Crossover

2014:Mar // Raimar Stange

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03-2014














Crossover
/na klar, aber wie?!

Die 1990er-Jahre waren bekanntlich eine erklärte Dekade des künstlerischen Crossover: Rirkrit Tiravanija kochte, Markus Schinwald etwa schneiderte Mode, Matta Wagnest, Carsten Nicolai und Gerwald Rockenschaub spielten den Techno-DJ,  Andrea Zittel und Tobias Rehberger u.a. bauten Möbel, Wolfgang Tillmans und Elizabeth Peyton betätigten sich als Pop-Musik-Photojournalisten, Sean Landers schrieb einen Roman, Jorge Pardo wurde zum Architekten, Pipilotti Rist drehte, wie Tillmans auch, ein Musikvideo,  Anita Leisz überzeugte als Comic-Zeichnerin, Heimo Zobernig entwarf ein TV-Studio, Piotr Uklanski gestaltete zitierend einen Dancefloor, Carsten Höller begab sich, wie Olaf Nicolai und Peter Fend auch, in das Feld der Biologie, Christine & Irene Hohenbüchler z. B. mischten sich ein als Sozialarbeiterinnen, Liam Gillick und Henry Bond agierten gemeinsam als Gerichtsreporter, Dan Peterman entpuppte sich als Recyclingspezialist, Dan Perjovschi zeichnete sich als politischer Cartoonist aus, Plamen Dejanow & Swetlana Heger reüssierten als Werbe- und Marketing-Team, Silke Wagner wurde zur engagierten Aktivistin und Carsten Nicolai machte die Welt der Physik bildfähig …
Genug der Geschichtsstunde und gefragt: Was haben all diese, zugegeben ein wenig willkürlich von mir ausgewählten Beispiele gemeinsam? Es sind KünstlerInnen, die den Crossover in ein anderes, eigentlich kunstfernes Feld vornehmen. Diese Feststellung klingt selbstverständlich, sie ist es auch – aber dennoch ist heute diese Selbstverständlichkeit verloren gegangen, und plötzlich ereignet sich das nun nur noch vermeintliche künstlerische Crossover quasi rückwärts. Modeleute drängen plötzlich in die Kunst, Architekten meinen ebenso wie Porträtfotografen den Glanz der „freien“ Gestaltung zu benötigen und ehemals als bloße Popmusik gefeierte Bands werden plötzlich als hehre Kunst gehandelt. Ein gutes schlechtes Beispiel hierfür ist die Art und Weise, wie die deutsche Band Kraftwerk jüngst sogar im New Yorker Museum of Modern Art als Kunstprojekt abgefeiert wurde. Der Song „Autobahn“ z. B. ist guter Popsong, an seinem Ende, im Radio kaum zu hören, driftet er ab ins schlechte Psychedelische. Kunst aber ist der Song auf keinen Fall, wollte es auch nie sein. Dass es z. B. eine gestylte Lightshow dazu gibt – für welche professionelle Band gilt dieses nicht?!  
Solche „Trittbrettfahrer“ aber sind und bleiben Modeleute, Architekten, Fotografen und Popmusiker – was ja auch wirklich nichts Ehrenrühriges ist. Nicht okay aber ist dieser meist selbst verschuldete Etikettenschwindel des künstlerischen Crossover, denn er leugnet die spezifischen Qualitäten, die Betriebssysteme nun einmal haben: Rirkrit Tiravanija z. B. kocht ja nicht besser als Sterneköche – ich bin übrigens ein wenig stolz darauf, nicht zu wissen wie diese heißen, aber das ist eine andere Geschichte –, aber eben anders, denn er betont vor allem den sozialen und kommunkativen Aspekt des als Situation wahrgenommenen Kochens und Essens. Wer diese signifikante Differenzen nicht wahrnehmen will oder kann, oder sie gar vergessen hat, der tut dieses meist aus niederen Beweggründen, etwa um, siehe Kraftwerk, mit solchem scheinbaren künstlerischen Crossover die eigene Institution auf Kosten der Kunst populärer zu machen. Oder, umgekehrt, um das eigene nicht künstlerische Produkt mit Distinktionsgewinnen aufzuladen.

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