Bernadette Corporation / Neu

How to cook Hundescheiße

2010:Dec // Volkmar Hilbig

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11-2010
















Kann man eine Besprechung zutiefst zeitgenössischer Kunst mit einem Goethezitat aus dem bürgerlich-kulturbeflissenen Bildungskanon beginnen: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“? Wo bei Faust die Zerreißprobe zwischen hellen und dunklen Mächten thematisiert wird, geht es hier nicht um Existenzielles, sondern nur um divergierende Gefühlsregungen zu dem Schaffen anonymer Künstlerkollektive, die den Verfasser umtreiben. So neu ist das Auftreten dieser Gruppierungen nicht und in Berlin kümmert sich insbesondere die Galerie NEU um Bernadette Corporation, Claire Fontaine und Reena Spaulings. Anonyme Künstlerkollektive assoziiert man per se, und die genannten Gruppen dementieren das nicht, mit einer gewissen alternativen Einstellung, mit einer Auflehnung gegen Bestehendes, mit einem Hauch von „independent“ und einer von Robin Hood abgeschauten Haltung zum persönlichen Eigentum; kurzum: Kollektivarbeit steht für den post-fordistischen Traum. Die enge Verbindung zur Galerie NEU, welche es, neben einem guten Ausstellungsprogramm, mit einer perfekten Mischung aus understatement und Haute volèe in die erste Reihe der Galerienszene gebracht hat, weckt da unseren Argwohn.

Doch zunächst wollen wir die ausgezeichnete Ausstellung „A Haven for the Soul“ von Bernadette Corporation in der Philippstraße würdigen. Da stimmte einfach alles, Kunst war Kunst und zugleich ambitionierte Hirnmarter. Glänzende Platin-, Chrom- und Edelstahlbadezimmerkollektionen waren zwar sinn- und funktionslos, dafür aber äußerst ästhetisch im Raum verteilt; Wellness meets High-End-Design, und in jeder Armatur dieses Ensembles lauerte eingraviert ein Spruch aus der Zitatensammlung des weltweiten Netzes. Es ging um den Popstar Rihanna, von dem irgendwann intime und vielleicht gefälschte Fotos im Internet aufgetaucht waren, daraufhin liefen in der Gemeinde die üblichen – tja soll ich hier schreiben „Merkwürdigkeiten“, was ja im Wortsinne des „Merkens würdig“ bedeutet – ab. Nein, das war eigentlich nicht des Merkens würdig, das waren Obszönitäten, Zoten, Schmuddelzeugs. Bernadette Corporation holten diese sprachlichen Nicht-Kleinode aus der virtuellen Gosse und gruben sie vordergründig unauffällig in die hochpreislichen Badezimmeraccessoires der Firma Dornbracht. Dornbracht? – Ach die zwei Seelen in meiner Brust: Sollen wir Aufstieg und Fall eines Glamourgirls mit dem Kreislauf des Wassers assoziieren oder war es so, dass die Firma Dornbracht, deren lobenswertes Kunstengagement wir schon ein wenig eingeschlafen glaubten, Bernadette Corporation die Zusammenarbeit anbot: Macht was, gern auch etwas Gesellschaftskritisches, aber mit Wasser, mit unseren schönen Performing-Showers soll es doch bittschön zu tun haben? Und da fiel die Wahl auf die uralte Bildhauerbinsenweisheit, wonach die Skulptur, das Werk nicht nur schon im Stein oder im Holz, sondern eben auch in der Edelstahlarmatur vorhanden sei und der Künstler die Botschaft nur freizulegen brauche. Nein alles Quatsch, alles zu platt, zu offensichtlich für den intellektuellen Anspruch von Bernadette Corporation. Es geht um die Diskrepanz zwischen glatter Oberfläche und rauem Alltag, zwischen sauberer Badeinrichtung und dem dort weggespülten Dreck, zwischen inszenierter Hochglanzidentität eines Stars und den billigen Banalitäten, zwischen der Effektivität des weltweiten Netzes und den menschlichen, geistigen, sozialen, gesellschaftlichen Untiefen, die, nun wird es wirklich platt, überall lauern. Zur Bestätigung entdeckte man auf den nächsten Blick zwei Flachbildschirme, die wie mit einer Geste des Beiseitestellens an die Wand gelehnt waren und auf deren Monitoren sehr dekorative Unterwasseraufnahmen des Ölausflusses der BP-Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko liefen. Hat uns dieses Desaster wirklich aufgeregt? Weit weg, unter der Oberfläche des riesigen Ozeans, die Sicherheit unseres Badezimmers nicht tangierend? So lehnten eben diese Bildschirme da, klar beobachteten wir die Katastrophe in den Augenwinkeln, aber ins Zentrum unsere Aufmerksamkeit rückte sie nicht. Aber was ist bedeutend, was nehmen wir als bedeutsam war, welchen Dingen schenken wir Bedeutung? Bernadette Corporation zeigten als dritten Ausstellungsteil insgesamt dreimal, also schon recht eindringlich, zehn Bücher, die bei diversen Internetblogs und Onlineshops häufig genannt, vielfach rezensiert werden. Das ist nun keine straighte Top-Ten, sondern eher eine subjektive Auswahl, zeigt aber die Vielfalt der spezifischen Interessengruppen, die alle im Netz wie im Leben ihre Plattform haben. Da geht es vom Tortenbacken bis zum nächsten Aufstand, vom Koran bis zu den Beat-Poeten und zu Tipps zum Abgewöhnen des Rauchens. Alles ist möglich, es gibt keine Hierarchie der Bedeutungen, Relevantes und Unbedeutendes wird egalisiert, wirklich Wichtiges rückt in den Hintergrund und die Schlagzeilen beherrschen die Nichtigkeiten aus dem Leben irgendwelcher It-Girls, womit wir wieder bei Rihanna wären. So weit, so stimmig diese Ausstellung und wir vergessen wohlwollend, dass in der nachfolgenden Gruppenausstellung der Galerie der verbliebene jämmerliche Rest der BC-Installation nur noch mitleidig belächelt werden konnte.

Derweil hing da schon der Neonschriftzug „Kultur ist ein Palast der aus Hundescheiße gebaut ist“ außen an der Galerie in der Philippstraße und lud in die gleichnamige Ausstellung von Claire Fontaine bei MD 72 ein. Nun wirkt die blaue Buchstabenfolge hier lange nicht so cool, wie selbiger Spruch an einem Palazzo in Venedig, passt aber gut zu den ehemaligen Tierställen der Charité, auf deren Grundmauern die Galerie steht. In der Bel Etage des Mehringdammdomizils war man dann doch enttäuscht. Zu lieblos, zu uninspiriert war das neo-konzeptuelle Sammelsurium an gesellschaftskritischen Positionen hingeworfen. Wir verlangen ja keinen ausgetretenen Trampelpfad durch die Gedankengänge der Künstler, aber bei dieser soziopolitischen Streuobstwiese war einfach, um im Bild zu bleiben, das Gras zu hoch und die gefundenen Früchte waren nicht schmackhaft genug. Die schon bekannte Skulptur „Bijoux de famille“, ein mit Swarovski-Kristallen gefülltes Katzenklo war nett platziert (aber was kann man da schon falsch machen) und lud zu allerlei Assoziationen ein und auch der „Dildo Washer“ ließ manchen Gedankenhüpfer zu, aber ein mit Dildos gefüllter Geschirrspüler ist als Kunstobjekt doch recht billige Effekthascherei. Einfach misslungen sind die von Richard Princes „Joke Paintings“ inspirierten Arbeiten: Um die widersprüchlichen Bezugspunkte Guantanamo und Louis Vuitton in Relation zu setzen und damit unsere schizophrene Lebenssituation zu illustrieren, ist der große Aufwand in keinem Verhältnis zu dem kleinen und auch nicht neuen Gedankenklick, den sie auslösen.

Was nun aber ist der Grund für den Hype, für die Glorifizierung anonymer Künstlerkollektive? Man möchte doch meinen das hehre Ziel der Gründung solcher Gruppen ist, die entstehende Kunst und nicht den produzierenden Künstler in den Vordergrund zu stellen. Da wird von Entsubjektivierung, von der Krise der Singularität und dem Ende der Authentizität, von der Aufgabe des Künstlersubjekts und der individuellen Identität, vom Setzen auf die Masse und dem Verschwinden darin, von den politischen Implikationen kollektiver Arbeiten usw. usf. gesprochen. Wenn wir uns nun beispielsweise dem von Bernadette Corporation geschaffenen und für das Oeuvre der Gruppe wichtigen Video „Get Rid of Yourself“, ein als Anti-Dokumentarfilm konzipiertes Werk über die Proteste zum G8-Gipfel in Genua 2001, zuwenden, so finden wir in den verschiedenen Medien kaum Rezensionen zu der Arbeit, die über eine bloße Inhaltsangabe hinausführen, dafür jedoch unzählige Darlegungen, Spekulationen und Abhandlungen zum Status von Bernadette Corporation. Ähnlich ist es bei den anderen Gruppen. Wir erfahren Vages und Konkretes über die Protagonisten der semi-anonymen Kollektive, über die Genese der Formationen und über die Absichten, die die Mitglieder mit der Gründung der Gruppe verfolgten. Über die künstlerische Qualität der Arbeiten, die ästhetische Anmutung, über den Grad der Umsetzung des gedanklich-geistigen Backgrounds in Kunst gibt es wenig Aussagen. Der Wille zur Anonymität des Künstlers schlägt (markttechnisch kein schlechter Effekt) ins Gegenteil um. Das Sich-geheimnisvoll-Machen der Künstlergruppen, ihre Straßenkampfattitüde, ihr post-situationistischer Aktionismus, ihr Spiel mit der Faszination des Radical Chic, ihre Affinität zu Fashion und Glamour, ihre Gesellschaftsveränderungsambitionen, die realiter irgendwo zwischen Giorgio Agamben, Black Bloc, Sex Pistols, Karl Marx und Tiqqun anzusiedeln, ergo identitätslos sind, gibt dem pseudo-wissenden Insider das Gefühl, zu einem Inner-circle zu gehören. Und wer als Galerie, als Kunstverein, als Museum dazu gehören will, kommt gar nicht drumherum, Künstlergruppen mit solch intellektuellem Anspruch auszustellen.

Es geht hier nicht darum, die Qualität der künstlerischen Arbeiten dieser Formationen grundsätzlich in Frage zu stellen, es stört der ständig implizierte Sidekick auf die philosophische Dimension kollektiver Arbeit, als wäre Gruppenarbeit (und das Verschwinden des einzelnen Künstlers in der Gruppenanonymität) per se ein Garant für alternative und zukunftsweisende Kunst. Es sei keinem Künstler benommen, sich im Kollektiv zu positionieren und dies als Strategie des kulturellen Widerstands zu deklarieren; man soll uns aber nicht weismachen, dass das automatisch eine maximalradikale Opposition zum Markt ist. Der Aufstieg von Reena Spaulings, mit der fast schon zum Mythos gewordenen Gründungslegende als fiktiver Verfasserin eines von vielen Autoren geschriebenen Romans (was allerdings in Hollywood seit Jahrzehnten gängige Praxis bei der Entstehung flachester Drehbücher ist) zur etablierten und umworbenen Galerie sagt da wohl alles. Für gesellschaftskritische Kunst, die gut gestylt und mit Philosophie satt unterfüttert ist, gibt es immer einen Markt. Wer auf diesen zielt, gleichzeitig gesellschaftspolitisch wichtige Themen anspricht und nebenbei häufig auch noch gute Kunst macht, hat es nicht nötig, ständig auf den Street-Credibility-Bonus des anonymen Kollektivs zu setzen.

Volkmar Hilbig

Bernadette Corporation, „A Haven for the Soul“, Galerie Neu, Philippstraße 19, 10969 Berlin, 03.09.2010–02.10.2010

Claire Fontaine „Kultur ist ein Palast der aus Hundescheiße gebaut ist“, MD 72, Mehringdamm 72, 10961, 05.10.–13.11.2010

Claire Fontaine „Kultur ist ein Palast der aus Hundescheiße gebaut ist“, 2010 (© Galerie Neu, Foto: Andreas Koch)
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