George Grosz

Nolan Judin

2009:Jun // Iris Mickein

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06-2009
















Im Sommer 1954 machte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ einen deutschen Künstler zur Titelstory: „Der traurigste Mensch in Europa – Maler von Teufeln und Dämonen: George Grosz.“ Der Titel war reißerisch, aber nicht übertrieben. Als politischer Künstler hatte Grosz alles auf eine Karte gesetzt und verloren: Wie kein Zweiter hatte er den Zerfall des Wilhelminischen Kaiserreichs, die Wirren der Weimarer Republik und die Gefahren des Nationalsozialismus verinnerlicht und anschaulich gemacht. Und wie kein Zweiter war er ins bodenlose Nichts gestürzt, als sich mit der Machtergreifung Hitlers die Niederlage seiner künstlerischen Mission abzeichnete. Was tun und wie Künstler sein, wenn einem das Programm für das tägliche Handeln genommen wird? Zu seinem 50. Todestag zeigt nun eine Berliner Ausstellung eine Auswahl von über 100 Werken, die dokumentieren, wie Grosz sich nach seiner Immigration in die USA in den Jahren 1933 bis 1958 mit dieser Frage auseinandergesetzt hat.

In Zeiten der Krise gibt es für einen Maler immer die Möglichkeit, sich vom Zeitgeschehen abzuwenden und auf die klassischen Bildgattungen zu berufen. Genau das tut Grosz Mitte der 1930er Jahre, er beginnt noch einmal ganz von vorne. Er malt Stillleben, Porträts und Landschaften, und wie bei einem Anfänger erscheinen seine Arbeiten bisweilen tapsig und ungelenk. Es ist ganz offensichtlich, dass hier ein Künstler am Werk ist, der die klassische Bildsprache nicht spricht und der sich anstrengen muss, die Gewalt in seinem Ausdruck einzutauschen gegen eine neue Lieblichkeit. Aber Grosz malt weiter, langsam und unverdrossen: Flaschen mit Sombreros, Familienmitglieder und Freunde, harmonische und weniger harmonische Landschaften, mit und ohne weibliche Akte.

Dazwischen gibt es immer wieder Momente, in denen die Verzweiflung überhand nimmt und wie ein Tier aus ihm heraus zu brechen scheint. An solchen Tagen malt er großformatige, apokalyptische Visionen, die einen Hitler in der Hölle zeigen oder aber eine halb zerfetzte Meute auf der Suche nach etwas Essbarem. Sich selbst zeigt Grosz als Maler des Lochs (1948), als sprachlosen Künstler, der im Angesicht von Krieg und Tod nur noch das sinnentleerte Nichts seiner Existenz darstellen kann.

In seinen Zeichnungen ist Grosz von den Vorgaben der akademischen Malerei befreit; er erzählt in wenigen präzisen Strichen und mit großer Leichtigkeit. Nur sind die Themen alles andere als leichte Kost – Szenen von Gefangenschaft, Folter und Exekutionen. Dank seiner frühen Ausreise nach Amerika waren Grosz solche Erfahrungen erspart geblieben, aber indirekt hatte er sie doch erlebt, weil viele seiner Künstlerfreunde davon betroffen waren. Diese düsteren Aufzeichnungen sind Lichtjahre entfernt von den bissigen Karikaturen, die Grosz in den 1910er und 1920er Jahren produziert hatte, bevor ihn die große Traurigkeit überkam. Damals war er ein wütender Mann, einer, der die Gesellschaft, in der er lebte, zutiefst verachtete und davon besessen war, seinen Hass mit aller Gewalt festzuhalten – in Karikaturen, Fotomontagen, Ölbildern, Skulpturen und Manifesten. Das waren hochpolitische Jahre: Grosz war eingeschriebenes Mitglied in der kommunistischen Partei und davon überzeugt, dass die Hauptfunktion der Kunst die eines Instruments im Klassenkampf sei. Dieses Verständnis vom Kunstwerk als Waffe teilte er mit den Dadaisten in Berlin, die das Modell einer gesellschaftskritischen Kunst maßgeblich prägten.

Zusammen entwickelten sie neue ästhetische Spielregeln, die das Erlebnis des Schocks in den Mittelpunkt stellten. Das heißt, das Kunstwerk war jetzt nicht mehr das passive, erbauliche Objekt im goldenen Rahmen, sondern ein fragmentiertes Etwas, das sich allem Streben nach schöngeistigen Inhalten und harmonischen Formen bewusst widersetzte, um so den Betrachter aus seiner Lethargie zu schocken. Von allen Dadaisten sorgte Grosz wohl für die größte öffentliche Erregung, davon zeugen nicht zuletzt die zahlreichen Geldstrafen und „Beleidigungsprozesse“, die seine bissigen Arbeiten provozierten.

Doch diesen frühen, politischen Grosz lässt die Berliner Ausstellung bewusst außen vor und konzentriert sich stattdessen auf eine ausführliche Präsentation des späten, gemäßigten Grosz, dem die Forschung bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Bis heute vertreten nicht wenige Kritiker die Meinung, Grosz habe mit der Übersiedlung nach New York seinen Biss verloren und damit auch seine Relevanz als Künstler. Eine solche Lesart ist nicht ungerechtfertigt und dennoch problematisch, weil sie die Gründe für Grosz’ Scheitern nicht analysiert.

Zunächst muss man sich fragen, ob das Projekt einer politischen oder propagandistischen Kunst überhaupt eine Chance hatte oder ob es nicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Nicht etwa, weil es keine realen Eingriffsmöglichkeiten gegeben hätte, sondern weil der Eingriff im Kern kontraproduktiv war. Grosz Karikaturen waren letztlich Ausdruck einer tief gefühlten Distanz zur Welt, sie erzählen von einer Entfremdung. Jede Arbeit war das Ergebnis eines kleinen Massakers am Motiv. Und zu seinen eifrigsten Sammlern gehörten nicht zuletzt diejenigen, die beim Betrachten dieser Arbeiten eine geradezu sadistische Befriedigung empfanden. Aber kann eine Kunst, die zur Negativität erzieht, Erfolg haben? Braucht nicht jede Kritik zumindest einen Hinweis auf eine bessere Welt oder ein affirmatives Handlungsmodell, wenn sie eine positive Veränderung anstoßen will? Diese Fragen sollen nicht den Wert von Grosz’ politischer Kunst untergraben, denn die ist in ihrer Kraft und Kreativität unangefochten. Vielmehr geht es darum, sich zu überlegen, was es mit einem Menschen macht, wenn die tägliche Arbeit auf Distanz und Kälte beruht. Wut kann etwas Befreiendes haben, sie kann auch andere zum Nachdenken anregen. Wenn sie aber jeden Morgen neu aktiviert wird, um wie ein Motor für den Produktionsprozess zu funktionieren, dann muss sie zwangsläufig zu einer Art Selbstvergiftung führen.

Vielleicht hat Grosz seinen Biss nicht einfach verloren, sondern sich nach seiner Ankunft in New York bewusst dafür entschieden, seine Negativität durch ein affirmatives Prinzip zu ersetzen. Und so gesehen wäre Grosz’ Stottern und Stolpern im akademischen Metier nicht Ausdruck von Schwäche, sondern Zeugnis einer neuen Aufmerksamkeit und einer ehrlichen Bereitschaft, sich der Welt unvoreingenommen zu öffnen.

Mit dieser Haltung überzeugt uns Grosz immer dann besonders, wenn er das Akademische mit seiner obsessiven Art durchdringt, wenn er die angestrengte Lieblichkeit beiseite lässt und etwas von seinem manischen Ich aufscheint. Zum Beispiel in seinen Aquarellen von den Dünen: Diese meist kleinformatigen Bilder besitzen eine Intensität, die jede Sylt- oder Cape-Cod-Romantik auf den Kopf stellt. Hier hat ein Mann seine ganze sinnliche Gewalt in expressive Farben und üppige Körper übersetzt. Alles Kämpferische äußert sich jetzt auf einer materiellen Ebene – im obsessiven Übermalen von pinkfarbenem Fleisch und kleinen roten Schuhen, im beständigen Nachzeichnen von steilen Felsen und zerfließenden Formen.

Die Euphorie, die in diese Arbeiten eingeströmt ist, hat Grosz einmal so beschrieben: „Ich mache mir die Natur zum Freund… Ich saß stundenlang in den Dünen und beobachtete und zeichnete. Ich war erfüllt von innerer Ruhe und Freude. Meine Zeichnungen gaben meine Gefühlslage wieder. Die gesamte künstlerische Produktion … war gut. Ich war einmal glücklich. “ Es gibt viel, was wir von Grosz lernen können. Zum Beispiel, was radikales Engagement jenseits politischer Inhalte bedeuten könnte.

George Grosz „The Years in Amerika 1933–1958“,
Galerie Nolan Judin Berlin,
Heidestr. 50,
10557 Berlin,
28.02.–25.04.09

Dieser Text erschien in der Zeit Nr. 16 vom 08.04.09
George Grosz „Sleeping Nude in the Dunes“, 1940 (© Courtesy Nolan Judin)
George Grosz „Cain or Hitler in Hell“, 1944 (© Courtesy Nolan Judin)
George Grosz „Cain or Hitler in Hell“, 1944 (© Courtesy Nolan Judin)
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