Anspruch an die Lehre

2013:May // Barbara Buchmaier (mit Dank an Christine Woditschka)

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05-2013














Anspruch an die Lehre - Potenz, Pose, Potenzial?
/ Ein Statement von Barbara Buchmaier (mit Dank an Christine Woditschka)

Aus meiner Sicht als ehemaliger Studentin und heutiger Kunstkritikerin:
„Think different“ war eine zentrale Parole der 68-er und ihrer Anhänger. Dieses Motto ist auch aus heutiger Perspektive noch zu begrüßen und war sicherlich sehr fruchtbar und lehrreich für mich (als Studierende in den 90er Jahren) wie auch für viele andere – bis es letztendlich zu einem systemstabilisierenden, normativen Leitmotiv des Kapitalismus geworden ist. Abweichung, Differenz, und noch eine neue Runde ... Auch Apple bediente sich von 1997–2002 dieses Slogans.
Wir alle kennen das. Der Aspekt, den ich hier ansprechen möchte, betrifft dabei die Tatsache, dass die früheren „Radikalen“ oder Anders-Denker heute oft institutionalisiert sind und uns als Professoren ihre alte, vorformulierte und abgesicherte Version des „Think-Different“ – oftmals der Kritischen Theorie folgend und selbst zum sogenannten Poststrukturalismus beitragend – weiterreichen wollen ... was, wie man häufig beobachten kann, dazu führt, dass in den Texten und auf den Leinwänden ihrer Studierenden davon nur noch (Wort)Hülsen, entleerte wie abgeflachte Gesten und Posen von Radikalität und/oder Institutionskritik ankommen.

Einige der einstigen „Que(e)rdenker“ haben inzwischen zwar öffentlich erkannt und publiziert, dass viele Vertreter der jüngeren Generationen, die sich ja unter den Vorzeichen des von ihnen diagnostizierten Postfordismus und aktuell auch des Netzwerkkapitalismus einzurichten haben, nur noch in einer Haltung der Pose radikal sein können, und dass diese sich häufig inhaltlich und/oder geschmacklich passende, vielleicht gar von ihren Professoren empfohlene Ersatzväter und -familien suchen (Stichwort „Artist’s Artist“), statt in der Realität aktiv gegen etwas wie ihren eigenen Vater oder Erzieher zu rebellieren (vgl. Diedrich Diederichsen: „Radicalism as Ego Ideal“, 2011, http://www.e-flux.com/journal/radicalism-as-ego-ideal-oedipus-and-narcissus/, letzter Abruf: 10.04.13). Doch wäre es nicht sehr wünschenswert, weiterzugehen und sich selbstkritisch zu fragen, inwiefern die Ursachen dafür auch in der Lehre, in den jüngeren Ausbildungsansätzen der Universität oder Akademie liegen könnten?

Und: Soll man sich durch diese Diagnose als junger Künstler oder Theoretiker unangenehm auf die Finger geklopft fühlen? Lässt man sich also von oben, von den eigenen Profs abkanzeln – oder liegt nicht auch in der leeren Geste ein Potenzial? Genauso sollte man die Frage stellen, ob die Häufung solcher leeren Gesten und Posen nicht auch die (autoritäre) Struktur offenbart, unter der sie sich erst entwickeln konnten und deutlich vernehmbar geworden sind. Hierüber kann man sicher diskutieren. Gleichzeitig wäre zu klären, wie man das Bewusstsein der Studierenden für diesen Zustand öffnen und sie aktiv zum selbstständig zu formulierenden „Think Different“ anregen kann. Und wie sich so etwas RADIKAL ANDERS formulieren könnte – und das ohne Angst vor Verlusten.
Vielleicht sollte man sich als aktuell Verantwortlicher nicht nur damit zufrieden, wenn die Jungen die über die letzten Jahre institutionalisierten „queren“ Inhalte brav und in Ewigkeit nachbeten und ähnliche Götter anbeten wie man selbst. Oder aber, man gibt der leeren Geste eine echte Chance!

Aus heutiger Sicht als Lehrbeauftragte (und Kunstkritikerin) mit parallelen Jobs und Projekten im Kunstkontext:
Es ist natürlich nicht einfach, vor den Studierenden Zweifel am zu vermittelnden Unterrichtsstoff, an Studieninhalten oder Lehrmethoden (z.B. Besprechung von drei Theorietexten pro Sitzung etc.) zu formulieren, oder auch an deren Abgenutztheit. Oder gar Fragen bezüglich des Sinns zu stellen und die Abgenutztheit bestimmter Rhetoriken zu klären. Klar, erst muss eine Basis geschaffen werden, dann kann man weiterreden – das darf man natürlich nicht vergessen. Aber mit Selbstkritik oder Kritik am Lehrstoff nähme man sich auch selbst die Grundlage. Man müsste sich selbst überdenken und den bereits vorbereiteten Unterrichtsstoff überarbeiten oder vielleicht sogar völlig neu formulieren oder rahmen.

Soll man denn nun z.B. ein Artist-Statement überhaupt schreiben? Und bitteschön, wie? Möglichst nahe am Werk oder besser „different“, „creative“ oder doch eher gar nicht? Und macht es da Sinn, mit Zitaten zu arbeiten?
An dieser Stelle etwa gerate ich an meine eigenen Grenzen, denn ich kann solche „Statements“ inzwischen kaum noch hören. Ich bringe also Beispiele unterschiedlichster Art, lese sie laut vor oder lasse vorlesen: die laute Lektüre ist wichtig, denn erst so wird so manche Worthülse, so manche Standardisierung des allzu „Differenten“ schnell erkannt und oft auch von Studentenseite benannt.
Ich erkläre den Studierenden von Zeit zu Zeit meine Zweifel und viele stimmen tatsächlich auch zu. Doch wie weiter?
Die Studierenden wollen ja großteils auch lernen. Und lernt man nicht auch über die reflektierte, ins Eigene abgewandelte Wiederholung? Müssen die Jungen also erst selbst durch die Differenzhaufen ihre Vorgänger und Vorgesetzten tapsen und stolpern, um ihre eigene Abweichung zu zeugen. Das wäre zumindest eine Hoffnung. Wie aber kann man sie aktiv dazu anleiten, selbst um- und weiterzuformulieren, ohne dass man selbst oder eben sie dabei in leere Phrasen verfallen? Oder wäre eben genau das das Potenzial, das ich selbst noch anheizen sollte: ein Theater der Masken und Posen? Radikales Posen? Ein Performen ausschließlich in Zitaten? Zombiismus, Travestie? Ein postironisches Meta-Show-off?

Zwei Fragen an alle Lehrenden
1. Wäre es grundsätzlich schon ein Erfolg, wenn Studierende gegen einen Lehrer, gegen einen Professor, gegen eine Institution rebellieren? Wenn sie sich gedanklich absetzen? Sollte man ihnen also Anlass dazu bieten? Sollte man sich darüber freuen, auch wenn es vielleicht zum eigenen Nachteil ist und einen verunsichert. Ich kann nicht darauf antworten, denn ich habe ein solches Experiment an einer Hochschule noch nicht wirklich erlebt oder riskiert. Außerdem – wäre es nicht auch autoritär, Extra-Anlässe für eine solche Situation zu „bauen“? (In diesem Zusammenhang sollte man sich auch nochmals Artur Żmijewski Berlin Biennale vor Augen führen.)
2. Oder wäre es sinnvoll, die Situation auf den Kopf zu stellen und die Lehrenden zumindest phasenweise zu den Studenten ihrer Studierenden zu machen?

Abschließend möchte ich noch ein aktuelles  Zitat von ­Jutta Koether zum Besten geben, das im aktuellen Texte-zur-Kunst-Heft zu lesen ist: „Ja, irgendwie geht es darum, im Homogenisierten etwas zu finden, das strange ist. Sich darum zu bemühen, die eigentlich verfügbaren und vertrauten Dinge wieder fremdzumachen. Genau diese Differenzierungstechniken sind es, auf die es heute ankommt.“ (Heft 89, S. 163)
Das klingt erstmal ermutigend, aber dann schwer nach Worthülse und zeigt auf, wie schwer es selbst für die alte Garde geworden ist, über derartige, inzwischen eingeschliffene Formulierungen hinwegzukommen.

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www.kunstimkontext.udk-berlin.de (© )
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