60 Jahre, 60 Werke (I)

Martin-Gropius-Bau

2009:Jun // Peer Golo Willi

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06-2009
















Die Idee ist denkbar einfach: das Grundgesetz wird sechzig, und die Freiheit der Kunst, die es gewährt, soll mit der Ausstellung „60 Jahre. 60 Werke“ gefeiert werden. Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau wird von der Bonner Stiftung für Kunst und Kultur veranstaltet und unter anderem vom Bundesinnenministerium finanziell unterstützt.

 

Das wird schon keine unschönen Abhängigkeiten geschaffen haben, aber es geht immerhin um den Inhalt jenes staatlichen Rechtsdokuments, zu dessen Ehren Werke aus sechzig Jahren gezeigt und auf diese Weise repräsentativ genutzt werden. Es lohnt also in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Repräsentationsfunktion bildender Kunst beziehungsweise auf die Kunst als Repräsentationsinstrument.

Gerade mit moderner und zeitgenössischer Kunst lassen sich Signale hervorrufen, die mit Ideen der Avantgarde ein Profil herstellen sollen, das dem eigenen Selbstverständnis entspricht. In westlichen Demokratien, so auch in der Bundesrepublik Deutschland, wurde die Kunst, und damit zurückweisend auf die verfassungsgemäße Freiheit der Kunst, auch zu anderen Anlässen als Aushängeschild und Verkörperung der Gesellschaftsordnung genutzt. Schon bei der ersten Documenta 1955 war dies ein Leitgedanke, vor allem in Abgrenzung zur DDR.

Und diese Abgrenzung ist auch hier wesentlich. Das Konzept der Ausstellung ist eingegrenzt auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes, also für die Jahre der deutschen Teilung auf die Bundesrepublik in den Grenzen von 1989. Für jedes Jahr von 1949 bis 2009 wurde ein Werk ausgewählt (weil das Gründungsjahr mitgezählt wird, sind es letztlich 61), zusätzlich sind von einigen Künstlern auch weitere, begleitende Werke zu sehen. Die Schau ist weitgehend chronologisch aufgebaut und durch Dokumente zur Zeitgeschichte ergänzt.

Für die Jahre 1949–1959 hängen etwa Heldt, Baumeister, Wols und Nay, für die sechziger Jahre unter anderem Kricke, Uecker, Palermo, Gerhard Richter und Baselitz. Die Siebziger werden zum Beispiel von Immendorff, Kiefer, Beuys und Penck vertreten, die Achtziger von Struth, Darboven, Trockel, Kippenberger und anderen. Nach den neunziger Jahren, etwa mit Genzken, Mattheuer, Schütte und Gursky, schließt das letzte Jahrzehnt mit Künstlern wie Tillmans, Daniel Richter, Rauch, Meese und Rehberger den Rundgang ab.

Die Auswahl der Werke musste Kuratorium und Beirat, unter anderem Götz Adriani, Peter Iden, Walter Smerling und Bazon Brock, schwer fallen. Dass diese Auswahl angreifbar sein würde, war allen Beteiligten klar, das verdeutlicht ein im Katalog protokolliertes Gespräch aller Beteiligten. Zwangsläufig musste die Auswahl eine „subjektive Bestenliste“ werden. Sie lässt jedoch, etwa bei den Werken, die von Mattheuer ergänzend gezeigt werden, auch jene zu, die außerhalb der Kunstfreiheit entstanden sind, wo viele Künstler auch Freiräume finden konnten. Nach der heftigen Kritik an früheren Ausstellungen, die die Kunst aus Deutschland thematisierten, und der Kritik an der Auswahl der Kunstwerke für das Reichstagsgebäude vor etwa zehn Jahren, die sich an der angeblichen Ausgrenzung der DDR-Künstler stieß, waren solche Vorwürfe auch hier zu erwarten.

Dieses Mal kann die Ostkunstfrage nicht viel mehr vor Augen führen als die Diskrepanz zwischen Beitritts-Makel und Vereinigungs-Mythos. Nun ist ein Beitritt – auch eine mögliche Variante der Vereinigung – mit dem Makel behaftet, dass der Beitretende eine untergeordnete Rolle spielt. Die reine These einer Vereinigung zweier vermeintlich Gleichberechtigter verklärt diesen Beitritts-Makel oft. Der Beitritt der DDR zum Staat des Grundgesetzes war in eben diesem Verfassungsprovisorium nicht vorgesehen. Dass es unter der Prämisse des Grundgesetzes (wenn auch etwas an seiner letzten Schlussbestimmung vorbei) dennoch zum Beitritt gekommen ist, kann gefeiert werden, darf auch gefeiert werden, gern auch ganz entspannt.

Die Umsetzung der Ausste llungsidee, die sich im wesentlichen auf das Bundesdeutsche beschränkt, ist so gesehen folgerichtig. Wenn man sich jedoch nicht am Beitritts- sondern am Vereinigungsgedanken orientieren will, wird man dies als ungerecht empfinden. Und natürlich ist die „60 Jahre. 60 Werke“-Ausstellung ungerecht, schließlich war auch die Situation, die diese Ausstellung abbildet, ungerecht. Dennoch macht man sich gern ein Bild, das den Blick auf Gleichzeitigkeiten mit einschließt.

Die Werke sollen also repräsentativ für sechzig Jahre Kunstfreiheit sein. Das ist der Anspruch. Die Repräsentationsfunktion, die die Kunst hier leisten soll, kann sie weder als jeweiliges Einzelwerk noch als Zusammenschau leisten. Insofern steht sie dem Anspruch auch nur so vordergründig als Repräsentationsinstrument zur Verfügung, wie der Repräsentationsanspruch an sich unzureichend ist. Denn das Grundgesetz als maßgebendes Kriterium ist eine Konstruktion, die die Sichtweise auf Strömungen und Verbindungen zu anderen Entwicklungen außer Acht lässt. Aber auch die Einschränkung, dass für die Vorbereitung der Ausstellung nur wenige Monate zur Verfügung standen, musste auf Kosten der Qualität gehen, weil wohl viele Werke, die als „Schlüsselwerke“ besser geeignet gewesen wären, nicht verfügbar waren.

Zusammenhänge zeitgeschichtlicher Ereignisse mit Kunstströmungen und einzelnen Werken werden in den beiden Räumen mit Videos und Touch-Screen-Tischen herzustellen versucht. Gerade in Bezug zur Zeitgeschichte mag man einige Kunstwerke vermissen, etwa Gerhard Richters Stammheim-Zyklus (wenn dieser auch erst Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ entstand) oder Immendorffs „Café Deutschland“-Werke. Performative Kunst und Videokunst tauchen nicht auf, und auch ein politischer Künstler wie Hans Haacke fehlt. Klaus Staeck hat mit seiner Plakatkunst über Jahrzehnte hinweg die Zeitgeschichte künstlerisch und kritisch begleitet. Einige seiner Plakate hängen auch in der Ausstellung, erscheinen jedoch nicht im Katalog und – wen wundert’s – auch nicht in den Foren der „Bild“-Zeitung.

Der Vermittlungseinsatz dieses Blattes, das nicht nur Mitinitiator sondern auch „Medienpartner“ der Ausstellung ist, ist übrigens bemerkenswert. Täglich ein Werk wird präsentiert und erläutert, sowohl in der Druck- als auch in der Onlineausgabe. Auf diesem Wege wird die Ausstellung einem ungewöhnlich großen Teil der Bevölkerung zugänglich gemacht. „Bild“ will so „ein bisschen Volkshochschule“ machen, wie ihr Chef Kai Diekmann in einem Interview äußerte. Anders ausgedrückt ließe sich auch von einer Art „Reader’s Digest“ der bundesdeutschen Kunstgeschichte sprechen: sechzig zweifellos ertragreiche Jahre künstlerischer Freiheit unter den Bedingungen des Grundgesetzes, selektiv verkürzt zu einem zügig konsumierbaren Zeitraffer.

Im Rahmen der Einschränkungen, die es von vornherein gab, sind, so ist zu hoffen, Qualität und (subjektive) Bedeutung der Werke die entscheidenden Kriterien gewesen, nicht etwa Vollständigkeit, Quoten oder gar „Ausgewogenheit“. Was die Bedeutung betrifft, fehlte für die letzte Dekade möglicherweise die notwendige Distanz, auch das ist ein Zeichen der Zeit. Jede Auswahl ist subjektiv, und ganz ohne Beliebigkeiten und Fehlstellen geht es in der Praxis wohl nicht.

Die allzu oft zu lesende Apostrophierung mit dem despektierlichen Begriff „Jubelschau“ greift zu kurz und floss wohl so manchem schon beim bloßen Hören des Ausstellungstitels aus der Feder. Das Ziel der Ausstellung immerhin ist klar formuliert und konsequent umgesetzt. Der Repräsentationsanspruch, der für die Kunst erhoben wird, also die Kunstfreiheit im besten Sinne zu propagieren, kann nicht einmal theoretisch erfüllt werden. Denn die Abgrenzung zur DDR findet nicht inhaltlich sondern auf konzeptueller Ebene statt.

Die Ausstellung ist trotz der teils hervorragenden Werke schlicht. Die Aneinanderreihung von Momentaufnahmen lassen zwar gute Räume entstehen, doch letztlich ist das Konzept dann doch zu einfach gestrickt. Was die Debatte um die Ostkunstfrage betrifft, zeigt sich, dass die Feuilletons, die bekannte Vorbehalte gegen Ausstellungen dieser Art gern hervorgeholt haben, die Bedeutung dieser Ausstellung letztlich offenbar überbewerten.

Das, was diese Veranstaltung nicht will und nicht vermag, wird vielleicht die von Stephanie Barron und Eckhart Gillen kuratierte Ausstellung – „Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945–1989“ – leisten können, die bereits in Los Angeles zu sehen war in diesem Jahr in Nürnberg und in Berlin Station machen wird. Der Repräsentationsanspruch, das lässt sich immerhin vermuten, wird hier weiter gefasst sein, auch weil er nicht unmittelbar an ein gesellschaftliches oder gar staatliches Selbstverständnis gebunden ist. Und er wird eine Grundlage für eine Auseinandersetzung bilden können, die sich nicht einzig auf konzeptuelle Abgrenzung stützen muss.

„60 Jahre. 60 Werke. Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 2009“,

Martin-Gropius-Bau,

Niederkirchnerstraße 7,

10963 Berlin,

01.05.–14.06.2009

Klaus Staeck „Juso beißt wehrloses Kind“, 1972, Plakat (© The artist)
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