Henrik Oleson

Daniel Buchholz

2009:Feb // Wolf von Kries

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02-2009
















Wie baut man sich einen Körper, wenn das überhaupt geht und was für einen? Einen masochistischen Körper, einen Dienerkörper, einen betäubten Körper, eine Alan-Turing- Maschine, einen Alan-Turing-Körper, einen Cyborg-Körper, einen Familienkörper, einen organisierten Körper, einen desorganisierten Körper, einen Loch-im-Arsch-Körper, oder einen Körper unter der Haut? Diese, keine von diesen und viele weitere mehr hat Henrik Oleson in seiner Ausstellung „How do I make myself a body“ in der Galerie Daniel Buchholz aufgerufen, um sich anhand der Biografie Alan Turings diesem komplexen Organismus zu nähern. Man betritt die Galerie in der Fasanenstraße, vormals eine herrschaftliche Wohnung aus der Kaiserzeit mit hohen stuckverzierten Decken und Parkett in Fischgrätmuster, das behaglich knarzt. Mit einem goldenen Löffel wurde auch Alan Turing 1912 in London-Westminster in eine gehobene Beamtenfamilie geboren. Turing wurde dafür berühmt, dass er fast im Alleingang die theoretischen Grundlagen für die moderne Informations- und Computertechnologie schuf, während des zweiten Weltkriegs maßgeblich an der Entschlüsselung der Codierungsmaschine Enigma (aus dem Griechischen αιʹνιγμα = Rätsel) der Nazis beteiligt war und die Möglichkeit der Entstehung künstlicher Intelligenz grundsätzlich bejahte, wofür er von seinen Zeitgenossen angefeindet wurde. Angefeindet wurde er auch wegen seiner Homosexualität, für die er 1952 wegen „grober Unzucht und sexueller Perversion“ zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt wurde, dem er nur durch Einwilligung in eine Hormonbehandlung entgehen konnte. Die anschließende einjährige Östrogentherapie löste nicht nur verstärktes Wachstum der Brüste, sondern auch Depressionen bei Turing aus, der schließlich 1954 seinem Leben mit einem Biss in einen mit Cyanid versetzten Apfel ein Ende machte.

Der Flur öffnet sich hin zu zwei Ausstellungsräumen, die ihrerseits durch nahe zueinander liegende Türen miteinander verbunden sind, so dass man einen kleinen Rundgang machen kann. Auf diese Idee kommt man eigentlich nur, weil eine weiße Linie, (die auf dem Parkett an eine Turnhalle erinnert), diesen Parcour nachzeichnet, ihn aber auch zugleich vom übrigen Bereich abtrennt. Das weiße Rechteck, zugleich Spur und Grenze, markiert ein Territorium, das eine Schnittmenge aus den drei Räumen bildet. Der dadurch beschriebene Körper entzieht sich der Charakterisierung als Zimmer und begründet doch in seiner Abgrenzung eine eigene Entität, deren Vermessung auch den Titel der Arbeit bildet (2,78 × 3,98). Damit sind eigentlich auch und auf elegante Weise die wesentlichen Fragen angedeutet, die sich im Verlauf dieser Ausstellung in unterschiedlicher Weise stellen.

 Man betritt den Raum zu seiner Rechten und sieht (wenn auch erst auf den zweiten Blick) einen einzelnen Schuh, der hoch oben an der Decke steht, als wäre die Schwerkraft auf den Kopf gestellt. Dieses buchstäblich anders herum oder umgekehrt sein ist ein wiederkehrendes Element der Ausstellung. Nicht nur im nächsten Raum, in dem ein einzelner Löffel verloren an der Decke liegt. Auch in den graphischen Arbeiten werden Textfragmente oder Motive auf den Kopf gestellt.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums liegen zwei eingepackte Gegenstände auf dem Boden, die den Eindruck vermitteln, als kämen sie direkt aus einem verstaubten Lagerraum: Ein etwas veraltet aussehender Computer mit transparenter Plastikfolie abgedeckt und ein anderer unförmiger Gegenstand in eine Umzugsdecke eingewickelt und verschnürt: „Apple (Ghost)“ und „Imitation / Enigma“. In ihrer Kombination mit den Titeln bildet das Paar eine Zusammenfassung von Turings Biografie. Auf der einen Seite der Computer mit seinem Verweis auf das (früher auch regenbogenfarbene) Logo vom angebissenen Apfel, auf der anderen das (für den Betrachter nicht entschlüsselbare) Enigma, das durch seine Verpackung zugleich die Abdeckung des Computers zitiert. Über diese „Imitation“ des Computers durch die Verpackung wird der Betrachter unmerklich Teilnehmer des berühmten „Turing Tests“: Ursprünglich ein Partyspiel mit drei Akteuren, in dem eine Frau und ein Mann über Zettel mit einer dritten Person im Nachbarzimmer kommunizieren, die durch Fragen herausfinden muss, wer der Mann bzw. die Frau ist, (wobei der Mann so tut, als sei er eine Frau), argumentierte Turing, dass künstliche Intelligenz dann vorläge, wenn der Dritte mit einem Menschen und mit einer Maschine eine solche Konversation hält und nicht mehr in der Lage ist, den Menschen von der Maschine zu unterscheiden. Da steht nun der Betrachter in stiller Zwiesprache vor dem „Apple“ (der keiner ist) und dessen „Imitiation“, deren Inhalt ein Rätsel bleibt und stellt fest, dass der Computer in dieser Gleichung nicht mehr den Menschen spiegelt, sondern stattdessen ein unbekanntes Drittes (Enigma), was den Betrachter als Referenzpunkt irrelevant macht. Entfremdung könnte man das gefühlsmäßig beschreiben, wenn man sich zu diesen Gedanken versteigt.

Interessanter ist an dieser Arbeit aber weniger die enorme Konzentration biografischer Referenzen, als die Art des Umgangs mit Biografie an sich. Olesen bedient sich nicht historischer Artefakte, sondern alltäglicher Gegenstände der Gegenwart, um mit ihnen auf eine spezifische Vergangenheit zurück zu verweisen und lässt sie dadurch für einen Augenblick in einem anderen Licht aufscheinen. So funktioniert auch der schmucklose Teelöffel an der Decke des Nachbarraums, der an mehreren Stellen in den Druckserien, dort jedoch als prunkvoll verziertes Exemplar aus Turings Lebzeiten, auftaucht. Der Gebrauchsgegenstand, der schon damals für die verstaubten Konventionen des viktorianischen Zeitalters stand (“I have measured out my life with coffee spoons” schrieb T. S. Eliot schon 1911 in „The Love Song of Sir Alfred Prufrock“) erhält durch Turings Biografie noch eine weitere Dimension: Aus der Druckserie im selben Raum erfährt man, dass Turing in seinen letzten Jahren einer Beschäftigung nachging, die er „the desert island game“ nannte und dessen Ziel es war, mit dem geringsten Einsatz der in seinem Haus vorhandenen Mittel, neue Dinge herzustellen. Neben der Herstellung eines nichtgiftigen Unkrautvernichters vergoldete er auch einen Teelöffel, unter Zuhilfenahme von Kalium-Cyanid, dem Stoff, mit dem er wenig später seinem Leben ein Ende machte. Und so strahlt der Löffel ebenso wie der Schuh auf den weißen weiten Deckenflächen vor allem die Abwesenheit des Körpers aus.

Die gesamte Ausstellung ist eigentlich ein Desert Island Game ganz eigener Art, in der wenige Alltagsgegenstände ein Koordinatensystem für einen Körper bilden, den man nie recht zu fassen kriegt. Neben Schuh und Löffel an der Decke trifft man im ersten Raum noch auf einen Schraubenzieher mit einem roten Griff, der mit vier Schrauben im übernächsten Raum zu korrespondieren scheint, die in einer Reihe, eine mit einem größeren Abstand zum Rest („1+3“), an der Wand angebracht sind. Beide Motive tauchen (ebenso wie Löffel und Apfel) in den beiden Druckserien der Ausstellung in unterschiedlichen Kombinationen wieder auf, die dort zwischen biografischen Notizen als Chiffren auf dahinter liegende Mechanismen und Systeme zu verweisen scheinen. Welchen Körper Olesen meint, wird in der zweiten Graphik-Serie im letzten Raum angedeutet, die zugleich den Titel der Ausstellung trägt und alle eingangs erwähnten Körpertypen enthält. Sie nimmt ihrerseits Bezug auf „4 Plakate“ an der Stirnseite des letzten Raums, auf denen Zitate unterschiedlicher Autoren (Artaud, Apollinaire, Picabia, Burroughs und Man Ray) zum Körper zu lesen sind. Statt sich zu verdichten, zersplittert der Körper in „how do I make myself a body“ in eine Vielzahl von Körpern, die sich teils ergänzen, teils widersprechen oder den Begriff in ganz andere Dimensionen erweitern, ohne diesen abschließend zu definieren. Es liegt etwas Schmerzhaftes in diesem ständigen Oszillieren zwischen Norm, Disziplin und Unterwerfung einerseits, und Aufbegehren und Neuverortung auf der anderen Seite, die in den Zitaten und Biographien der Zitierten mitschwingt.

Erholsam übersichtlich gestaltet sich dagegen der mitten im Raum stehende Körper: „L’imbecile“ im letzten Ausstellungsteil, ein vom Fußboden bis zu Decke gehender Balken, der aus zwei zusammengenagelten Latten besteht. Die Holzskulptur hat etwas von trotziger Auflehnung, wie sie da alleine steht im monotonen Meer des Fischgrätmusterparketts. Und doch ist sie genau besehen das traurige Gegenteil, als sich ihre Höhe in das Maß des Raums zwingt (nicht ganz ohne Druck, wie die Spuren an der Decke zeigen) auf diese Einpassung auch angewiesen ist, um überhaupt stehen zu können und dadurch zu allem Überfluss auch noch die Funktion einer (freilich gänzlich überflüssigen) Säule erhält. Nicht zuletzt mit dem Titel, den Oleson mit Filzstift auf den Balken geschrieben hat, erzeugt Oleson einen pathetisch-pathologischen Charakter, der den Widerspruch zwischen Aufbegehren und Anpassung in sich vereint und erst diese buchstäbliche Zuschreibung von außen prägt den Körper in den Augen des Betrachters. Es ist nicht zuletzt diese repressive Statik des einseitigen Normierens und Messens, die Oleson auch in den anderen Arbeiten der Ausstellung immer wieder aufscheinen lässt und über Turings Biografie in unsere Gegenwart hinein spiegelt. „I know i have the best of time and space and was never measured and never will be measured” feierte Walt Whitman in „Song of Myself” seinen Körper, 100 Jahre vor Turings Suizid.

Henrik Oleson „How do I make myself a body?“
Galerie Daniel Buchholz
Fasanenstraße 30
10719 Berlin
11.12.2008–31.1.2009
Henrik Olesen „Some Illustrations to the life of Alan Turing (5)“, 2008 (© Courtesy Galerie Daniel Buchholz)
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