Gespräch über Kritik

Die Meinung der anderen

2010:Dec // Peter K. Koch / Andreas Koch / Heidi Specker

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11-2010
















Peter K. Koch  /  Als Künstler darf man zwar eine hemmungslose Kritik über andere Künstler schreiben, sie aber eigentlich nicht ungestraft veröffentlichen, weil man dann für alle Zeiten als Nestbeschmutzer dasteht. Das sieht dann schnell nach Lästerei und Missgunst aus. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Künstler nicht so theoretisierend schreiben wollen oder können, sondern mitunter den polemischen Tonfall favorisieren. Damit begibt man sich auf vermintes Terrain.

Andreas Koch /  Ich glaube, das hat weniger mit Künstler oder Kritiker als Autor zu tun, sondern viel mehr mit dem Format des Verrisses im Allgemeinen. Obwohl du natürlich Recht hast, dass man als Künstler es sich nicht unbedingt leichter macht, wenn man andere kritisiert. Man kann als Künstler dann aber auch immer anführen, dass man mit dem eigenen Werk ja genauso in der Öffentlichkeit steht, und der Verrissene sich gerne auch dazu äußern kann. So würde es endlich auch zu einer größeren Streitkultur kommen und man würde offen miteinander die Arbeiten diskutieren. Das fehlt ja komplett. Bei Gruppenausstellungen schweigt man höflich, wenn man die Arbeit des Nachbars doof findet, um dann die Stimmung auf der Eröffnung nicht zu gefährden.

Peter K. Koch /  Deswegen wäre es doch auch hilfreich, wenn sich auch gerade diejenigen öfter äußern würden, die qua ihrer Bekanntheit ständig in der Öffentlichkeit stehen und deswegen den Gegenwind ja gewöhnt sein müssten. Denn es muss gemeckert werden, um die Sache in Gang zu kriegen. Im Kleinen und im Großen. Beispiele dafür gibt es ja genug. Obwohl der Neidverdacht auch in höheren Sphären der gleiche bleibt. In dem Zusammenhang erinnere mich z.B. an einen relativ bösen Text von Gerhard Richter in der ZEIT nach der Bestellung von Christoph Schlingensief zum deutschen Biennale-Künstler. Das fand der Richter gar nicht gut, denn in seinen Augen hatte der Schlingensief überhaupt nichts mit Kunst zu tun. Jedenfalls nicht mit der Königsdisziplin, der Malerei oder, mit einigem Abstand dahinter, mit der Bildhauerei. Nackter Neid wird das nicht gewesen sein, denn wie man ja weiß, hatte Richter ebenfalls schon mal ein paar prominente Bilder in Venedig. Trotzdem war das die reine Missgunst und da Schlingensief zu der Zeit schon so etwas wie der Säulenheilige der deutschen Hochkultur war, ist Richter in der Kritik auch so gut wie niemand gefolgt. Ich fand das mutig. Ich stelle mich hier hin und sage meine Meinung. Scheiß auf die Meinung von den anderen. Aber um zurück zu kommen auf das Berlin-Level, so muss ich sagen, dass meine Erfahrung so ist: Alle lästern, dass sich die Balken biegen, aber die wenigsten haben den Mut, ihre Meinung öffentlich zu sagen, weil jeder Angst hat, sich die Finger zu verbrennen. Wie könnte man das ändern?

Heidi Specker /  Ich glaube, das ist nicht zu ändern und nicht erst seit heute ein Problem.
Ich zitiere aus einem Interview Sylvester/Bacon.
„FB: I think that destructive criticism, especially by other artists, is certainly the most helpful criticism. Even if, when you analyze it, you may feel that it’s wrong, at least you analyze it and think about it. When people praise you, well, it’s very pleasant to be praised, but it doesn’t acutally help you.
DS: Do you find you can bring yourself to make destructive criticism of your friends work?
FB: Unfortunately, with most of them I can’t if I want to keep them as friends.
DS: Do you find you can criticize their personalities and keep them as friends?
FB: It’s easier, because people are less vain of their personalities than they are of their work. They feel in an odd way, I think, that they can work on it and change it, whereas the work that has gone out – nothing can be done about it…“

Andreas Koch /  Ok, was wirklich absurd ist. Wahrscheinlich ist es sehr viel schwerer, die Persönlichkeit zu verändern, als seine Arbeit zu verbessern. An der Kunstschule ist Kritik unter Künstlern noch üblich und dann wird das gleich danach komplett ausgeblendet. Der einzige, der noch eventuell was sagen darf, ist vielleicht der Galerist. Als Künstler muss ich sagen, dass ich viele der Schwachpunkte meiner Arbeit eigentlich kenne, und deshalb nicht sonderlich beleidigt bin, wenn mich einer darauf hinweist. Oder er kommt aus einer extrem anderen Ecke, dann kann ich das auch einsortieren. Und gegebenenfalls zurückschießen, ich fände ja ein paar ordentliche Lagerkriege würden der hiesigen Szene ganz gut tun. So wird einfach enorm viel Zeug vor sich hin produziert und niemanden interessiert es wirklich. Wie geht es euch, wenn man eure Arbeit kritisiert?

Peter K. Koch /  Wie die meisten Menschen, und das beziehe ich nicht nur auf das Kunstgeschäft und die Künstler, bin ich nur empfänglich für Kritik von den Leuten, deren Meinung ich sowieso schätze. Und das sind naturgemäß erstmal die Menschen aus dem allernächsten Umfeld. Familie, Galerist, enge Freunde. Da nimmt man die Kritik dann auch an und ist oft sehr, sehr verletzlich. Klar kennt man eigentlich die Schwachpunkte der eigenen Arbeit, aber wenn die kritische Stimme innerhalb der Wagenburg erhoben wird, dann kann das sehr schmerzhaft sein. Aber eben auch heilsam. Da bewegt sich dann oft wirklich was. Da überdenkt man die Dinge neu, macht wichtige Korrekturen. Ich persönlich finde deshalb auch die Kritik während des Produktionsprozesses viel wichtiger, als die Kritik an der fertigen Arbeit. Da ist das Kind ja schon in den Brunnen gefallen. Das hilft mir dann nicht mehr. Kritik von außen bewerte ich vollkommen anders. Da sage ich grundsätzlich zuerst: Der hat keine Ahnung, der interessiert mich auch nicht. Da bin ich zu 100% dickhäutig. Hauptsache meine Gruppe ist einverstanden. Das ist für mich gesünder. Man kann sich ja nicht jede Kritik zu Herzen nehmen. Dann verliert man sich doch komplett.
Deswegen kann ich auch nicht verstehen, dass man schwer beleidigt sein soll, wenn man mal ein bisschen von außen kritisiert wird. Das ist in etwa so, wie wenn einer sagt, er mag blau und der andere sagt halt, dass er lieber grün mag.
Sinnstiftend ist für mich einzig und allein die Kritik aus nächster Nähe! Und die muss engagiert und präzise sein.

Heidi Specker /  Das möchte ich bezweifeln, ob Kritik aus nächster Nähe engagiert und präzise sein kann. Und zitiere aus einem Artikel im artforum: Franz West versus Fans.
„Livia Straus : We saw you in Berlin at the recent exhibition of abstract paitnings by your wife Tamuna Sirbiladze at Charim Ungar, which we understood you curated. Have your works influenced one another?
Franz West: This would be easily answered by an outsider. We broke the habit of commenting on each other’s work because very often questions regarding initiation came up and both of us strictly neglected the others’s influence. How it is in reality could be judged from neutral, objective standpoint only. I don’t think that I impigned upon the painting.“

Andreas Koch /  Eben. Wenn die Person zu nahe ist, wird sie sich meist hüten wirkliche Kritik zu üben, da sind dann etliche Höflichkeits- und Nichtverletzungsfilter drübergebaut. Das war ja das Experiment der letzten von hundert, einfach die Namen der Kritiker weglassen, anonyme Texte zu drucken. Die Idee dahinter war es, dann Texte zu bekommen, die auf alle Konsequenzen, sei es im Persönlichen, sei es im Betriebsstrategischen pfeifen. Gleichzeitig bekamen wir als Heft massiv Kritik. Natürlich will jeder wissen, wer das schreibt, um es besser einordnen zu können. Jedenfalls, so mein Argument dafür, waren es ehrlichere Texte.

Peter K. Koch /  Ich denke, das hängt wirklich vom Grad der Nähe und vom Grad der Aufrichtigkeit ab. Ich sprach ja auch von Familie, da zähle ich die allerwenigsten dazu. Bei allen Konstellationen, die einen Schritt weiter weg sind, würde ich dir auf jeden Fall Recht geben, da greift dann die Höflichkeit und bettet alles in ein Meer aus Watte und erstickt jede konstruktive Regung. Deswegen war die Idee mit der anonymisierten von hundert eigentlich auch eine gute Idee. Der Fehler bei so einem Format ist, dass der Kritisierte dem Feind eben doch gerne ins Gesicht schaut und nicht im Nebel herumstochern möchte. Das anonyme Verfahren verleitet einen ja auch eher zum verletzenden Meckern, und das hat mit konstruktiver Kritik dann auch nichts mehr zu tun. Meine Erfahrung ist jedenfalls, dass ich immer dann, wenn ich wirklich meine ehrliche Meinung gesagt habe, auch mit negativen Konsequenzen konfrontiert gewesen bin, sei es durch Missachtung oder durch offene Feindschaft. Da bin ich wirklich vorsichtiger geworden, obwohl mir das nicht schmeckt.

Heidi Specker /  Mir scheint, wir müssen das Wort Kritik noch mal klären. Für mich ist es eindeutig von dem – Finden im Sinne von Empfinden – getrennt. Kritik bedeutet doch, etwas zu befragen, Fragen zu stellen. Natürlich kann eine Frage eine Sache in Frage stellen, umso besser. Die Qualität der Fragen macht am Ende die Qualität der Kritik aus.

Peter K. Koch /  Eine Kritik mag mit dem Befragen einer Sache oder eines Sachverhalts beginnen, aber im weiteren Verlauf gebe ich als Kritiker doch auch Antworten und lasse mein subjektives Empfinden in die Bewertung einfließen. Die kritische Bewertung als Frage, ohne primäre subjektive Einschätzung, kenne ich eher aus der künstlerischen Lehre, wo ich mein Gegenüber durch die richtigen Fragen selber auf die Fährte setze und dadurch im besten Fall in die (Un-)Tiefen des eigenen Universums leite. Da sollen die Antworten vom Befragten kommen. Diese Art Kritik geht aber nur im Dialog. Die Möglichkeit hat man als Kritiker aber nicht immer. Bei einer geschriebenen Kritik muss ich die Fragen ja teilweise selber beantworten oder ich lasse sie eben unbeantwortet und gebe sie an den Leser weiter, oder?

Heidi Specker /  Fragen beinhalten die Antworten, das ist doch das spannende. Ich denke da reicht der Monolog.

Andreas Koch /  Fragen finde ich auch zu vorsichtig. Das begegnet mir auch gerade wieder in der Kunstschule, diese bestimmte Art des Rantastens über Fragen. Da bleibt dann viel unbeantwortet im Raum stehen und es entsteht eine merkwürdige Atmosphäre des verstockten Rumstocherns. Für die Kunstschule mag das gerade richtig sein, auch bei Ateliergesprächen später ist das eigentlich der gleiche Stil, man will ja da heil wieder rauskommen. Geschriebene Kritik sollte aber auf jeden Fall Position beziehen und werten und kann natürlich auch subjektive Anteile haben. Ich glaube, Texte können ehrlicher und substantieller sein als Gespräche, wenn auch natürlich einseitig und nicht dialogisch. Aber beim Schreiben geht man tiefer rein in die Sache, man hat auch sehr viel mehr Zeit und ersetzt den Dialog durch einen inneren. Tatsächlich finde ich die Form eines geschriebenen Gesprächs, wie wir es die letzten Tage geführt haben, vielleicht doch eine gute Möglichkeit über Kunst zu kommunizieren. Man kann fragen, Meinung äußern, sich oft lange Zeit lassen, aber auch schnell reagieren. Die Neue Review lässt grüßen ....

Heidi Specker /  Und noch mal, eine Frage äußert doch auch eine Haltung und beinhaltet eine Antwort. Mir fällt jetzt keine Frage der künstlerischen Lehre ein, es ist vielleicht auch besser so, denn eine Frage in einen Kontext zu stellen, im Sinne von Funktion, weil die Frage eine Lehre sein soll, macht doch im Zusammenhang der Kritik gar keinen Sinn. Ich würde unterscheiden. Die Fragen, die die Kritik stellt, stellt gleichzeitig die Kritik in Frage. Das ist das spannende.

Franz West und Mary Heilmann beim Betrachten des Buches „Is it Art or is it Fart“ (© http://events.familylosangeles.com/)
Cartoon (© Andreas Koch)
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