Zu Hause in der weiten Welt

Zwölf türkische Positionen bei TANAS

2012:Apr // Anna Baumgartner

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04-2012
















„At Home, Wherever“ – so lautet der Titel der zwölften Publikation der von René Block herausgegebenen Reihe „Contemporary Art in Turkey“, die im Berliner TANAS – Raum für zeitgenössische türkische Kunst von einer Ausstellung mit dem Titel „Zwölf im Zwölften“ begleitet wurde. Ganz der Vorliebe René Blocks für Wort- und Zahlenspiele folgend (schon TANAS bedeutet rückwärts gelesen SANAT – das türkische Wort für „Kunst“) werden hier zwölf Künstler vorgestellt, die vorrangig eines miteinander verbindet: trotz ihrer türkischen Wurzeln leben sie nicht in der Türkei, sondern gehen verstreut in den europäischen Metropolen oder den USA ihrer künstlerischen Arbeit nach. Nicht aber um die Darstellung der künstlerischen Migration geht es. Ziel ist es, wie so oft bei TANAS, einen intimen Querschnitt verschiedener Positionen zeitgenössischer türkischer Kunst zu geben. Ausstellung und Buch präsentieren dabei eine Vielfalt, die immer wieder neue Verbindungslinien zwischen den einzelnen Arbeiten und künstlerischen Positionen aufdecken lässt und die thematische Breite und Tiefe verdeutlicht.

Dass sich bei solch einem Ansatz Fragen nach der Identität zwischen den Kulturen und Lebensorten aufdrängt, scheint einleuchtend. So stellt auch René Block in seiner Einleitung zu „At Home, Wherever“ fest, man könne sich zwar an jedem Ort der Welt wie zu Hause fühlen – schließlich sehen wir überall die gleichen Filme, essen die gleiche Tiefkühl-Kost oder hören die gleiche Musik. Die totale Angleichung der globalen Orte gelinge aber nur fast. Gewisse Dinge können schließlich eben doch nur in der eigenen Sprache ausgedrückt werden, und der Wechsel zwischen den Kulturen auch das Gefühl der Entfremdung herbeiführen.
Nun ist es die Regel, dass sich Gegenwartskünstler meist gegen die nationale Zuschreibung und Einordnung ihres Oeuvres wehren. Wenn jedoch Arbeiten von türkischen Künstlern in einem eigens der Präsentation zeitgenössischer türkischer Kunst dienenden Ausstellungsraum versammelt sind, ist der Besucher schnell versucht, nach nationalen Kodierungen und türkischen Spuren Ausschau zu halten. Meist wird er irgendwie auch fündig. Denn selbst wenn es sich natürlich formal gesehen um eine globale Kunst handelt, die Teil der internationalen Kunstszene ist, in der die Künstler untereinander vernetzt sind, finden sich auch hier wieder zahlreiche Bezüge zur türkischen Herkunft.
Fast programmatisch scheint in diesem Kontext die Arbeit der Künstlerinnen Anny und Sibel Öztürk, die uns mit ihrer Installation in eine vergangene Zeit entführen. Hierfür bauen die Schwestern – Anny 1970 noch in Istanbul geboren, Sibel 1975 schon in West-Deutschland – in „Nichts als die Zeit“ (2011) das Istanbuler Wohnzimmer ihrer Großmutter nach, bei der sie Jahr für Jahr ihre Sommerferien verbrachten. Anstatt jedoch mit den anderen Kindern in der Nachbarschaft draußen auf der Straße spielen zu dürfen, mussten die beiden in der Wohnung bleiben. Zu groß war die Sorge der Großmutter, dass sich die beiden Mädchen, nunmehr Fremde, nicht mehr verständigen könnten und ihnen etwas zustoßen würde. Dass dies trotz der persönlichen Erzählung, mit der die Künstlerinnen den Betrachter hier konfrontieren, auch für die kollektive Erfahrung der Isolation in der eigentlichen Heimat steht, spiegelt die Installation ebenfalls wider. So fällt der Blick durch die halbgeöffneten Schlitze der Jalousie auf die Schwarzweißfotografie einer Hauswand. Dort schaut ein kleines Mädchen mit sehnsuchtsvollem Blick scheu herüber. Auch nur zu Besuch in den Ferien, durfte es ebenso nicht alleine zum Spielen gehen.
Viel härter in der Aussage, gleichzeitig auch exotisch wirkt dagegen Canan Tolons Arbeit „Colony“ (2008/2011), die fast übersehen werden könnte. Denn die weiße Wand, die eine „Kolonie“ beherbergt, passt sich unsichtbar an den Ausstellungsraum an und scheint Teil der räumlichen Begebenheiten zu sein. Erst ein Schritt um die Wand herum zeigt, dass sich in ihrem Inneren eine kleine Installation findet: Gräser wachsen beleuchtet von Lampen auf einem weichen Untergrund, den alte Matratzen bilden. Die 1955 in Istanbul geborene und heute in Kalifornien lebende Künstlerin will mit dieser versteckten Welt auf die verschiedenen Existenzen in unserem Alltag hinweisen, die wir nicht einmal wahrnehmen. Dabei geht es ihr genauso um kleine Organismen, die auch zu unserer Umwelt gehören, wie um Migrationsgruppen verschiedener Ethnien, die sich oft unsichtbar, ohne aufzufallen der neuen Umgebung anpassen müssen und nur am Rande der Gesellschaft existieren. Canan Tolon spricht hier eine der Schattenseiten von Auswanderung und Fremde an und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf ein globales Thema, das nicht nur im Kontext ihrer eigenen (türkischen) Migration funktioniert. Gleichzeitig wirft ihre Arbeit auch die Frage danach auf, was wir sehen, wie wir unsere (Um-)Welt wahrnehmen und die Wirklichkeit konstruieren. Eine Frage, die den Betrachter wie ein roter Faden durch die Ausstellung begleitet.

So thematisiert auch der Kurzfilm „Truth is“ (2011) des Wahl-Amsterdamers Servet Kocyigit Hierarchien der Sichtbarkeit, indem er den Blick des Betrachter auf eine Gruppe von Journalisten lenkt, die mit ihren Kameras und Fotoapparaten etwas umkreisen. Mit Ungeduld warten wir auf die Enthüllung dessen, was die Meute verfolgt. Aber, nur das Begehren bleibt uns. Denn der Kurzfilm wird zu einer Inszenierung der Nicht-Enthüllung von etwas, das hier im nicht näher bestimmt und doch von der Medienlandschaft diktiert wird.
Mit sozialen Hierarchien und interkultureller Kommunikation setzt sich wiederum Nevin Aladag auseinander. In ihrer Arbeit „Significant Other“ (2011) inszeniert sie eine Interviewsituation und gibt dem Zuschauer Einblicke in die Ansichten und Beziehungsstrukturen von Paaren unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und sexueller Orientierung. Dass es sich aber um kein herkömmliches Interview handelt, wird schnell deutlich. Denn zwei Schauspieler, die in weiße, geschlechtsneutrale Overalls gekleidet sind, bewegen ihre Lippen zu den Audiofragmenten und schlüpfen mit ihrem Körper und angepasster Gestik in die Rolle der Sprechenden. Eine direkte (körperliche) Zuschreibung der gehörten Geschichte bleibt dadurch verwehrt, so dass ein nicht-hierarchischer Querschnitt der Aussagen entsteht und dem Rezipienten immer wieder neue Zuschreibungen möglich werden.
Dass vom Betrachter bei der Vielfalt der zwölf künstlerischen Positionen feministischen, politischen oder sozialkritischen Charakters Mitdenken verlangt wird und er sich selbst immer wieder zum ausgestellten Werk konstituieren muss, erklärt sich von selbst. Auf die Spitze getrieben wird dies, nicht ohne Witz, durch Nasan Turs Arbeit „Wall Spits Money“ (2011). Der Künstler reflektiert hier das Verhältnis von Betrachter und Kunstwerk und lädt zur Partizipation ein: Während aus einem Schlitz in der Wand in regelmäßigen Abständen 1 Euro Münzen geschossen kommen und auf dem Boden liegen bleiben, weiß der Ausstellungsbesucher trotz des Hinweises „Münzen dürfen mitgenommen werden“ nicht, wie er sich verhalten soll. Wie so oft in seinem Werk schafft der in Berlin lebende Künstler hier ein Irritationsmoment und macht den Zuschauer zum Akteur, der selbst zwischen richtig und falsch entscheiden muss.    

„Zwölf im Zwölften“ – Nevin Aladag, Vahap Avsar,
Ergin Cavusoglu, Nezaket Ekici, Sakir Gökcebag,
Nilbar Güres, Servet Kocyigit, Ahmet Ögüt, Ebru Özsecen, Anny & Sibel Öztürk, Canan Tolon, Nasan Tur,
TANAS – Raum für zeitgenössische türkische Kunst,
Heidestraße 50, 10557 Berlin, 10.12.2011–10.03.2012


Şakir Gökçebağ „Untitled“, 2011, und links Anny und Sibel Öztürk „Nichts als die Zeit“, 2011, Courtesy tanas, Berlin (© Uwe Walter, Berlin)
Canan Tolon „Colony“, 2008/2011, ortsbezogene Installation, Courtesy tanas, Berlin (© Uwe Walter, Berlin)
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