Die Tropen

Martin-Gropius-Bau

2008:Nov // Thomas Wulffen

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10-2008
















Der Naturforscher Alexander von Humboldt wäre nicht erfreut gewesen. Die Idee hätte ihm vielleicht noch eingeleuchtet, aber die Ausführung würde er wohl als mangelhaft bezeichnen. Wir könnten auch Claude Lévi-Strauss befragen, der in den 1930er Jahren Feldstudien in Brasilien durchführte, die er in seinem Buch „Traurige Tropen“ veröffentlichte. Sicher würde der Anthropologe die Ausstellung ähnlich wie Humboldt bewerten. Was unter dem Titel „Die Tropen – Ansichten von der Mitte der Weltkugel“ derzeit im Martin-Gropius-Bau zu sehen ist, verdient eher den Titel „Tote Tropen“. Denn schließlich ist der Weg von den ‚traurigen Tropen‘ nicht sehr weit zu den ‚toten Tropen‘. Das liegt vor allem an der Inszenierung derer Inhalte. Die schon angesprochene Idee bestand in der Gegenüberstellung von alter und zeitgenössischer Kunst. Das hört sich auf den ersten ‚Blick‘ schön und interessant an: die zeitgenössische Kunst tritt in den Wettbewerb mit alter Kunst aus den Tropen. Was für Gegensätze, was für Widersprüche lassen sich da finden und darstellen. Wie reibt sich die Gegenwart an der Vergangenheit? Wie verliert der Eurozentrismus seine Maske im Angesicht der Tropen?

Vielleicht hätte ich die Pressekonferenz nicht zu früh verlassen sollen. Und vielleicht wäre es besser gewesen vor dem Eintritt in die Ausstellungshallen, noch einmal in Ruhe einen Kaffee zu genießen. So aber trat mir die Ausstellung in ihrer besonderen Leere entgegen, weil sich die Kollegen und Kolleginnen noch im Souterrain aufhalten wollten. Und in dieser Leere rieb sich nichts, überhaupt nichts, an dem Gegenüber. Und selbst die zeitgenössische Kunst assimilierte sich in seltsamer Weise an die Tropen, ohne dass man als Betrachter das Gefühl hatte, es wird einem heiß. Die Bruchkanten zwischen den tropischen Skulpturen und den zeitgenössischen Werken wurden sozusagen mit Mull abgedeckt und nebenbei alle Stereotypen der Tropen bestätigt, als sollte man diese nie vergessen.

Franz Ackermann ist ein Beispiel dafür. Sein Werk ist ein inszenatorisches Desaster, weil es für sich steht und doch einen Kontext erfordert, den es nicht hinterfragt. Als Eingangssituation zur Ausstellung ist es daneben gegriffen, weil es sich in der Darstellung doch nur um tote Tropen handelt. Wo man den künstlichen Dschungel von Steiner/Lenzinger großzügig durchschreiten könnte, quetscht man Mark Dions ‚Bretterbude‘ in die Ecke. In der Ecke aber wird schnell übersehen, dass es sich bei der Holzhütte um eine Art Kaufladen aus den Tropen handelt. Die Tropen werden allenfalls lebendig in den Reliquiarfiguren oder anderen Skulpturen, die zum Schutz oder zur Verehrung dienen. Die Differenz zwischen dem europäischen Kunstverständnis und dem der Tropen wird nicht deutlich. Wie sieht die zeitgenössische Kunst vor Ort aus? Darauf gibt es keine Antwort, weil sie sich in der Ausstellung nicht finden lässt. Andererseits haben wir irgendwie ein Bild von diesen ‚Göttern‘ und dieses Bild wird von Angesicht zu Angesicht korrigiert. Durch die Gegenüberstellung von dokumentierendem Monitorbildern und realen Skulpturen entstehen mit diesem Kunstgriff bessere Werke, als viele der richtigen Kunstwerke. In dieser Konfrontation wird dann auch offenbar, wie wir als Europäer die ‚Kunst‘ der Tropen wahrnehmen, unter anderem im elektronischen Abbild. Andererseits wird in der Präsentation dann etwas verschenkt, zum Beispiel bei den großartigen Fotografien von Guys Tillim. Oder manches geht unter in der Masse, wie die Zeichnungen von Fernando Bryce, die gleichzeitig Geschichtsschreibung und Zeitkritik sind. Vielleicht hätte man als Plakatmotiv nicht Ackermann nehmen sollen, sondern jene bemerkenswerte Aufnahme von Candida Höfer aus den ethnographsichen Sammlungen des Ethnologischen Museums, entstanden im Jahre 2003. Die Masken blicken zurück und die Menschen sind aseptische Monster.

In der Schuldlosigkeit für die die Ausstellung beispielhaft ist und in ihrer offensichtlichen schlichten Denkungsart ist für das sogenannte „Humboldt-Forum“ das Schlimmste zu befürchten. Denn die Ausstellung soll auch als Visitenkarte für dieses Unternehmen im neu erbauten Schloss herhalten. Talmi und Tand ist die passende Hülle.

„Die Tropen. Ansichten von der Mitte der Weltkugel“
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
12.9.–5.1.2009 
Franz Ackermann, Motiv des Plakats „Die Tropen“, Martin-Gropius-Bau (© the artist)
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