Karl Horst Hödicke / Berlinische Galerie

2013:May // Anne Marie Freybourg

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05-2013
















Kleine und große Reflexionen
/ Karl Horst Hödicke in der Berlinischen Galerie

Die Indifferenz der Ausstellungsmacher merkt man gleich im ersten Saal. Hier bildet ein Frühwerk, der Dreiteiler „Großer Schlachter“ von 1963, den Auftakt, eine in Motiv und Formensprache deutliche Paraphrase auf Max Beckmann. Beckmann war für einen jungen Künstler, der bei dem tachistischen Maler Fred Thieler studiert hat und der im Berlin des Kalten Krieges figürlich und auf keinen Fall abstrakt malen wollte, die vorzügliche Wahl eines herausfordernden Vorbildes. Das Bild ist aber, obgleich großformatig und farbwuchtig, eher als interessantes Stück der Abgrenzung und nicht als eine zentrale Arbeit zu sehen. Doch die Arbeit wird in der Ausstellung als ein prominentes Werk präsentiert und ist damit überbewertet. Der Besucher wird auf diese Weise leider auf eine falsche Spur geführt. Der anschließend folgende Werkabschnitt aus der Mitte der 1960er Jahre, die sogenannten „Passagen“, welche Schaufenster, Auslagen und Spiegelungen zeigen, die „Großen Reflexionen“ und die „Kleinen Reflexionen“ werden dagegen nur mit sehr wenigen Werken belegt. Zudem sind sie im Raum an die Seite gedrängt und man vermutet, dass es sich dabei eher um eine zufällige Beschäftigung des Künstlers mit den Themen Großstadt, Konsum und dem neu aufbrechenden Narzissmus des Großstadtbewohners handelt. Dabei sind diese Bilder absolut wichtige Bildfindungen und man kann gerade an diesen Werken den für Hödicke nun charakteristisch werdenden malerischen Zugriff sehr gut ablesen, seinen zügigen Strich des Anstreicherpinsels und den dünnen, fließenden Farbauftrag.

Ebenfalls sind im Werk von Hödicke die Bilder wichtig, die als Blicke aus dem Atelierfenster entstanden sind. Wie in einer Umkehrung der früheren Schaufensterbilder wird nun die Welt, die Stadt Berlin und ihre zerrissene politische Realität in dem Ausschnitt dargestellt, der sich mit dem Ausblick aus dem Atelier ergibt. In „Martin-Gropius-Bau, ehem. Kunstgewerbemuseum“ (1977) und verwandten Bildern gelingt es Hödicke mit knappem malerischen Einsatz, mit lapidaren Bildkompositionen und düsteren Farben Bilder zu malen, die das West-Berlin der damaligen Zeit symptomatisch erfassten. Sie brachten die Stadt gleichsam auf den Punkt. Diese Bildfindungen sind für das Verständnis Berlins und seines damaligen mentalen Klimas ebenso wichtig und zutreffend wie die emblematischen Bilder von Werner Heldt für die Nachkriegszeit.
Angedeutet wird Hödickes Auseinandersetzung mit der damals in Berlin aufschlagenden Fluxus-Kunst. Welchen Einfluss diese auf seine künstlerische Praxis gehabt haben mag, wird jedoch nicht ersichtlich. Ganz vergnüglich ist es, die experimentellen Filme, die Hödicke in den 1970er Jahren gedreht hat, in der Videolounge zu sehen. Aber auch hier wird keine einsichtige Verbindung zum Gesamtwerk geschaffen. Durch diese „Einsprengsel“ soll wohl der Eindruck vermittelt werden, dass K. H. Hödicke der Ehrenkranz für frühe experimentelle Avantgarde in Berlin gebührt. Kurioserweise werden aber die Hödicke-spezifischen, von ihm erfundenen und durchformulierten Bildfindungen (siehe oben) nicht deutlich, gehen sogar im Kunterbunt der unausgewogenen Werkauswahl unter.

Die Ausstellung „K. H. Hödicke“ in der Berlinischen Galerie wirkt also völlig unentschieden. Man weiß nicht, was sie sein will: Retrospektive oder ein Blumenstrauß zum 75. Geburtstag des Künstlers. Diese Unentschiedenheit rührt aus dem Umfang, vor allem aber aus der Werkauswahl. Statt Gewichtungen und Wertungen vorzunehmen, streift sie eher zufällig durch das Werk. Man hat den Eindruck, es wurden Arbeiten genommen, die gut erreichbar oder sowieso im Lager des Museums waren. Man denkt, dass die Berlinische Galerie wohl nicht viel Geld und nicht viel Zeit aufwenden konnte. In armen Zeiten kann man das vielleicht zum Teil verstehen, aber ärgerlich ist, dass die Ausstellung durch ihre Unentschiedenheit den Eindruck vermittelt, dass K.H. Hödicke von vielen Kunstströmungen inspiriert wurde, dass er mal hier und mal dort angesagte Tendenzen aufgriff und Bildsprachen beliebig ausprobierte. Vor allem aber: Die Ausstellung zeigt nicht auf, ob die künstlerische Position von K. H. Hödicke eine Bedeutung hat oder nicht.

Eine Ausstellung, die das Werk von Hödicke eigentlich zu Recht wieder in Erinnerung rufen will, aber dann einen Eindruck hinterlässt, dass man sich fragt, ob der Künstler wirklich so beliebig agiert hat, eine solche Ausstellung wird dem Werk von Hödicke nicht gerecht. Nach der missglückten, motivisch gegliederten Präsentation von Rainer Fetting und dieser zerfahrenen Ausstellung kann man nur hoffen, dass zukünftige Ausstellungen über Berliner Künstler der 1970er und 1980er Jahre sich mehr an eine analytische Wertung wagen und das Spezifische der künstlerischen Position stärker ausarbeiten. Eine nächste Hödicke-Ausstellung wird hoffentlich aufzeigen, weshalb Hödickes Werk nun wirklich als interessant und eigenständig zu betrachten ist. Zwei Werkkomplexe sind es aus meiner Sicht, die man für einen solche Wertung besonders betrachten sollte. In seinen „Passagen“-Bildern hat Hödicke die frische und konsumkritische Sicht der amerikanischen Pop Art aufgegriffen und einen schönen schnöden Blick auf die deutschen Wohlstandsauslagen gemalt. Und er hat später die Stimmung der geteilten Stadt, die sich künstlich munter hielt, in geradezu emblematischen Bildern festgehalten. Besonders diese Werke waren Anstoß für die jungen (Neuen) Wilden vom Moritzplatz, ihre Berlin-Erfahrung in eigenen Bildern zu artikulieren.
    
K. H. Hödicke „Malerei, Skulptur, Film“, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, 10969 Berlin, 22.02.–27.05.2013
 
Ausstellungsansicht (© Kai-Annett Becker)
K.H. Hödicke „West-Side-Drive-Squeegee“, 1973 (© VG Bild-Kunst, Bonn 2012, Foto: Kai-Annett Becker, Sammlung Berlinische Galerie)
K.H. Hödicke „Chinese American Restaurant“, 1974, Leihgabe Helmut Wietz (© VG Bild-Kunst, Bonn 2013)
Portrait K.H. Hödicke (© Kai-Annett Becker)
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