Die Kunst der Nuller

Teil 1: Die Zacke

2008:Jul // Martin Germann

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07-2008
















Kurz vor dem kollektiven Aufbruch des gesamten Kunstsystems zu einem immer weiter prosperierenden Markt stand, eine emphatische Rückkehr zum Formalismus an, geradezu, als ob man sich nach den bild- und utopiegefluteten 90ern dem lästig gewordenen Diskurszwang entledigen wollte. Ein Kernelement diesbezüglichen Kunstschaffens ist die Dreiecksfläche, fortan mit Zacke betitelt, ist sie doch eine kaum vermeidbare formale Basis der Darstellung von etwas Abstraktem.  Kürzlich wurde von Klaus Biesenbach im Rahmen seiner „Vielflieger-Kolumne“ in der Zeitschrift Monopol kritisch angemerkt, dass ein weiteres Merkmal der nuller Jahre das stetig zunehmende Tempo sei, mit dem Kunst privat und professionell konsumiert werde, so etwa auf Kunstmessen oder Biennalen. Eine Entwicklung, die nicht von der Hand zu weisen ist, gibt es doch von allem immer mehr, mehr Ausstellungen, mehr Galerien, mehr Kunst, und all dies muss gekannt, gekauft, gesehen oder verkuratiert werden.

Für die Inflation der Zackenkunst sind beide Phänomene gleichermaßen relevant: die sukzessive Abwendung von diskursiver Einbettung und Kopplung, und die allgemeine Beschleunigung von Kunstkonsum- und -produktion. Wenn immer mehr Kunstwerke aus basalen, abstrakten Formen bestehen und sich zugleich das unterscheidbare Spektrum solcher Variationen erhöht, dann bietet die Arbeit an und mit der Zacke anscheinend ein unschlagbare Erfolgsformel: Die fixe und damit aufmerksamkeitsfördernde (Künstler-) Markenidentfizierbarkeit mitsamt dem unmissverständlichen Hinweis, eine Kunst zu sein, die den prallen Echoraum moderner Kunst im Handstreich reflektiert hat. Wie man an unserer Auswahl an illustrer Zackenkunst aus den letzten Jahren sehen kann, lassen die zahlreichen Ausmal-, Gestaltungs- und Variationsmöglichkeiten dieser Grundform zugleich unterschiedlichste Assoziationen für die Betrachter zu. Zwar werden die sogenannten „Sehgewohnheiten“ hier zur Abwechslung weniger irritiert, dennoch unterstreicht dies unsere Vermutung, dass die Zackenkunst der nuller Jahre prototypisch für eine neue Kunst affirmativer Verweigerung steht, ein Kunst des beredten Schweigens, die poetisch Jein raunt, und sich damit bestens für die Aufladung mit allem erdenklichen Sinn anbietet, ein schlaues „so sein“ inklusive.
Adorno-Zacken (© The Artist)
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