John Bock

Haus der Kulturen der Welt

2009:Nov // Jennifer Bork

Startseite > Archiv > 11-2009 > John Bock

11-2009
















Als ich die Damentoilette betrete, pralle ich fast mit einer weiß gepuderten Dame zusammen, deren wild toupierte Haare in sämtliche Richtungen vom Kopf abstehen. Überrascht blicke ich in zwei schwarz bemalte Augen, die sie aussehen lassen, als hätte sie gerade bei einer Kneipenschlägerei verloren. Drinnen herrscht ein reges Treiben, Tür auf – Tür zu, aufgeregtes Stimmengewirr in diversen Sprachen. Beim Verlassen des nicht mehr ganz so ,stillen Örtchens‘ fällt mir schräg gegenüber ein Zettel ins Auge: „Team John Bock“ hat jemand mit Filzstift auf einen Zettel geschrieben, der an einem kleinen Seiteneingang klebt. Hinter dem davor befindlichen Vorhang kommen noch andere morbide aussehende Gestalten mit halbfertigem Make-up hervor und huschen durch den Gang. Ich setze mich in der Eingangshalle auf einen der raren leeren Plätze und warte … und warte … und warte.

Immer mehr Menschen versammeln sich vor zwei großen Glastüren, hinter denen sich ein großer schwarzer Vorhang nicht den kleinsten Blick auf das Geschehen dahinter abringen lässt. Ich stelle mich dazu und wir warten weiter …

Endlich kommt Bewegung in die Menge und sie strömt durch die geöffneten Eingänge in einen großen Vortragssaal in dessen Mitte nun ein riesiger Laufsteg steht, der von einigen Stuhlreihen umgeben ist. Am Kopfende haben eine Menge Fotografen ihre Objektive in Position gebracht. Einen kleinen Teil des Raumes nimmt eine Vorrichtung ein, auf die eine Kameraschiene montiert ist. Leider gibt es viel zu wenige Stühle, was bei einigen Leuten offensichtlich Urinstinkte des Verteilungskampfes aktiviert. Dann geht es endlich los: laute Rockmusik verkündet den Beginn des „GlidderModderlaufs der Quasi-Me’s“. Die präsentierten ‚Kleidungsstücke‘ lassen die Modelle zum Teil aussehen, als wären sie die zum Leben erwachten, fantastischen Requisiten aus John Bocks absurden Filmwelten. Bunte Plastikschläuche, wollene Würste und Wülste und riesige stoffbezogene Kopfaufbauten wandeln auf dem Laufsteg. Die Models bewegen sich dabei stets in den Parametern des autoritären Modediktats. Selbstbewusst und mit leicht arrogantem Blick posieren selbst die skurrilsten Gestalten noch ausgiebig vor den Fotografen. Ihre groteske Verkleidung lässt die Körper zum Teil mutieren, ihre Bewegungsfreiheit wird auf ein Minimum beschränkt und macht so den einen oder anderen Gang über den Laufsteg zum quälend langen Spießrutenlauf für Zuschauer und Akteur. John Bocks karikierende Übertreibung des Modepathos bis hin zum Slapstick funktioniert. Vor allem, wenn die darunterliegenden Körper tatsächlich dem Laufstegideal entsprechen; so humpelt ein dunkelhäutiger Adonis mit schweren Prothesen aus riesigen, schwarzen Quadern an Kopf, Arm und Bein monströs dem Publikum entgegen. Fast blind und mit Mühe das Gleichgewicht haltend, gelingt es ihm dennoch, routiniert das Fashionshow-Programm abzuspulen. Andere Kostüme werden während des Laufs umfunktioniert, verschmelzen mit anderen zu neuen Formen oder bleiben als Maschine auf der Kreuzung aus Bühne und Laufsteg zurück. Der theatrale Brei aus ästhetischen, wissenschaftlichen und technischen Versatzstücken, der John Bocks fantastischen Kosmos prägt, bestimmt auch die dargebotenen Bühnengestalten. Das macht einen Redeanteil nur minimal notwendig. Nur eines der Models hat eine Stimme und verkündet, einer Dame im Publikum eine Art überdimensionierten Rettungsring mit stofflichen Auswüchsen überstülpend, das erfolgreiche „Andocken der (…) Muffe an den Rezipienten“. Bei ihrem zweiten Auftritt läuft die Akteurin über den Rand des Laufstegs hinweg und verschwindet, um kurze Zeit später auf einer über dem Laufsteg angebrachten Leinwand aufzutauchen. Die Zuschauer sehen sie mit verängstigtem Gesicht durch einen niedrigen Gang kriechen. Wird hier das Innenleben des Laufstegs offenbart? In dem Zwischenraum trifft sie auf allerlei ,bock-typische‘, eklige und absonderliche Gerätschaften, die ihr immer wieder als Hindernisse den Weg versperren. John Bock hielt mit seinem ungewöhnlichen Mix aus Modenschau, Theaterinszenierung, Zirkus, Film und Rockkonzert einen selbsterklärenden Vortrag über seine Kunst, ohne direkt in Erscheinung zu treten (abgesehen von einer Abschlussverbeugung). Gegen Ende wurde der Laufsteg dann buchstäblich zur ,Laufkoppel‘ und beherbergte neben einem hysterischen Pony und einer Ziege auch ein Lama mit extremem Unterbiss im Brautkleid. Der unfreiwillig ernste, kommentierend wirkende Blick des Tieres, dass den Eindruck machte, es würde denken, nur von Irren umgeben zu sein, war definitiv der Höhepunkt der Veranstaltung. Das muss er gewesen sein, einer jener (von John Bock beschriebenen) „Momente der Wahrhaftigkeit im spielerischen Ernst gleichsam versteckt“.#

„Die abgeschmierte Knicklenkung im Gepäck verheddert sich im weißen Hemd“, Vortrag von John Bock,
Haus der Kulturen der Welt, 26. 09. 2009
John Bock „Die abgeschmierte Knicklenkung im Gepäck verheddert sich im weißen Hemd“ (© HKW, 2009)
Microtime für Seitenaufbau: 1.25478982925