„Noise – Young American Photography“

in Kreuzberg

2007:Nov // Estelle Blaschke

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11-2007












Der Modedesigner Tommy Hilfiger lädt zur Eröffnung der Gruppenausstellung „Noise – Young American Photography“ in eine spreenahe Fabriketage in Berlin-Kreuzberg ein. Vorbei an Türsteher mit Stöpsel im Ohr und business-kostümierten Rezeptionistinnen, steht man neben Mick Jaggers Tochter, Jade, ebenfalls Modedesignerin, und ihrem dj-Freund, deren Entourage sowie anderen gut aussehenden Gästen im Lastenaufzug. Oben angekommen, geht die Party los. Jade und ihr dj-Freund werden umgehend in die rechte Ecke zum Fotoshooting geschleust und verschwinden erst mal im Blitzlichtgewitter. Gereicht wird Cosmopolitan und Champagner zu fantastischem, ständig wechselnden Fingerfood. Mit dabei sind Jan Josef Liefers, Nathalia Wörner, der Hell von Gigolo, die Lucy von No Angels und die Jazzy von Tic Tac Toe. Auch der bekannte Berliner Partyfotograf André C. Hercher schleicht auf der Suche nach lohnenden Motiven an den Grüppchen vorbei, die sich mit ihren teuren Digitalkameras und Telefonen gegenseitig fotografieren. So schieben sich unterschiedlich motivierte fotografische Praktiken ineinander. Persönliche Höhepunkte des Abends sind das Gespräch mit einem betrunkenen Ostkreuz-Fotografen über Stadtfotografie und das Beobachten von Jade Jagger, die in regelmäßigen Abständen in Nietenstilettos zu ihrem dj-Freund stapft um ihn zu umarmen, woraufhin die im Saal versammelten Fotografen auf die leere Tanzfläche stürmen und versuchen mit kurzen, quiekenden „Hey“- oder „Jade“-Rufen die Blicke des professionell posierenden Pärchens auf sich zu ziehen. Eine klassische Win-Win Situation. Später, auf dem Weg zum Ausgang, begegnet man noch Jades Mutter, Bianca, der ehemaligen Studio-und Factory- Beauty und heutigen Amnesty International-Botschafterin und World Future Chair. Beim Fahrradschloss aufsperren drängt sich einem der ernüchternde Gedanke auf, dass dieser Abend den legendären Studio 54 Nächten im New York der 1970er Jahre vielleicht gar nicht so unähnlich war.

Da es naturgemäß an solchen Veranstaltungen nicht um die ausgestellte Kunst geht, konnte man sich die Fotografien von Christian Patterson, Brandon Lattu, Ofer Wolberger, Robin Graubard, Tim Barber und Slater Bradle aus Hilfigers Sammlung noch zwei weitere Wochen ansehen. Der Unterschied zwischen dem erstem und zweiten Besuch könnte allerdings nicht größer sein: Anstatt Lastenaufzug, versteckter Aufgang hinten links, dritter Stock, anstatt durchinszenierte Party, zwei Klappstühle und Tisch mit vereinsamter Kunstgeschichtsstudentin, anstatt Noise, Stille. Mit „Stille“ wäre auch die Atmosphäre in Ofer Wolberger’s Fotografien zu beschreiben. Einer der klassischen Funktionen der Fotografie entsprechend, hält Wolberger in seinen Fotografien vergangene Orte und dem Abriss freigegebene Gebäude seiner Stadt fest, darunter das legendäre CBGBs und das Times Square Theatre. Von einer anderen Art von Nostalgie handeln die Bilder von Christian Patterson: Eine Jukebox, ein mit Elvis-Poster und Souvenirkitsch ausgestatteter Raum, ein Diners bei Sonnenuntergang, Bilder durch die Patterson den Mythos der Stadt Memphis, Tennessee und dem Amerika der 50er Jahre hindurchscheinen lässt. Das gerade für die Fotografie so gut funktionierende Spiel zwischen stummen Abbild und den Geräuschen, Stimmen und Situationen, die sich der Betrachter hinzudenken kann, gilt auch für die Bilder von Robin Graubard, der ein paar rührende Momente unter Belgrader Konzertfans eingefangen hat und Tim Barbers romantischer Roadphotography, deren Ästhetik und Sujets an Wolfgang Tillmans, Jürgen Teller und Ryan McGinley erinnern.

Auch wenn mit Brandon Lattu noch der Bereich der digital bearbeiteten, abstrakten Fotografie vertreten ist, ist der gezeigte Ausschnitt „junger amerikanischer Fotografie“ aus der Fotosammlung Hilfigers zwar nicht schlecht, aber recht harmlos. Eine Ausstellung der Hilfiger-Werbekampagnen mit ihrer erschreckend glatten Ästhetik auf Billboardgrösse gezogen, hätte – als Übersteigerung von inszenierter Schönheit, Coolness und Glamour – dem Eröffnungs-Event und dem Bereich der angewandten Fotografie im artifiziellen Kunstkontext weit mehr entsprochen.

„Noise – Young American Photography“,
Falckensteinstraße 47–48,
bis 3.10.2007
Jade Jagger und ihr Freund (© Vernissagephotos)
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