst zu, denn obwohl sie hauptsächlich aus gesampletem Material besteht, bleibt sie eben wegen der Vielzahl an Verweisen merkwürdig aussagearm. Dazu passt es, dass gerade von der TZK-Fraktion Kunst- und Gestaltungshermetiker wie Cosima von Bonin oder Nairy Baghramian so gehypt werden, steht sich doch hier bezugsvolle Offenheit und gleichzeitige Aussage­losigkeit gegenüber und kann von den Theoretikern in beliebig viele Richtungen gezogen werden. Die Aura als Kunstwerk wird dadurch nur vergrößert. Und wie gesagt: Es ging in den letzten Jahren hauptsächlich um dieses Sich-Selbst-Behaupten als Kunstwerk.   

12. Natürlich freut sich auch der Sammler. Zu gut passen all die Dinge zusammen. Endlich wieder Sockel, die man im Wohn- oder Ausstellungsraum neben Möbelklassiker, die man meist vor der Kunstsammlung kaufte, stellen kann. Warum keine Strunz, neben ein Sarcevic-Mobile hängen und einen schwer gerahmten Meese, neben zwei, drei Hofer-Zeichnungen.  

13. Sind all die Geschichten, die zum Beispiel auf der jetzigen Berlin Biennale ausgebreitet werden, nicht besser in Büchern aufgehoben, denn als schicke Designbasteleien zu besserer Interieurgestaltung zu taugen?  

14. Gleichzeitig fällt eine relative Absenz von Humor und Ironie auf, da sich die Nuller-Jahre-Kunst in ihrer Inszenierung ernst nehmen muss, um ernst genommen zu werden.  

15. Was fehlt? Der Bezug zum Jetzt, zur Gegenwart. Das ist hochkultureller Manierismus in einer ewig dahinwabernden Postmoderne, das ist hochkulturelle Langeweile.
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