James Beckett

Büro Friedrich

2006:Dec // Astrid Mania

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12-2006
















Vieles ist in jüngster Zeit zum Thema Kunst und Wissenschaften gesagt, geschrieben und vor allem kuratiert worden. Dabei ist das interdisziplinäre Anbändeln nicht immer mit erkenntnisbringendem Mehrwert verbunden. Das Beschäftigen mit Fragestellungen oder bildhaften Veranschaulichungen aus den Naturwissenschaften dient oftmals vor allem dazu, der Kunst eine Inhaltlichkeit – die noch dazu durch den Bezug zum vermeintlich Objektiv-Empirischen wenig Angriffsfläche für kritische Skepsis zu bieten scheint – und somit einen Daseinsgrund zu geben. Häufig geht damit das Bestreben einher, der Kunst den Nimbus einer „harten Wissenschaft“ zu verleihen. Dass ein Durchdringen zweier doch recht unterschiedlicher Methoden potentieller Welterklärung und möglichen oder erhofften Erkenntnisgewinns zu Arbeiten führen kann, die intelligent und humorvoll beide Disziplinen gleichermaßen kommentieren, beweist die aktuelle Ausstellung von James Beckett im Büro Friedrich.

Herrlich verwickelt etwa ist das Projekt „Tartan ‚Beckett-Beaumont‘“ (2006), an dessen Ende ein vom Künstler entworfenes und offiziell registriertes schottisches Webstück (Tartan) steht, das in der Ausstellung auf einem Stoffballen ausgelegt ist. Während das charakteristische Karo gewöhnlich ein mehr oder weniger willkürlich entworfenes Muster darstellt, das dennoch fast heraldisch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan anzeigt, hat Beckett der Wahl seiner Farben und seines Gewebes medizinische Daten zugrundegelegt: die Aufzeichnungen William Beaumonts, der im Krieg von 1812 durch die Verletzung eines Soldaten Gelegenheit hatte, wortwörtlich Einblicke in den menschlichen Verdauungsapparat zu bekommen. Die peniblen historischen Aufzeichnungen über die Art des Essens und dessen Verweildauer im Magentrakt, die Beckett in Form eines Drucks zeigt, sind nun in ein anderes Bedeutungssystem mit anderen semantischen Regeln übergegangen. Anstatt also auf eine Verwissenschaftlichung der Kunst zu spekulieren, überträgt Beckett durch empirische Beobachtung und Quantifizierung gewonnene Daten in abstrakte Repräsentation, um so die Sinnhaftigkeit solcher Zeichensysteme und ihrer Prämissen in Frage zu stellen.

Und dies gelingt ihm zum Vergnügen des Betrachters gar trefflich. „Untitled (cut-up, unfinished)“ (2006) verschränkt gleich mehrere Arten und Weisen, wissenschaftliche wie künstlerische Objekte zu klassifizieren und verweist dabei noch ganz unprätentiös auf Literatur- und Kunsthistorisches. Wie der Untertitel andeutet, sind hier in Anspielung auf Montagetechniken aus Musik und Schrifttum Gegenstände unterschiedlichster Provenienz auf einer Vielzahl von Schautafeln zu Assemblagen vereint. Darauf angebracht sind Schilder mit eingeprägter Brailleschrift, die Erklärungen suggerieren. Allerdings handelt es sich hierbei, wie der zur Arbeit gehörende Begleittext offenbart, um Wetterberichte. Ebenso absurd wirkt die Funktion, die Beckett den hier versammelten Gegenständen zugewiesen hat: gleich, ob Hörgerät oder Nussschale, Parfumflasche oder Handtasche, Bürste oder Uhr, sie alle werden als Verstecke für kleine Holzstöckchen oder -scheibchen verwandt. So wird hier auf mehreren Ebenen Bedeutungsaufladung vorgetäuscht, die sich bei näherem Hinsehen als windige Fiktion erweist und dem Gestus Broodthaers’ nicht unähnlich gerade die museale Kategorisierung als reinen Selbstzweck vorführt.

Alle Arbeiten sind erstmalig hier präsentiert oder eigens für die Ausstellung entstanden. „Untitled (Registration Device for passing Train Traffic)“ (2006), eine grotesk aufgerüstete Apparatur, ist dabei ein selten gelungenes Beispiel für eine ortsspezifische Installation, die sich zudem nahtlos in die Gesamtpräsentation und überhaupt das Oeuvre Becketts einfügt. Ein an Messgeräten für seismographische Erschütterungen angelehnter technischer Aufbau macht die Vibrationen, die der Schienenverkehr über den Räumen des Büro Friedrichs erzeugt, auf abstrakt-schematische Weise sichtbar – erstaunlich eigentlich, dass noch kein Künstler, der in einem der Räume der Jannowitzbrücke ausgestellt hat, auf den Gedanken verfallen ist, über dieses atmosphärisch doch sehr prägende Phänomen zu arbeiten. In Becketts Aufzeichnungsmaschinerie setzen sich jedes Mal, wenn ein Zug über den Raum hinwegdröhnt, ansonsten nervös lauernde Wagen auf einem Gleitsystem in Bewegung, die Bahnen von Endlospapier mit einem jeweils leicht variierenden Lochmuster durchstanzen. Technischer Aufwand und rationaler Erkenntnisgewinn stehen – wie bei so vielen Versuchsaufbauten im realen Raum – in schönster Diskrepanz zueinander, allerdings ist bei Beckett das Missverhältnis Methode.

James Beckett „Living Registration“
Büro Friedrich – Berlin, 21. 11.‒19. 12. 2006
19. Dezember Konzert und Performance
des N-Ensembles im Münzclub
James Beckett, Untitled cut-up (Detail), Courtesy of the artist and BüroFriedrich, Berlin (© Uwe Walter)

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