Philip Wiegard

Laura Mars Grp.

2007:Jul // Sebastian Preuss

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07-2007
















Wir können nur spekulieren, was Alberti und Leonardo von diesem Berliner Skulpturenbauer gehalten hätten. Denn Philip Wiegard macht sich die zentralperspektivische Verkürzung, mit der die Universalkünstler und Theoretiker der Renaissance die europäische Malerei und Grafik so nachhaltig revolutionierten, in ganz eigentümlicher Weise zum Mittel. Dabei verbirgt der 30-Jährige die Raffinesse seiner Methode hinter einer eher banalen Ikonografie: Stühle, Sessel, Pommes Frites, so dargestellt, wie diese alltäglichen Dinge eben aussehen. Auf den ersten Blick Realismus pur, doch einer, der es in sich hat. Wiegard zeigt die Gegenstände so, wie wir sie eigentlich auf Gemälden oder Zeichnungen sehen würden. Sie sind perspektivisch verkürzt wie illusionistische Bilder, die auf einmal zur dreidimensionalen Wirklichkeit geworden sind. Die meisten von Wiegards Objekten könnte man auch als Readymades bezeichnen - wenngleich vielleicht nicht unbedingt in Duchamps Sinn, denn der passionierte Bastler sucht vorzugsweise Stühle, Sessel, Tische und andere Möbel auf dem Sperrmüll, sägt sie auseinander und setzt sie neu zusammen. Wiegard dekonstruiert die physische Realität der Dinge, verbiegt, verkürzt oder streckt sie. Es ist ein "Morphing" wie im Comic oder in einer optischen Täuschung unter Drogenrausch.

Jeder, der schon einmal im Möbel Olfe am Kottbusser Tor war, kennt die Polstergarnitur, die wie ein Denkmal des kreativen Müßiggangs auf einer Plattform über dem Eingang zur Damentoilette thront. Schräg wie manches in dieser Bar, urteilte einst ein Kritiker der taz. Hier stauchte Wiegard die Sessel zusammen, dass niemand mehr darauf sitzen könnte, und arrangierte das Ensemble wie ein Renaissance-Relief in nach oben geklappter Perspektive. Man spürt Wiegards Lust, mit Händen und Werkzeug und im lebensgroßen Maßstab das nachzuschaffen, was andere nur mit dem Pinsel, dem Computerprogramm oder in ihrer Fantasie zustande bringen. So ließ er für den Club Transmediale 2006 eine riesige Portion gelber Holz-Pommes aus einem Pfeiler des Maria am Ostbahnhof wachsen. Die verführerische Illusion erfreut jetzt auf Dauer die Besucher des Basso. Um das Aufblasen allbekannter Alltagsmotive, deren Nachformen im Bastelmaterial ging es Wiegard auch, als er 2005 mit Christoph Ziegler die Außenfront von Laura Mars mit einem riesigen Relief verkleidete. Aus Holz, Spanplatten und gefundenen Baumaterialien wurden Formen von Ghettoblastern, Tapedecks, Waschmaschinen zitiert, bis hin zu Fassadendetails des typisch Kreuzberger Mietshauses, in dem die Galerie residiert: eine begehbare öffentliche Motivcollage, an der Kurt Schwitters und die Dadaisten ihre Freude gehabt hätten.

Für seine jüngste Ausstellung bei Laura Mars schuf Wiegard wieder einige seiner verformten "Readymades". Gelbe Stühle führen an der Wand einen burlesken Tanz auf. Sie wackeln mit der Hüfte, heben die Schulter und haben sich kokett ein gelbes Handtuch übergeschlungen. Wiegard hat die Objekte so exaltiert in Szene gesetzt, dass man in der Tat glauben könnte, sie seien jetzt nur für einen Moment erstarrt, um gleich danach weiter zu swingen. Ein ähnliches Spiel treibt der Künstler mit einigen verbogenen Fahrradkörben, die wunderbar leicht vor der weißen Mauer schweben. Zugleich beschreitet Wiegard einen anderen Weg. Das Hauptwerk der Ausstellung ist ein über drei Meter breites Relief aus Wellpappe, dessen verschlungene Bänder man nur als Spaghetti identifiziert, wenn man es weiß. Hier wird der Bildgegenstand der Stilisierung, ja auch der Abstrahierung unterzogen. Ganz offensichtlich erprobte der Bildhauer - er selbst nennt sich lieber "Baumeister" - hier unterschiedliche Möglichkeiten der plastischen Darstellung. Mit seinem Realismus zwischen Pop, Dada und surrealer Verfremdung hat Philip Wiegard hat das Medium der Skulptur virtuos und eigenwillig aktualisiert. Wie dumm von den Kuratoren in Münster, dass plastische Objekte wie seine bei den "Skulptur Projekten" überhaupt nicht vertreten sind. Eine höchst zeitgemäße Strömung wurde damit ausgeblendet.

Philip Wiegard
Laura Mars Grp.
Sorauer Straße 3
8.4.-8.6.2007
Ausstellungsansicht bei Laura Mars Grp., 2007 (© All pictures copyright artist, Courtesy Laura Mars Grp.)
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