Psych Rock und Malerei

2012:Dec // Vera Palme

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12-2012

















We like the darkness!
/ Analogiebildungsversuche zwischen den schönen Künsten

Psychedelischer Krautrock? Op-artiger Sci-fi, LSD-gesteuerte Palette im von Haschisch verschleierten Lavalampenlicht. „Too obvious – langweilig!“ konstatiert die Berliner Krautrockband EAGLE BOSTON.
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Die Frage, was Malerei und psychedelischer Krautrock gemeinsam haben könnten, die Suche nach Übereinstimmungen im Entstehungsprozess oder Ähnlichkeiten im Erleben – kurz: wie nah sind sich Malerei und Psych eigentlich wirklich? – schien mir eine dringliche, aber mittlerweile vielleicht doch eher belanglose.
Ich möchte das Geheimnis hier nicht lüften.
Nur so viel (sub rosa): es geht um Äpfel und Birnen (Pyrinae, die Sippe der Kernobstgewächse), die einzeln sehr lecker mit feinem Senf und kräftigem Käse oder auch zusammen als Obstsalat zu genießen sind.
Kernobstgewächse gehören zu den Rosengewächsen (Rosaceae), zu denen, neben der Rose (Rosa), eben auch diverse Obstsorten gehören von der Himbeere bis zur Mandel. Ich denke jetzt an süße Zärtlichkeit, die ihre verletzliche Schönheit in prallem Fleisch oder pelziger Härte (nicht nur) der Zunge anbietet.
Wer einmal das Heranwachsen einer Rose verfolgt hat, durfte erleben wie ein zarter, unscheinbarer Keimling durch die schwarze, feuchte Erde bricht und stetig prosperierend bereits sehr früh die typische Form der gesägten Fiederblätter entwickelt und den anfänglich Stachelflaum ansetzt, der sich recht schnell zur stolzen Dornenkrone wandelt. Die erhabenen Blüten (deren prachtvolles Farbspiel und erotisch strammes Formenpotential schon immer die Menschen in Entzücken versetzt haben) sind das, worauf man sehnsuchtsvoll wartet.
Das Versprechen der Nacht: die mit Rosenfingern erwachende Morgenröte.
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EAGLE BOSTON live ist die Euphorie/der Hunger/die Sucht, die unerwartet mit der rechten Geraden aus dem Dunkel kommt – wenn die Bässe den Herzschlag übernehmen, die Raumzeit expandiert und die Augen gegen den verdammt beißenden Fahrtwind geschlossen werden müssen.
Bilder tauchen zwischen dieselgetränkten Schwaden an einer vom Vollmond beschienenen Tankstelle auf, pressen sich durch das Wummern des gedrosselten Motors und wachsen in monumentaler Zeitlupe. Kreischende, zerfetzte Farbfeuerwerke, triefend ölige Weiten, knochentrockene Zeichnungen. Eine allumfassende Nacht in heißer Zeitlosigkeit. Aber das sind meine Bilder, die ungemalt nur Vorstellung bleiben.
Im Gespräch mit EAGLE BOSTON wird ziemlich schnell klar: Bilder, meistens eine Kombination aus Atmosphäre und Dynamik, sind notwendig, um dem Song sein Leben einzuhauchen. Ab da ist er der Boss.
Endlose, sich aufsaugende Highways, ein wütender Fluss, der die Brücke mit sich reißt oder absolute Leere …
Uncontrollable powers – kraftvolle, dramatische Momente die der Reverb für kurze Zeit zur Unendlichkeit erklärt.
„Diese Musik kommt eher aus dem Dunkel, als aus dem Licht“, erklärt Yelka Laschnikow, Sängerin und Bassistin der Band. Ein Dunkel, das nicht beängstigend ist, sondern umfangend. Das Unbekannte, in das man sehnsüchtig hineinstiert, in dem man sich verliert. „Nocturne in Black and Gold: The Falling Rocket“ (James McNeill Whistler, 1875).
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Kraftvolle, dramatische Momente gibt es in der Malerei auch, zu Genüge.
Aber wie könnte Malerei, für die das Licht die Luft zum Atmen ist, in diesem, elektrischen Halbwelten entspringenden, Sound klingen?
Durch die Brille des Krautrockers betrachtet, hören wir in zeitgenössischer Malerei zum Beispiel:
„Das, was man nicht sieht (Monika Baer) – die Depression in der Fußbodenentwässerung (Stefan Müller) – Hühner, die in elektrische Felder treten (Amelie von Wulffen) – blutrünstige Ernsthaftigkeit im Inneren eines Containerschiffs (Jutta ­Koether) – implodierende Höhlenmalerei oder auch einen sehr schönen Drumteppich (Michaela Eichwald) – den Alptraum, den man bis zum Ende gucken will (Richard Aldrich) – enthäutete, ge-x-rayte Strukturen (Julian Schnabel) – fiependen Schmerz (Chris Martin) – Nichts (Jana Euler) …“
Ob’s klingt oder nicht, ist relativ, vielleicht sogar eine Frage von Geschmack. Offenheit und Tiefe, Rhythmus und Kontrast, Textur und Farbe in Bildern mögen, neben Atmosphäre (again!), visuelle Inspirationsimpulse sein. Aber Bilder bleiben Mittel zum Zweck, ein Notationssystem.
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Vielleicht ist eine Nähe zum Filmischen viel naheliegender, als die klumpfüßige Suche nach Gemeinsamkeiten mit der physisch flachen, zweidimensionalen Malerei. Denn ohne Dynamik bleibt es bei der gelähmten Aufnahme eines ewig, geräuschlos tosenden Wasserfalls – à la Twin Peaks. Senseless.
Die Analyse der Systematik und Genetik überlasse ich deshalb ab jetzt wieder getrost den Biologen und Botanikern. Denn der betörende Duft der Rose – der bleibt unbeschreiblich und verführt jede einzelne Nase auf ihre eigene Art. 


Plakat zum Festival Polyhymnia (© )
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