Martin Kippenberger

Hamburger Bahnhof

2013:May // Thomas Wulffen

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05-2013
















Für uns, mit uns …
/ Martin Kippenberger im Hamburger Bahnhof

Auf dem Plakat zur Ausstellung erkennt der Betrachter den Künstler, der vor einem Spiegel steht. Der Bauch wölbt sich vor und die Unterhose ist zu groß. Und dennoch gelingt es Martin Kippenberger, ein Künstlerporträt zu entwerfen, das sich fast nahtlos an andere Künstlerporträts anschließen ließe und dennoch eine Differenz behauptet. Und der Titel der Ausstellung „sehr gut / very good“ tut sein übriges. Der äußere Anlass dafür ist der sechzigjährige Geburtstag des Künstlers, der 1997 verstarb. Seine Spuren hat er mehr in Köln hinterlassen als in Berlin. In der Mauerstadt hielt er es zwei Jahre aus.

Dafür war er als Betreiber des SO 36 eine stadtbekannte Größe, wobei die Begegnungen mit der Jugend zuweilen schmerzhaft waren. Die Nächte waren lang und die Morgen noch in weiter Ferne. Nach den Konzerten war er sicher einer unter denen, die den Schlüssel zum Abschließen in der Hand hielten. Gleichzeitig aber machte er die Paris Bar zu jenem Künstlertreff, als den sie sich noch heute sieht. So ist es gerechtfertigt, wenn am Anfang der Ausstellung ein ‚Porträt‘ der Bar in Öl zu besichtigen ist. Dabei muss der Betrachter schon genau hingucken, um das Bild vom Gemälde zu unterscheiden. Das gemalte Interieur schließt fast nahtlos an die reale Einrichtung an und der Betrachter muss schon genau hingucken, um Abbild und Realität noch trennen zu könen. Und wer will, kann in diesem Werk auch den Zugang des Künstlers zur zeitgenössischen Kunst sehen. Da versteckt sich so etwas wie eine Art Ready-made zeitgenössischer Malerei. Und der Ausstellung gelingt das an einigen Stellen überzeugend darzustellen, wie in dem Gemälde der ‚Pionierin‘, die fast eine ganze Wand einnimmt. Das Abbild einer jungen Soldatin erinnert an den sozialistischen Realismus und ist doch nur ein weiteres Ready-made, diesmal des Realismus. Schräg gegenüber diesem Werk findet sich eine abstrakte Etüde, die mit der Signatur ‚Adolf 36‘ ausgestattet ist.

Manfred Hermes spricht im Katalog von einer ‚Verkehrung‘. Die findet kein Ende, denn beim Durchgang drängt sich Gemälde neben Gemälde. In der Mitte der Ausstellung sammeln sich dann Skulpturen besonderer Art, die sowohl übergroße Zitate von Duchamp sein könnten oder auch grobe Entwürfe von Architekturen, ausgehend von passend zugeschnittenen Paletten. Und plötzlich mitten drin der leere Sarg von Schneewittchen: De mortuis nihil nisi bene. Und wer genauer hinschaut, sieht immer wieder den Tod um die Ecke. Das mag die Differenz zu Beuys gewesen sein: Kippenberger hat ihn übersehen, weil er zu viel zu tun hatte. Beuys hatte ihn schon fast kennengelernt. Und seine Figur in der Ecke, wispernd „ja, ja“ oder „nein, nein“, könnte eine gelungene Parodie des Meisters sein.
In der vorletzten Halle, die von einer opulenten Installation von Dieter Roth dominiert wird, kann Kippi doch noch mithalten. Dafür wurden die Plakate seiner Ausstellungen gerahmt und an die Wand gebracht. Das ist beeindruckend und eigentlich kann man sich nicht vorstellen, dass diese Ausstellungen wirklich stattgefunden haben, pro Monat eine, wenn nicht mehr. Nicht zu Unrecht findet sich auf einem dieser Plakate der Spruch: „Was Gott im Herrschen, bin ich im Können.“ Dafür gibt es dann auch die Alkoholfolter, festgehalten im Foto und im Gemälde. Vielleicht haben ein paar seiner Werke wie dieses den Weg in das öffentliche Bewusstsein gefunden, denn ein weiterer Bildtitel lautet selbstbewusst: „Kippenberger fanden wir schon immer gut“. So konnte er es sich auch erlauben, die Kirche zu provozieren. Seine farbigen Frösche hängen in der Halle am Kreuz und erinnern an Zeiten, als die Kirche noch Meinungshoheit behaupten wollte. Aber man wird diesen Werkzyklus wohl vergeblich in einer echten Kirche suchen.

Einen ganz anderen Kippenberger erlebt der Besucher im ersten Stock und kurzzeitig stockt einem der Atem. Auf hellen Leinwänden finden sich Schriftzeichen, die der Betrachter entziffern kann. Aber die Leinwände sind so in die Wände eingelassen, dass der kleine Raum wie eine kleine Kapelle konzeptueller Kunst wirkt, wie Manfred Hermes in seinem Text im Katalog nahe legt. Diese diffizile und überzeugende Arbeit zeigt Kippenberger als einen Künstler, der seine Mittel und sein Können sehr genau einschätzen kann. Assistent bei diesem Werk war der neunjährige Sohn der Nachbarn, der von Kippenberger aufgefordert wurde, das Wort ‚sehr gut‘ zu schreiben. Mit diesem Wort wurde die Leinwand geschmückt. Jedes Lob hat ein Werk aus dem Oeuvre von Kippenberger als Referenz. Statt der Referenz aber entstehen Bilder von Bildern.

Auf einer Art Schmierzettel schreibt der Künstler über sich selbst: „Jung sein heißt Künstler zuweilen sein – jung sein heißt den Kippenberger so zu lassen, wie er ist.“ Und jetzt ist er sechzig und immer noch jung. Vielleicht sollten wir die Hose doch tauschen. 

Martin Kippenberger: „sehr gut / very good“, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, Invalidenstraße 50–51
10557 Berlin, 23.2.–18.8.2013

Martin Kippenberger "Einer von Euch, Unter Euch, Mit Euch", Portrait Martin Kippenbreger (Übermalung mit Wasserfarben von Jochen Krüger), 1977, Offsetlithographie auf Papier, 59,5 x 42 cm (© Estate Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Köln)
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