Gespräch mit Silke Wagner

2008:Nov // Raimar Stange

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10-2008
















Raimar Stange  /  Kommt deine Show nicht arg chic daher?

Silke Wagner  /  Ich wurde eingeladen die Ausstellungs- und Vermittlungsstrukturen des n.b.k. und seiner beiden Sammlungen – Artothek und Videoforum – zu thematisieren. Mit den beiden Arbeiten „Roland“ und „Ellen“verfügt der n.b.k. jetzt für die nächsten drei Jahre über eine flexibel einsetzbare skulpturale Präsentationsform für seine Sammlungen. Thematisch bezieht sich die Ausstellung auf die 60er und 70er Jahre und damit auf die Anfänge der Videokunst und auch die Gründungszeit des n.b.k. Die formale Umsetzung der Ausstellung entwickelte sich auch aus der Auseinandersetzung mit den bisherigen Ausstellungs- und Präsentationsformen des n.b.k., der räumlichen und strukturellen Situation und natürlich auch mit der inhaltlichen Neuausrichtung des Kunstvereins durch Marius Babias. Es wäre interessant zu erfahren, mit welchen Erwartungen Du gekommen bist?

Stange  /  Ach, mit den ERwartungen bin ich vorsichtig, SIE werden so oft enttäuscht. Was ich mit ‚chic‘ meine, ist vor allem das silberne Neon deiner politischen Zeichen, deiner ‚Logos‘ etwa für Woodstock, das doch ziemlich gut zu dem schwarzen, glänzenden Outfit von dem, im gleichen Raum stehenden, Displaysystem „Ellen“ passt. Wie ist bei dieser, sicherlich nicht ungewollten, Eleganz deine Strategie?

Wagner  /  Thematisch standen, wie bereits erwähnt, die beiden Sammlungen des Hauses im Mittelpunkt und damit Fragen der Präsentation und Definition von öffentlichen Bereichen innerhalb der Institution. Ziel war es den Sammlungen eine stärkere Präsenz und Öffentlichkeit zu geben. Eine Art Bestandsaufnahme zur Eröffnung. In den Ausstellungsräumen liegt der Schwerpunkt auf dem Videoforum. Es werden ausgewählte Videoarbeiten, von Martha Rosler, Lynda Benglis, Gerry Schum, John Baldessari u.a. aus den 60er und 70er Jahren der Sammlung des n.b.k. gezeigt. Diese Zeit steht politisch u. a. für die Entwicklung der neuen sozialen Bewegungen. Die zehn ausgestellten weißen Neonarbeiten zitieren an Hand von Logos oder Slogans gesellschaftspolitische Fragen und Entwicklungen dieser Zeit und sind gleichzeitig die Lichtquellen im Raum. „Ellen“ ist aus rauchgrauem Plexiglas produziert und in der Ausstellung Display für die gezeigten Videoarbeiten. Die Transparenz des Plexiglas, ermöglicht es mit „Ellen“ Farbverläufe und Doppelungen rein durch das Stecken der Skulptur zu erzeugen, die Spiegelungen auf der Skulptur verbinden die Filme und die Neon­arbeiten. Die Umsetzung und die Materialität und damit die visuelle Ästhetik einer Arbeit ist ein wichtiges Element und Teil des Ganzen. Sie muss von Kontext zu Kontext neu entschieden und gedacht werden. Dabei muss auch die Spezifik des Ausstellungsortes mitreflektiert werden. Der n.b.k. war bisher, meiner Wahrnehmung nach kein Ort der durch – um Dein Wort zu benutzen – Eleganz aufgefallen ist.

Stange  /  Und das wolltest du, zumindest im unteren Raum, konterkarieren?

Wagner  /  In der Artothek im ersten Stock ging es darum einen respektvollen Umgang mit den Arbeiten der Sammlung zu finden, der gleichzeitig die NutzerInnenbedürfnisse berücksichtigt. In den Ausstellungsräumen selbst war es der Versuch einen Neuanfang zu markieren, der, um nochmals auf die Erwartungen zurückzukommen, vielleicht auch formal überrascht.

Stange  /  Okay, du umgehst meinen Vorwurf das deine Ausstellung zu chic sein könnte, also lass uns einen anderen Zugang versuchen. Vielleicht erzählst du mal etwas genaueres zu der Auswahl der zehn politischen Events, die du dann mit den Neonarbeiten symbolisiert hast?

Wagner  /  Die 60er und 70er Jahre waren in den westlichen Demokratien geprägt durch Studenten-, Arbeiter- und Bürgerrechtsbewegungen. Ausgehend von den USA, über Frankreich, Deutschland bis in die Tschechoslowakei kam es zur Politisierung vieler Menschen. Es ging um Fragen der Gleichberechtigung, mehr sexuelle Freiheiten, den Kampf gegen Autorität in Bildung und Erziehung, Versuche von Selbstbestimmung durch Selbstorganisation und das Erzeugen von Gegenöffentlichkeit. Die Tet-Offensive in Vietnam, die Anti-Springer-Kampagne in Berlin und der Generalstreik in Paris, – all das fand fast zeitgleich statt. Die Neonarbeiten verweisen mit ihren Motiven und den benutzten Slogans auf dieses Stück ‚linke‘ Zeitgeschichte und stellen so den politischen, zeitgeschichtlichen Kontext zu der Entstehung von den, in der Ausstellung gezeigten, Videoarbeiten her.

Die Neonarbeiten beziehen sich unter anderem auf folgende historische Ereignisse:

13.05.1968 (Fabrik-Schornstein mit einer Schreibfeder): Mit einem Generalstreik schlossen sich die ArbeiterInnen in Frankreich den Studentenprotesten an. Die Fabriken Frankreichs waren von Millionen Streikenden für einen Monat lahmgelegt.

15.04.1960 (Taube deren Flügel zu einer Faust werden): Das Datum des ersten Ostermarsch in der Bundesrepublik.

18.08.1970 (zwei ineinander verschränkte Arme): Angela David wird 1970 die indirekte Beteiligung an einem tödlich endenden Befreiungsversuch von afroamerikanischen Gefangenen aus einem kalifornischen Gerichtssaal vorgeworfen. Am 18. August wurde sie auf die Fahndungsliste der „Zehn Meistgesuchten“ gesetzt. Ihre Inhaftierung löste eine weltweite Solidaritätsbewegung aus.

08.10.1969 (Regenbogen mit Blitz): Vom 8. bis 12 Oktober 1969 fanden die „Days of Rage“ in Chicago statt. Organisiert wurden sie von den Weathermen. Die Demonstrationen richteten sich gegen den Vietnamkrieg.

04.03.1975 (Frauenzeichen aus den Worten „This is not a love song“): Am 4. März verübten Frauen der Revolutionären Zellen einen Brandanschlag auf das Bundesverfassungsgericht. Ihr Protest richtete sich gegen die Unterdrückung der Frauen durch das Abtreibungsverbot.

Stange  /  Diese Auswahl hat dir von der Kritik den Vorwurf der „Nostalgie“ gebracht. Wie stehst du dazu?

Wagner  /  Gerade im Rahmen der Neuausrichtung einer Institution, ist es meiner Meinung nach wichtig die vorhandenen Möglichkeiten und Ressourcen zu untersuchen und ernst zu nehmen. Daraus resultierend können dann die inhaltliche Neuausrichtung und neue Modelle der Vermittlung und Präsentation entwickelt werden. Die Ausstellung konzentriert sich auf das Videoforum, das 1972 gegründet wurde. Die Neonarbeiten, mit ihrer Auswahl der politischen Ereignisse, beleuchten die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung in der Anfangszeit der Videokunst und versuchen, die Videoarbeiten als Teil dieser Entwicklungen verständlich zu machen. Kunst lässt sich nicht von anderen gesellschaftlichen Praktiken trennen, sie entsteht in keinem Vakuum.

In den 60er Jahre wurde ein neues politisch-soziales Bewusstsein entwickelt, das bis heute wirkt. Themen die damals ins Blickfeld rückten, wie z. B. die Kritik an der Informationspolitik der bürgerlichen Medien und den Manipulationsmechanismen der Massenmedien, Fragen der Gleichberechtigung, Umweltfragen und der Ausstieg aus der Atomenergie, all diese Fragen sind auch heute noch relevant. Den Vorwurf der Nostalgie sehe ich gelassen.

Stange  /  Meine letzte Frage nimmt Bezug auf deine erste Antwort: „ich wurde eingeladen … zu thematisieren.“ Hast du dich irgendwie als „Dienstleisterin“ gesehen?

Wagner  /  Meine Arbeitsweise ist häufig sehr kontextbezogen und basiert auf intensiven thematischen Recherchen. Hier war der Untersuchungsgegenstand die Institution selbst mit ihren beiden Sammlungen und den damit verbundenen Strukturen und Präsentationsformen.

KünstlerInnen werden häufig eingeladen, eine neue Arbeit oder ein Projekt im Rahmen einer von den KuratorInnen festgelegten Ausstellungsthematik zu entwickeln. Ich sehe darin keinen Dienstleistungscharakter, sondern eher den Versuch, gemeinsam an einer Thematik zu arbeiten. Die Form und Intensität der Zusammenarbeit von Künstlern mit KuratorInnen bzw. den jeweiligen Institutionen unterscheidet sich von Projekt zu Projekt. Hier war auf Grund der Spezifik der Einladung von Anfang an eine enge Zusammenarbeit angestrebt. Da ich Marius Babias bereits aus anderen Arbeitszusammenhängen kannte und seine Arbeit schätze, habe ich das Angebot, am Neuanfang des n.b.k. mitzuarbeiten, angenommen. 

Silke Wagner
n.b.k.
Chausseestraße 128/129
8.7.–17.8. 2008
Silke Wagner (© Foto: Wolfgang Günzel)
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