Joseph Beuys

Hamburger Bahnhof

2009:Feb // Christoph Bannat

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02-2009












Die große Joseph-Beuys-Ausstellung im Berliner Hamburger Bahnhof bestätigt einmal mehr den Verdacht, dass Beuys Arbeiten einen Hang zur Nekrophilie haben, wenn auch nicht im sexuellen Sinne. Seine bis aufs Skelett ausgedorrten Röntenbildfrauen, seine toten Hasen, stumpfen Erdtöne und wie mumifiziert wirkenden Menschen-Skulpturen nährten diesen Verdacht, während Beuys doch selbst immer das Leben predigte. So erinnern seine Badewannen in der Hamburger Kunsthalle (von 1960) auch eher an eine Requisite von H.R. Giger, dem Erfinder von „Alien“ (Monster aus dem gleichnamigen Film von Ridley Scott ), denn an ein freudiges Baden. Und liest man die ersten hundert Seiten des Ausstellungskatalogs ist der Tod ein zentrales Thema: „ …durch den Tod vollzieht sich das eigentliche Leben…“, dies oft im Zusammenhang mit der Christus-Figur. Und der Tod ist, so Beuys, „ …ein Mittel, um das Bewusstsein zu entwickeln, um zu einem höheren Leben vorzudringen…“. Und weiter, „ Solch eine Aktion,“ gemeint ist das acht Stunden lange Verharren in einer Filzrolle, „in der Tat jede Aktion, verändert mich radikal, in gewisser Weise ist es ein Tod, eine wirkliche Aktion und keine Interpretation“. Es ging Beuys um radikale Übergänge, verbunden mit Heilsversprechen. Er engagierte sich bei Gründungen von Parteien, u. a. 1967 der „Deutsch Studentenpartei“, 1970 der „Organisation für Nichtwähler – freie Volksabstimmung“, 1976 „Aktionsgemeinschaft unabhängiger Deutscher“ (AUD) und 1980 den „Grünen“. Beuys war kein Einzelgänger und er war sich der Magie seiner medialen Erscheinung und öffentlichen Auftritte, gemischt mit einer Portion Mystik, mindestens so bewusst wie Andy Warhol. Verkürzt: So stand der Europäer Beuys für das Sein, der Amerikaner Warhol für den Schein. Um das Sein kümmerten sich neben Beuys auch die „Wiener Aktionisten“. So zogen Otto Mühl und Hermann Nitsch mit formverwandten Aktionen Menschen an, die sich dann zu Gruppen formierten. Zur gleichen Zeit (1970) organisierte der Bhagwan Shree Rajneesh die Neo-Sannyas Bewegung. Entstanden waren diese Bewegungen aus dem Glauben an das Ende der Aufklärung, der in der Frage gipfelte: Wer denn nun die Aufklärung aufklärt. Eine Schlussfolgerung lautete, dass nur die bewusste Integration des Mystischen ins Leben die Menschen vor der totalen Unterwerfung unter das Diktat eines kapitalistischen Rationalismus bewahrt. Ein Diktat gegen das die R.A.F. auf einem anderen Feld kämpfte, zunehmend in Form politischen Sektierertums. Wen also meinte Beuys, als er 1972 „La rivoluzione siamo Noi“ (Wir sind die Revolution) auf ein Poster schrieb und als Edition vertrieb? Helmut Draxler behandelt diese Frage und die Ikonographie des Posters auf erhellende Weise im Katalog. Doch wurde weder in der Ausstellung noch im Katalog gefragt, wer Beuys die Macht gegeben hat, für die er sich zur Verfügung stellte. Das WIR hatte 1972 sicherlich eine andere Konnotation, fragte man doch noch „Wo bist Du organisiert“ und nicht „Was machst Du gerade“. Vereinbarungen die heute, in unserer zersplitterten Gesellschaft, erst wieder gefunden werden müssen. Dass sich Beuys aus der christlichen Mythologie von der Taufe (Badewanne) bis zur Fußwaschung bediente (hier liefert der Katalog noch weitere Beispiele) lag in der Zeit und die wird in der Ausstellung nicht beachtet. Das zweite Vatikanische Konzil (1962–1965), welches die katholische Kirche weltlicher gestalten sollte, schaffte ein Machtvakuum. Und Macht sucht sich immer einen Körper. So wurde die Bedeutung der Nachkriegskirche in der Ausstellung überhaupt nicht beachtet. Beschreibungen von so unterschiedlichen Literaten wie Hubert Fichte (Abbé Pierre-Groués, um 1954) und Georg Glaser (Vater Paul, um 1948), lassen die Bedeutung der Kirche als machtvollen Hoffnungsträger deutlich werden. Eine Macht, die jenen, die jeder Form der Nachweltkriegspolitik misstrauten oder von ihr enttäuscht waren, eine geistige Heimat zu bieten schien. Es ist also nicht (nur) das vielbeschworene, von Beuys auch selbst verwertete, ins psycho-pathologische gehobene Kriegs- und Nachkriegstrauma, das oft (auch in diesem Katalog) als Grund für seine Kunst herhalten muss. Es waren eben auch noch andere Posten im Machkontinuum jener Zeit zu vergeben. Auch dafür, dies zu erkennen, waren Ausstellung und Katalog gut.

»Der Kult des Künstlers – Beuys. Die Revolution sind wir«
 Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart
 Invalidenstraße 50–51
10557 Berlin
3.10.2008–25.1.2009
Joseph Beuys „La rivoluzione siamo Noi“, 1972 (© bpk / Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett / Elke Walford)
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