„Bin ich faul?“

Ein Selbstgespräch

2011:Dec // Andreas Koch

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12-2011
















von hundert / Zuerst vorweg, warum wählst du für dein Selbstporträt das Format des Interviews?
Andreas Koch / Wahrscheinlich weil’s am Einfachsten ist. Man kann recht einfach Schnitte durch Fragen setzen, muss sich keine Übergänge überlegen. Außerdem lese ich Interviews gerne, man zappt sich einfach in ein Gespräch und unterhält sich für ein paar Minuten ohne sich zu unterhalten. Zurzeit lese ich unheimlich viele Lars-von-Trier-Interviews. Der geht oft recht weit und offenbart sich dem jeweiligen Interviewer scheinbar komplett. Die sind dann auch immer total glücklich am Schluss. Im letzten Tip war das sogar als Psychoanalyse-Stunde konzipiert.

von hundert / Also willst du hier auch die Hosen runterlassen?
Andreas Koch / Mal schauen. Interviews sehen ja nur so aus, sind am Ende aber doch extrem kontrolliert. Meist wird das Beste wieder rausgestrichen. Wenn ich es mit mir selber führe, kann ich das natürlich noch besser steuern.

von hundert / Ok, dann steigen wir mal wieder runter von der Metaebene. Glaubst du, du bist faul?
Andreas Koch / Wegen meiner ersten Antwort oder warum? Aber du hast recht, etwas faul bin ich schon manchmal. Das klingt aber so gemütlich nach langem Ausschlafen und den Tag am liebsten verbummeln. Nee, eigentlich mache ich ja extrem viel, um meine zeitweilige Antriebsarmut zu überwinden. Ich brauche Dichte um auf Betriebstemperatur zu kommen. Wenn ich ein paar Tage nichts tue oder zu wenig, falle ich in tiefere Löcher. Das war schon während meinem Kunststudium so, ich hatte einfach zu viel Zeit …

von hundert / Und jetzt, hast du immer noch zu viel Zeit? Deinen Abschluss an der Kunstschule machtest du ja schon vor über 13 Jahren.
Andreas Koch / Na ja, die Zeitfrage hat ja auch viel mit Inspiration und Langeweile zu tun, und manchmal ist mir wirklich etwas langweilig. Das kann jetzt arrogant klingen, meint aber das Gegenteil, denn es liegt hauptsächlich an mir und meinem Interesse, eben meiner Inspiration. Ich wohne jetzt seit fast zwanzig Jahren in der gleichen Stadt, im gleichen Viertel, der zwanzigste Berliner Winter naht…

von hundert / Jetzt kommt gleich das Prenzlauer-Berg- Bashing, oder?
Andreas Koch / Nicht wirklich, es ist wirklich die einzige Stadt, in der ich mir vorstellen kann zu leben und auf’s Land will ich erst recht nicht. Ich bin hier in Mitte-Prenzlauer Berg schon fast seit der Wende, vielleicht zwei Jahre zu spät, wie man mir schon damals sagte. Ich habe alle Veränderungen mitbekommen, die zwar enorm waren, aber wenn man drinnen steckt auch irgendwie unmerklich. Stimmt, es sieht hier jetzt wirklich anders aus und ist wohl verbürgerlichter als das Charlottenburg der frühen 90er und dazu noch viel weniger durchmischt. Ich wohne hier aber in einer Kommune in der Kastanienallee mit zwanzig anderen Erwachsenen und zehn Kindern bei einer Küche. Auf der anderen Seite erfülle ich auch die meisten Klischees über die Bewohner hier, Kreativberufler, Kinder, Schwabe, LPGler. Wenn ich jetzt im Herbst durch die Straßen gehe, sieht das aus wie in einem weichgezeichneten amerikanischen Liebesfilm, alle in hübschen Strickwaren, Coffee-to-go, Blätterrascheln. Das ist schon super kitschig. Aber ich bin lieber schlecht angezogen in einem zu hübschen Umfeld, als andersherum. Außerdem würde ich nie nach Kreuzberg wollen, jetzt wo wir die Hypewelle in der Kastanienallee gerade überstanden haben.

von hundert / Du brüstest dich damit, vier Berufe gleichzeitig zu machen, du bist außer Künstler noch Grafiker und Buchgestalter, Schreiber und Herausgeber und zudem Lehrender, da kann es einem doch nicht langweilig werden, die Frage ist doch viel eher, wie schaffst du das, du hast doch auch noch Frau und zwei Kinder?
Andreas Koch / Stimmt, die Frage höre ich auch öfter. Oft antworte ich, dass ich eigentlich Professionalisierungsgegner bin und mich den eigentlichen Strukturen des jeweiligen Berufes verweigere, also den Hierarchien, dem ganzen Tamtam, den man glaubt ausfüllen zu müssen, wenn man einen Beruf ergreift. Das stimmt natürlich auch nur halb. Aber als Grafiker habe ich zum Beispiel keine Website, oder in der Hochschule kenne ich jetzt außer meinem Seminar und den Kollegen der Grundlehre auch niemanden. Ich geh da zum unterrichten und verschwinde wieder. Das spart natürlich Zeit. Als Grafiker rufen mich nicht allzu viele ungefragt an, ich fange kaum Projekte an, die hoffnungsvoll klingen und auf halbem Weg verhungern, lehne viel ab. Was mich dann immer jeweils interessiert, ist das Resultat, das sichtbare Resultat, nicht der scheinbare Prozess und das So-tun-als-ob und was das für mein jeweiliges Standing bedeutet. Ich bin also extrem produktorientiert – das nächste Buch, das dann auf dem Tisch liegt, die nächste von hundert, meine nächste Ausstellung mit hoffentlich neuen Arbeiten und daran habe ich den Anspruch, dass es gut sein muss. Wenn aber fast alles ein sichtbares Resultat erzeugt, was man macht, dann sieht das auch schnell nach viel aus. Andererseits arbeite ich auch immer lang und hart an den Resultaten. Ohne meine Freundin Kerstin Gottschalk, die mir den Rücken frei hält, wäre das auch nicht möglich.

von hundert
/ Wie lange arbeitest du?
Andreas Koch / Im Schnitt so um die sechzig Stunden die Woche, das klingt viel, fühlt sich aber nicht so an, weil es sich nur manchmal nach Arbeit anfühlt. Außerdem hat eine Woche 168 Stunden. Ich schlafe normal sieben Stunden, ein paar Mittagsschläfchen in der Hängematte inklusive. Bleiben immer noch 60 Stunden übrig, das sind über acht Stunden pro Tag. Ich habe eigentlich nicht das Gefühl, meine Kinder zu wenig zu sehen. Obwohl Kerstin natürlich mehr macht und wir aufpassen müssen, dass wir nicht in dieser klassischen Rollenverteilung landen.

von hundert / Dann ist die Frage vielleicht nicht wie, sondern warum, warum machst du das alles?
Andreas Koch / Ich glaube jeder hat mehr Fähigkeiten, als ihm dann im Berufsleben abverlangt werden. Das war mir immer zu spezialisiert und ich dachte, in der Kunst kannst du dann wenigstens alles machen. Was ja dann auch nicht stimmt. Man kommt über die Zeit zu einer Art Werk, das weiterwächst und irgendwie aufeinander aufbaut und einiges ausschließt. Ich habe schnell all mein gestalterisches und kompositorisches Verlangen in die Grafik gesteckt. Da bekomme ich eine Aufgabe und löse sie so schön und interessant wie möglich. Da schiebe ich Bilder und Textblöcke rum, lasse mir Illustrationen einfallen etc. … Außerdem ist es eine gute Art, sich dem Werk eines Künstlers zu nähern. In meiner Kunst geht es konzeptioneller um Wahrnehmungsfragen. Wie sehe ich die Welt, wie schaut sie zurück … Ich überlege lange, was das nächste Ding werden könnte und fange dann irgendwann an. Das sind dann mehr Problembewältigungen in der Realisation, die dann auf mich zu kommen. Das ist aber auf jeden Fall der autistischste meiner Berufe.

von hundert
/ Deshalb dieses Heft hier?
Andreas Koch / Auch, ja. Ich machte ja früher auch noch eine Galerie, da interessierte mich am meisten der soziale Aspekt, das sich dazu zwingen, sich mit anderen Künstlern und deren Arbeit auseinanderzusetzen. Kunst verkaufen interessierte mich dagegen nur wenig, da muss man sich zu sehr mit reichen Leuten und Hierarchien beschäftigen. Achtzig Prozent der Reichen sind gestört. Die eine Hälfte von denen kam durch extremen Ehrgeiz zu Geld, arm aufgewachsen und ich zeig’s allen. Die anderen waren schon immer reich und sind krankhaft misstrauisch gegenüber allen mit weniger Geld. Die „von hundert“ ist auch so eine Art Galerie-Methadon für mich, die Release-Partys sind Ersatz-Vernissagen. Die „von hundert“ ist aber abgesehen von meinen alltäglichen Belangen und Eitelkeiten ein wichtiges freies Organ in der Berliner Kunstszene, hoffe ich zumindest. Mehr Transparenz in diesem noch harmlos als Vetternwirtschaft zu bezeichnenden Kunstbetrieb ist das Mindeste, was man fordern und leisten kann. Gerade die Artikel zum Berliner Art Forum oder zum Index sind mir sehr wichtig.

von hundert / Aber karriereförderlich ist das alles nicht, oder?
Andreas Koch / Nee, klar. Das sind natürlich unmögliche Spagate. Am verdrehtesten war es vielleicht, gleichzeitig Künstler und Galerist zu sein. Aber mittlerweile bin ich da durch und weil ich eben schon seit vielen Jahren als nebulöser Vielberufler auftrete, wird das akzepiert. Ich bin mit meinen semierfolgreichen Karrieren auch zufrieden und will gar nicht mehr, sonst müsste ich die ein oder andere Tätigkeit einstellen. Wenn ich mit dem Heft und den Texten jemanden auf den Schlips trete, kann mir auch nicht so wahnsinnig viel passieren, da verliere ich maximal einen Kunden oder werde zu einer Ausstellung eben nicht eingeladen. Das wäre natürlich anders, wenn ich nur Künstler wäre und zudem finanziell von meinen künstlerischen Arbeiten abhängiger. Ich bin jetzt bald zweiundvierzig Jahre alt, die Riesen-Start-up-Karriere lege ich als Künstler nicht mehr hin, muss ich ja auch nicht. Mir reicht es, wenn ich Möglichkeiten habe, hin und wieder meine Arbeiten zu zeigen.

von hundert / Das heißt, du truddelst so vor dich hin, machst mal hier ein Büchlein und dort ein Kunstwerkchen, vielleicht wird es dir deshalb manchmal langweilig und du solltest doch mehr riskieren?
Andreas Koch / Ach hör auf, jetzt kommt gleich wieder die Hobby-Keule. Nein, ich kann mir die Konsequenzen einer Karriere in jeder meiner Tätigkeiten genau vorstellen, kenne genug Leute, die das auch machen. Ich würde zuviel aufgeben, was mir lieb geworden ist. Ich will keine Kontra- Monopol-Zeitschrift leiten und für 50.000 Euro Anzeigen aquirieren lassen. Ich will keine Design-Agentur, in die ich morgens reinschneie, um die Entwürfe meiner Mitarbeiter zu korrigieren und ich will auch nicht alle zwei Monate in den Flieger steigen, um die neuesten Produkte meines Kunstateliers einzuweihen. Ich glaube, ich bin ein ganz schlechter Deligierer, es macht mir keinen Spaß, den halben Tag zu telefonieren, zu mailen, zu organisieren. Ich will alles selber machen.

von hundert / Also Psychoanalyse ist das hier jetzt eher nicht geworden, eher Alltagshardedge … Hast du das nicht so oder so ähnlich erst kürzlich bei der Vorstellung vor deinen Grundlehrestudenten serviert?
Andreas Koch / Du meinst, das ist verwerfliche Zweitverwertung? So what? Auch ein Grund, warum ich mehrere Sachen gleichzeitig schaffe. Aber ich muss jetzt weitermachen.

30.JPG (© Andreas Koch)
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