Willem de Rooij / Neue Nationalgalerie

Komisches Gefieder

2010:Dec // Melanie Franke

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11-2010
















Die Vorliebe oder besser Marketingstrategie von Udo Kittelmann für alles Tierische zeigt sich in mittlerweile drei Ausstellungen der Nationalgalerie. Nachdem er zunächst im Hamburger Bahnhof den US-amerikanischen Tiermaler Walton Ford („Bestiarium“) mit großformatigen Aquarellen ausstellte, auf denen Tiger, Löwen, Affen und andere Tiere in wilden Kampfszenen dargestellt waren, wurde das Museum mit der Ausstellung von Carsten Höller („Soma“) gleich in eine Art zoologischer Garten umfunktioniert. Rentiere, Vögel und Mäuse laufen dort in Gehege und Käfigen umher und thematisieren einen Mythos namens „Soma“. Nicht lebendig und daher etwas weniger spektakulär sind in der oberen Halle der Neuen Nationalgalerie ausgewählte Federtiere unterschiedlicher Provenienz zu betrachten.

Genreszenen des niederländischen Malers Melchior d’Hondecoeter aus dem 17. Jahrhundert treffen auf hawaiianische Kriegsgötter und andere Kultobjekte aus dem 18. Jahrhundert. Das Nebeneinander von ethnologischem Objekt und altmeisterlichem Bild firmiert unter der Autorschaft des niederländischen Konzeptkünstlers Willem de Rooij. In seinen Arbeiten wird die Bedeutung von Bildern, egal von wem, durch unterschiedliche Kontexte verändert, so auch hier. In der oberen Halle der Nationalgalerie trifft man auf ein großformatiges Display. Da kämpfen Hahn und Truthahn in lieblicher Landschaft miteinander, Pelikane posieren stolz. Alles im Format des Bildes. In den Vitrinen sind Köpfe aus Federn mit starren Blicken und weite Umhänge zu sehen.

Auf den ersten Blick erscheint das pure Nebeneinander dieser unterschiedlichen Exponate äußerst komplex und irritierend. Denn man fragt sich, was, über die Ebene von Motiv und Material hinaus, diese verschiedenen Welten verbindet. Sind die Differenzen nicht größer als die Gemeinsamkeiten? Was ist der semantische Gehalt dieser kostspieligen Installation in der erhabenen Halle der Nationalgalerie? Auf der Suche nach tieferen Sinnschichten, sei ein genauer Blick auf die Exponate und das vermeintlich Gemeinsame gewagt, um auf einer weiteren Ebene den Riesenaufwand der Inszenierung zu entlarven, erweist sich diese doch als im wahren Wortsinne komische Thematisierung musealer Praktiken. Doch zunächst zu den Bildern und Objekten.

Da sind auf der einen Seite die hawaiianischen Kriegsgötter (Kuka’ilimok) sowie Umhänge aus dem polynesischen Kulturraum des 17. Jahrhunderts. Nicht nur Federn längst ausgestorbener Vögel zieren diese Kopfformen, überwiegend in den Farben rot, gelb und schwarz, auch Menschenhaare für die Behaarung, Muscheln für Augen und Hundezähne für den Mund finden sich in den Köpfen wieder. Die Gesichtszüge sind zwar nur grob angedeutet, aber aus feinen Materialien (Federn) scheinbar akribisch zusammengefügt. Der starre Blick flößt Schrecken ein, vodooartig. Den Kopfelementen und Umhängen wurden Schutzfunktionen beigemessen. Während Prozessionen wurden Gebete gesungen und die Köpfe so getragen, dass die Götter in sie hinein kommen sollten. Die Farbe Rot, als heiligste Farbe im polynesischen Kulturraum, symbolisiert die Heiligkeit des Objektes zusätzlich. Getragen wurden die Köpfe aber nur vom Häuptling.

Auf der anderen Seite sind die altmeisterlichen Gemälde Melchior d’Hondecoeters. Seinerzeit war er in den Niederlanden gut bekannt und exportierte seine Werke in die ganze Welt. Die dargestellten Vogelarten sind überwiegend exotisch und wurden in Volieren gehalten, auch um sie genau zu betrachten. Die koloniale Vorrangposition der Niederlande wurde sicherlich auch anhand des Besitzes dieser ungewöhnlichen Tierarten sichtbar. Es sind allesamt stolze Tiere: Pfauen, Truthahn und Hähne posieren oder kämpfen miteinander. Was im Nebeneinander dieser Vogelbilder auch sichtbar wird, ist die mechanische Konstruktion der Bilder. Denn die verschiedenen in einem Bild gruppierten Vögel tauchen in gleicher Weise in allen Bildern auf, zwar immer in leicht veränderter Position, aber immer als wären sie mit Schablonen gemalt. Einzig der Pelikan scheint immer identisch. Nicht der Geniestreich, sondern die musterhafte Zusammenfügung der Bildmotive bestimmt die Inszenierung, und das bereits im 17. Jahrhundert, also lange vor den bekannten Formen serieller Produktion à la Andy Warhol.

Soweit zur Erkenntnis aus dem Vergleich innerhalb einer Werkgruppe. Was nun verbindet Bild und Objekt unterschiedlicher Herkunft? Zunächst ist es der Vogel: bei d’Hondecoeters als Motiv, bei den Kultobjekten in der Verwendung von Federn, sowie die diversen Vorstellungen von Exotik, die sich vergleichen lassen. Die Faszination, die von fremden Vogelarten ausging, verbindet sich mit dem Wissen um die Rolle der Niederlande im 17. Jahrhundert, als das Handelsimperium seinen Höhepunkt erreichte. Die Möglichkeit, sich fremde Kulturen anzueignen, trifft sich mit dem Besitz exotischer Exponate. Auch die damalige Bekanntheit d’Hondecoeters und der Vertrieb seiner Werke spielt sicherlich mit dieser politischen Situation zusammen. Als politisch lässt sich auch die schützende Funktion der Kultobjekte zusammen mit der Symbolhaftigkeit von roter Farbe und der Feder beschreiben. Einem Totem gleich, galten die Kopfformen als heilig und sollten Schutz vor Feinden bieten, indem während Prozessionen die Götter eingeladen wurden, in die Körbe zu kommen. Kein anderer als der Häuptling durfte dieses Objekt tragen, für alle anderen war es tabu. Gesellschaftliche Normbildung, die gebietet oder verbietet, als Bestandteil funktionierender Strukturen, darum geht es in beiden Fällen: um die Demonstration von Macht und Konfliktsituationen innerhalb kultureller, gesellschaftlicher und politischer Übereinkünfte. Vorstellungen, die sich im Kolonialismus auf vielfältige Weise finden.

Hawaii gehörte nicht zu den Kolonien der Niederlande, so dass hier keine direkte Linie von Aneigner und Angeeigneten gezogen werden kann. Generalisierend verkörpern die Ausstellungsstücke dennoch diese Idee des Zusammentreffens verschiedener Ethnien, wie auch unterschiedlicher Vorstellungen von Schönheit, gesellschaftlicher Norm und Akzeptanz. Erst in der Gegenüberstellung entwickeln die Exponate diesen semantischen Gehalt. Die Beziehung zwischen den Dingen wird damit beinahe bedeutsamer als die Objekte selbst. Und an dieser Stelle kommt die künstlerische Autorschaft, die im Akt des Suchens, Findens und Zusammenstellens sichtbar wird, ins Spiel. Ob die Kontextverschiebung und Relationalität dabei künstlerisch oder kuratorisch gedacht wird, ist eigentlich unerheblich. Wenngleich die Ausstellung sicherlich anders rezipiert werden würde, wenn sie nicht von einem Künstler konzipiert und gestaltet worden wäre. Und es ist mit Sicherheit eine Leistung der Ausstellung, durch das Nebeneinander der Werke, die Art und Weise der Wahrnehmung von Bildern in unterschiedlichen Kontexten und im Zusammenhang ihrer Autorschaft zu thematisieren. All das im erhabenen Tempel der Kunst, der seinerseits ein Rezeptionsmodell suggeriert.

Um dieses ungewöhnliche Arrangement von Kultobjekt und altmeisterlicher Malerei zu ermöglichen, wurden weder Kosten noch Mühen gescheut: Ein die Halle füllender Kubus mit eingelassenen Vitrinen wurde gebaut, die Durchlässigkeit der Nationalgaleriefenster mit Folie aufwendig gedämpft und vor allem wurden die Leihgaben für diese Präsentation eingeholt. Darüber hinaus wird die Ausstellung flankiert von einer dreibändigen Publikation, die im Format eines Catalogue raisonné sowohl die Malerei von Melchior d’Hondecoeter erforscht, als auch die Kultobjekte katalogisiert und die Ausstellung dokumentiert. Eine ungeheure Arbeit, nur um durch eine Kontextverschiebung den Bildern und Objekten im Nebeneinander eine neue Relation zu ermöglichen, die womöglich auch als Abbild, zweidimensional im Format eines Buches entstanden wäre. Es fragt sich, ob die sinnliche Präsenz der Objekte für die Erkenntnis notwendig ist. Träfen die Exponate als zweidimensionale Reproduktionen aufeinander, würden sich die assoziativen Felder gleichermaßen eröffnen. Es sei an dieser Stelle an das surrealistische Zeitschriftenformat „documents“ erinnert, in dem unter vielen Michel Leiris und Georges Bataille Fotografien mit Motiven verschiedener Kulturen gegenüber stellten.

Die Begleitpublikationen der Ausstellung werden in Buchform als Teil der Präsentation angesehen. Drei Bände, von denen zwei die Malerei d’Hondecoeter und die hawaiianischen Objekte erforschen, stehen in keinem Verhältnis zu der Erkenntnis, die man sich als Betrachter dann doch selbst zusammenreimen muss. Schließlich bemühen sich diese Publikationen eher um die Provenienz der Objekte und nicht wie allgemein üblich um die Relationalität oder Theoretisierung, die sich aus der Ausstellung ergibt. Auch hier entsteht eine Differenz, die ins Feld des Komischen führt.

Nach Sigmund Freud entsteht Humor zwischen Personen, wenn eine Person einen übermäßigen Mehraufwand betreibt, der an die Bemühungen eines Kindes erinnere und stark abweicht von dem Aufwand, den die lachende Person für das gleiche aufbringen müsste. Dann entstehe eine Differenz und diese könnte man auch schlicht als Konflikt bezeichnen, der durch Lachen gelöst, schlicht weggelacht wird. Die lachende Person versetzt sich an die Stelle der belachenden Person und lacht über die Differenz. Umgekehrt staunt man, so Freud, wenn jemand weniger Aufwand für etwas benötigt, als man selbst aufbringen müsste. Staunen wie Lachen werden also als Emotionen durch Unterschiede im Vergleich mit anderen ausgelöst. Dabei können lachende und belachte Person auch in eins fallen, soll heißen, man kann auch in sich selbst diese Unterschiede finden. Dann fallen, wie in der Ausstellung, hoher geistiger Anspruch und körperliche Bedürfnisse in eins. Dann kann man lachen und sich darauf freuen, welches Kaninchen Kittelmann als nächstes aus dem Hut zaubern wird.

Melanie Franke

Willem de Rooij „Intolerance“, Neue Nationalgalerie,
Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin, 18. 09. 2010–02. 01. 2011

„Symbol des Kriegsgottes Kukailimok“, Hawaii 18. Jh., aus der Sammlung James Cook, Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin (© Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Claudia Obrocki)
„Pelikan und andere Wasservögel in einer Parklandschaft“, 2. Hälfte 17. Jh. Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin (© Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Jens Ziehe)
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