„N ist Vernichtung.“ Potz Blitz.

André Butzer in der Galerie Guido W. Baudach

2012:Apr // Vera Palme

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04-2012
















An der Tür der Galerie Guido W. Baudach in den Berliner Osram-Höfen hängt ein Eingangsgruß:
„Giebt es auf Erden ein Maas? Es giebt keines-“
(Friedrich Hölderlin) „N ist Vernichtung“ steht da noch.
Drinnen duftet es süß nach Brathähnchen, Pommes und Salat, die Mitarbeiterinnen nehmen gerade im offenen Büro der Galerie ihr Mittagessen ein.
Vier großzügige Leinwände, gefühlte 6 × 10 Meter, auf denen sich ein Grauschleier lichtet, vor dem schwarze, rechteckige Formen schweben, hängen im hellen Ausstellungsraum.
Die Galerie wirkt wie ein höchst exklusives Factory-Outlet: gewichster Linoleumboden, rostbraune Lüftungsrohre kreuzen Batterien von Leuchtstoffröhren, riesige weißgetönte Fenster, Motorenlärm eines rangierenden Lasters draußen auf dem Hof und dazu ein Arrangement aus Barcelona-Sesseln.Vier Bilder hängen hier zur Ansicht, das Zehnfache davon stapelt sich vermutlich im Lager, bereit für die Reise nach Übersee, bereit für die White Cubes dieser Welt.
Die Arbeiten unterscheiden sich kaum voneinander, 2,60 × 3,40 Meter, mal Hoch- mal Querformat, variieren sie die Begegnung zweier schwarzer Rechtecke auf hellem Grau. Der Bildaufbau scheint die grafisch anmutende Architektur des Raumes aufzugreifen, das Raster der gleißenden Leuchtstofflampen vor der schwarz gestrichenen Decke zu reflektieren. Beim Herantreten an die Bilder zeigt sich, wie flach sie eigentlich sind – keine Spur mehr von Butzers faustdickem Farbauftrag der vergangenen Jahre ähnlich einem kartographischen Relief, sondern entschieden weniger, mit breitem Pinsel dünn verstrichene Farbe. Zart liegen noch einzelne Pinselhaare wie in der Luft schaukelnde Federn auf der Bildoberfläche. Die schwarzen Formationen haben klar abgegrenzte Kanten, das lebendige Grau nuanciert sanft zwischen den Grundfarben Rot, Gelb und Blau und erinnert an schornsteinrauchverschleiertes Abendrot. Ein pulsierendes Leuchten als Gegenpol zur absoluten, erstickenden Schwärze des Nichts. Eine Einladung zur Meditation über Leben und Tod.
Die Malerei erstreckt sich wie ein Altarbild gen Himmel, ein „stairway to heaven“, vor mir entfaltet sich der Kosmos – zum auf die Knie gehen.

Das also sind die „N-Bilder“. Das abstrakte Destillat einer mannigfaltigen Vision. Schon lange benutzt Butzer „N“ als vermittelndes Kennzeichen auf Bildern, in Titeln und Texten zur Illustration seines künstlerischen Universums. Das begann vor zirka zehn Jahren mit dem „N-Haus“, das Butzer zu einer Art Farben-Arsenal erklärt hat und in der Gemeinde „NASAHEIM (N)“, die irgendwo im Weltraum angesiedelt ist. „NASAHEIM“ klingt cool und soll „jene in abstrakter Totalität tödliche und gleichsam Existenz stiftende ‚Koordinate eines fiktiven Ortes im Weltraum‘“ sein (Pressetext Galerie Baudach 2011). In etwa das Entenhausen André Butzers. Jetzt ist „N“ auch noch Vernichtung. Also Schöpfung.
„N“, das ist Narrenfreiheit, denke ich mir.
Die Bilder erinnern an riesenhafte, sperrige Yin-und-Yang-Darstellungen. Das Yin-und-Yang-Symbol für das Zusammenspiel zweier Pole existiert im chinesischen Denken bereits seit Jahrhunderten, erfreut sich seit geraumer Zeit großer Beliebtheit in der westlichen Eso-Popkultur und lässt sich als Wandbemalung in Wellness-Tempeln, als Ketten- oder Schlüsselanhänger oder auch auf Unterwäsche gedruckt als ständiger Alltagsbegleiter wiederfinden. Mit Butzer kann man sich jetzt also auch für viel Geld eine ungemein elegantere Variante ins Wohnzimmer hängen. Wenn man genug Platz hat. Doch verwundert das gar nicht, denn Butzer hat schon immer Figuren und Symbole der sogenannten Pop- und Massenkultur entnommen und für seine Kunst modifiziert.

Diese neuen „N-Bilder“ sind ein entschiedener Kontrast zu den früheren üppigen, bunten Arbeiten. Konkret vorgemacht in Butzers Ausstellung des Vorjahres in der Charlottenburger Dependance der Galerie, in der er eine Gegenüberstellung von einer für ihn ‚typischen‘, farbenprächtigen Malerei („Ohne Titel“, 2011) mit der, wie eine Skizze zu den jetzigen „N-Bildern“ wirkenden Arbeit „Château Pettersson und Findus“ vornahm. Skizze deswegen, weil hier bereits die beiden wesentlichen Elemente des „N-Bildes“ in Öl angelegt sind: das Grau, die schwarzen Rechtecke, nur alles viel kleiner, menschlicher.
Womöglich ist er der ewig bunten Farbwürste jetzt ja einfach überdrüssig geworden und benötigt es nicht mehr, tubenweise Farbe zu verdrücken. Stattdessen scheint ihm das gestische Verstreichen von Farbe auf der Fläche zur Befriedigung seines Schaffensdrangs zu genügen und er hat, getreu dem der Ausstellung vorangestellten Motto „N ist Vernichtung“, einfach mal tüchtig aufgeräumt. Diese Leinwände tragen nicht die Last der Farben, sie tragen ganz nüchtern die Last der Gedanken.
Im Wiener Theseustempel, einer im 19. Jahrhundert entstandenen Nachbildung des antiken Theseions, zeigte Butzer im Rahmen einer Ausstellung des Contemporary Art Club im vergangenen Herbst ausschließlich solche ‚kleinen‘ „N-Bilder“ in denen er „die Spannung zwischen Leben und Tod“ (Pressetext CAC 2011) anschaulich machen will. Es liegt nahe, in einem antiken Tempel die Seinsfrage zu stellen, das Verhältnis zwischen Menschen und Göttern zu thematisieren und somit den ausgestellten Bildern eine spirituelle Bedeutsamkeit zuzuschreiben. Eine antike Tragödie.
Und vielleicht hat André Butzer versucht, von der Bespielung des Fake-Tempels inspiriert, dem Factory-Outlet in Berlin eine erhabene Aura zu verpassen.

Hier scheinen sich die Bilder auf die umgebende Architektur zu beziehen, man könnte an eine Form von site-specific-painting denken, dadurch entsteht der Eindruck einer Einheit aus Raum und Bild, eine zeitlose Parallelwelt: der ‚N-Raum‘.
Mir schwant, es geht um erschreckend viel in diesen Bildern: Um die vorgeführte Begegnung von Leben und Tod, die sie wie ein Portal zu einem Ort der Grenzüberschreitung machen soll. Um nichts weniger als den Künstler als schöpfende Gewalt, der Diesseits und Jenseits gleichermaßen zu beherrschen weiß.
Der ausliegende Pressetext schwadroniert über „elementare Bildgewalt, die Malerei als Nicht-Ort von existenzieller Konsequenz, den Schaffensprozess im ursprünglichen Sinn der Schöpfung und Kreation.“
Das ist unverhohlene Marktschreierei. Eine von Butzer bewusst eingesetzte, altbewährte Masche, die er mit einer gehörigen Portion Ironie vorträgt. Zudem haben Texte aus den Federn von Roberto Ohrt und anderen Autoren Butzers Arbeiten, seinen (von ihm selbst so bezeichneten) „Science-Fiction-Expressionismus“ aufs Poetischste begleitet, ihm zusätzlichen Wert geschaffen, um sicherzugehen, dass ein „Schande-Mensch“ oder „Friedens-Siemens“ auch ja richtig verstanden wird vom eifrigen, gierigen Publikum.
Aber wo wenn nicht hier darf man noch schamlos und ungestraft Kaninchen aus dem Hut zaubern, Universen erschaffen und einer ausgelutschten Geschichte neuen Pfiff verleihen? Man muss schon an diese Bilder glauben, um sie zu kaufen, und eine gute Geschichte hat da noch nie geschadet.
Und das hier ist ein Versprechen – vom Kommenden, Ewigen, Allerschönsten, dem Jenseitigen – auf das der Betrachter noch keinen Zugriff hat, der darf allenfalls dem Schaffen des Schöpfers ehrfürchtiges Staunen entgegen bringen. Ein Versprechen vom Pinsel des Künstlers als allmächtig schwingendes Zepter.
„Erkenne dich selbst!“ mahnt das Orakel von Delphi. Denn die Frage nach dem Maß ist eine Frage nach den Möglichkeiten der Sterblichen, die sich aus den Möglichkeiten der Himmlischen bedingen.
Und was bleibt, ist die von den Bildern ausstrahlende Ruhe, die Ehrfurcht vor der Größe, der Wunsch, sich wie in einen Teppich einzurollen und dann, gefangen in der Kunstzwangsjacke, im transzendenten Nicht-Ort „NASAHEIM“ dem unvermeidlichen, eigenen Niedergang entgegenzusehen – immerhin ein schöner Tod.
„Und Tod ist auch ein Leben.“ (Friedrich Hölderlin)
    

André Butzer, Galerie Guido W. Baudach, Oudenarder Straße 16–20, 13347 Berlin, 17.01.–10.03.2012


 
André Butzer, 2011, Installationsansicht Galerie Guido W. Baudach (Wedding), Berlin (© Foto: Roman März
, Courtesy Galerie Guido W. Baudach, Berlin)
André Butzer „Ohne Titel“, 2011 (© Def, Courtesy Galerie Guido W. Baudach, Berlin & Galerie Max Hetzler, Berlin)
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