Vom Stand der Dinge zum Speziellen

"The Happy Fainting of Painting" bei Zwinger und Anne Neukamp in der Galerija Gregor Podnar

2012:Apr // Birgit Effinger

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04-2012
















Zunächst zum Stand der Dinge: Um es gleich vorweg zu nehmen, die aktuelle Ausstellung in der Galerie Zwinger ist erfrischend. Sie kommt ebenso nonchalant daher und wirkt wie aus der Einzelhaft der Malereipathologie entlassen: Schließlich nennen die Kuratoren Hans-Jürgen Hafner und Gunter Reski die Zusammenstellung nicht umsonst etwas umständlich „The Happy Fainting of Painting. Zwischen Bild und Buch: Materialsammlung Malerei heute“, was auf deutsch ungefähr „Die glückliche Ohnmacht der Malerei“ meint.
Der erste Eindruck einer bemüht didaktischen Kunstvermittlungschau verflüchtigt sich umgehend bei eingehender Betrachtung: Sämtliche Ausstellungsexponate sind in ein gemaltes Allover-Raster eingespannt, je nach Belieben kann man dessen Module verfolgen, sich in aller Ruhe den Gemälden widmen und dann zu den benachbarten Texten gleiten oder man greift sich wie am Wühltisch singuläre Einzelstücke heraus. Neben zahlreichen kleinformatigen Gemälden, etwa von Margarete Hahner, Rebecca Morris, Jochen Klein und vielen anderen mehr sind unterschiedliche Textsorten wie das einführende Statement der Kuratoren, diverse Auszüge aus deren Texten und verschiedene, eigens angefertige Beiträge von eingeladenen KunstfeldakteurInnen auf die Wand tapeziert. Dazwischen hängen collagenartige Bild-Textkombinationen wie die von Monika Baer, wo Griselda Pollocks „Modernity and the Spaces of Feminity“ von eigenen Skizzen umrahmt wird. Gelegentlich gibt es auch eine Leerstelle. Kurz gesagt: Eine kaleidoskopartige, dichte Montage zur Lagebestimmung der Malerei.

Es zeigt sich mal wieder, dass der White Cube auch nicht mehr ist, als eine jahrzehntelange Konvention. Die der Malerei gleichrangig behandelten Texte sind nicht nur einfacher, sondern auch mit größerem Vergnügen zu lesen als die kunstbetriebsüblichen DIN-A4 Zettel, die freilich mit ergänzenden Informationen auch ausliegen. So streift die Rubrik „Mögliche Versionen der Zeitgeschichte: 80er/Neoexpressionismus“ Reminiszenzen an mittlerweile historische Frontstellungen gegen die Anfang der 80er in der europäischen und US-amerikanischen Kunstwelt hofierte Rückkehr zur figurativen Malerei und bringt besagten Neoexpressionismus mit der unterhaltsamen Terminologie „Schlawiner-Karaoke-Individualismus“ auf den Punkt. In „Mögliche historische Genealogien“ wird die handelsübliche Malereihitparade mit aufschlussreichen Kategorien wie „Lebende Klassiker“ oder „Smart Brut“ gewissermaßen neu aufgestellt, und nicht zu vergessen: auch die eingespielten blinden Flecken der Geschlechterasymmetrien werden verhandelt, etwa in der von Barbara Buchmaier erstellten Statistik zur Anzahl der Malerei-Professorinnen, die – wen wundert’s – zahlenmäßig längst nicht neu aufgestellt ist. Es gibt also divergente, vielstimmige, theoretische und etliche künstlerische Positionen mit und über Malerei zu sehen, mit anderen Worten heterogene Bausteine, die sich ergänzen oder auch widersprechen. 

Strategisch gesehen steht das komplexe Konglomerat im Zeichen einer doppelten Negation, die sich sowohl gegen die genrespezifische Sonderbehandlung der Malerei als auch gegen ihre Kritik wendet, weshalb die Kuratoren die Schau auch dezidiert nicht als Malereiausstellung verstanden wissen möchten. Ein solches Vorgehen ist sinnfälliger und befreiender als alle medienspezifischen Umdeutungsversuche, weil es die Malerei buchstäblich als eine diskursive Formation präsentiert, die nicht ex nihilio, sondern immer in Bezug auf unterschiedliche, sich gegenseitig beeinflussenden Praktiken und Lektüren entsteht. Das dürfte eigentlich schon längst klar sein, ein derart kleines Lehrstück ist angesichts der immer wieder aufkeimenden schwergewichtigen Genrediskussionen aber offensichtlich unerlässlich. Sympathisch wie erhellend ist zudem, dass dieses Lehrstück hier keineswegs in besserwisserischer Manier auftritt.
Unter den Malereipositionen findet sich auch eine Arbeit von Anne Neukamp, deren malerische Praxis in der Ausstellung „mit oder ohne“ weiter verfolgt werden kann. Fangen wir mit dem an, was die Sache etwas kompliziert macht: Anne Neukamps Gemälde lassen sich nur schwer auf einen Nenner bringen. Amorphe, ornamentale Strukturen markieren klare geometrische Formen und treffen auf monochrome Bildflächen in gedämpften Farbnuancen. Vielschichtige und feingliedrige Texturen grenzen an weiche, verschwimmende Farbverläufe. Handfeste Pentimenti (Übermalungsspuren) stoßen auf zeitgenössisches Sfumato. Kurzum: Es ist, als ob Neukamps jüngste Bilder sich nicht damit begnügen wollen, unterschiedliche Zonen, verschiedene malerische Techniken und heterogene Oberflächenzustände gegeneinander ausspielen. Hinzu kommen angedeutete, gegenständliche Versatzstücke und vereinzelte Trompe-l’œil-Effekte, die zum reflexhaften Rekurs auf etwaige Referenzen anstiften und doch nie ganz aufgehen. Erinnert das geometrische Netzgebilde in „Aussicht“ (2012)  aus der Ferne noch an eine Netzstrumpfhose, dann kippt die gegenständliche Assoziation in der Nahsicht. Denn nicht das Netz, sondern dessen Negativform, besser gesagt die unzähligen charakteristischen Löcher wabbern unübersehbar als letzte Farbschicht auf der Oberfläche. Die vermeintliche Netzstrumpfhose entpuppt sich nicht als Knotenpunkt einer mutmaßlichen Bedeutung, sondern lediglich als fragmentarische Spur. Es will partout nicht gelingen, die bildhafte Einbildung mit dem Dargestellten in Einklang zu bringen. Stets stülpt sich das malerische Verfahren vor die verdinglichende Rezeption, statt wie gewohnt in der Vorstellung des Dargestellten zu verschwinden. Die besagte ästhetische Einbildungskraft wird immer wieder durch listige Widerhaken gebändigt. Neukamps Gemälde wirken insofern wie Vexierbilder, die das anschauliche Denken auf Trab bringen und mit jeder Bewegung das verändern, was sie darbieten. Zum Beispiel suggeriert die hautfarbene, schattierte Zone in „Fermate“ (2012) zunächst den Eindruck von Körperlichkeit und Assoziationen, die zwischen Pospalte, Brüsten oder gar beidem pendeln. Die Hautfarbe lädt geradezu dazu ein, allerhand erotisch gefärbte Anspielungen hineinzuphantasieren. Beim Blick aufs Ganze (Bild) werden etwaige Imaginationen synthetisierter Körperbilder mitsamt ihrer erotischen Konnotationen jedoch sogleich ausgebremst. Sobald man sich auf das vermeintlich illusionistische Stückwerk einlässt, und die Einbildungskraft sich an diese haptischen Splitter heftet, hält die Wahrnehmung der umgebenden abstrakten, ornamentalen Figurationen den Zugriff auf das scheinbar Unvollendete in Schach; das Imaginierte stützt ins Ungewisse. Der Blick bricht sich an diesen verwobenen Schichten; die hautfarbene Zone erweist sich als raffinierte Blickfalle. Man hat es zwar mit beträchtlichem Illusionspotential und unzähligen losen Enden zu tun, jedoch nie mit einem Illusionsraum, der vorgibt, eine Herrschaft über Objekte zu haben.

Das gibt zu tun, denn die Bilder verstecken sich nicht hinter einer a priori festgelegten Behauptung. Versenkt sich der Blick in die formalen Texturen, treten neue Aspekte hervor während andere verblassen. Bleibt man an einer Stelle hängen, geht es an anderen anders weiter. In diesem Zustand der maximalen Unbestimmtheit will man doch irgendwann auch zum Ende kommen  – man kann nicht anders, um dann ein weiteres Mal von vorn zu beginnen.
Die Uneindeutigkeit, die in Neukamps Gemälden den Ton angibt, erschöpft sich nicht in einem selbstreferentiellen Spiel. Grundlage der Ausgangskompositionen sind Bildvorlagen, die Aufklebern, der Reklame oder aus Zeitschriften entstammen, sowie deren nicht vollständig steuerbare Verdichtung und Größenverschiebung im Prozess der Bildwerdung durch Übermalen, Verwaschen und Negation. Als Bestandteil der Bildmaterialität sind diese Motive nun ihrer ursprünglichen Aussagefähigkeit entwachsen und suspendiert von jeglichen Gebrauchs- und Verwertungsmechanismen. Neukamp verlässt sich jedoch nicht auf eine ästhetische Strategie, die quasi nachträglich andere Bedeutungen freisetzt; sie entwirft zugleich eigene Kategorien der Sichtbarkeit, die weder eine hierarchische Ordnung, noch eine Bildsyntax und schon gar keine systematische Geschlossenheit kennen.

So zeugt jedes Gemälde von langwierigen Bearbeitungsprozessen: Die sichtbaren Flächen liegen über älteren Schichten, die sich zum Teil durch die obersten Ebenen zwängen. All die disparaten Elemente – angefangen von der Maltechnik über die gegenständlichen Zitate bis hin zur Kombinatorik heterogener Bildpartien – treten freilich nicht mit einem versöhnenden Anspruch auf. Dennoch fügen sie sich zu einer verblüffend eleganten Gesamtkomposition. Mithin ein eigenartiger Schwebezustand, der potentiell in jede Richtung kippen kann. Das gleicht beinahe einer Verweigerung des latenten Malereierklärungswahns, denn selten wirkt das Spiel mit den Erwartungen an die Gattung so wenig verkrampft, so wenig artifiziell wie hier.     
„The Happy Fainting of Painting“, Zwinger Galerie, Mansteinstraße 5, 10783 Berlin, 3.3.–5.5. 2012

Anne Neukamp, „mit oder ohne“, Galerija Gregor Podnar, Lindenstraße 32, 10969 Berlin, 10.3.–21.4. 2012
Anne Neukamp „mit oder ohne“, 2012, Ausstellungsansicht, Courtesy Galerija Gregor Podnar, Berlin/Ljubljana (© Marcus Schneider)
Anne Neukamp „Fermate“, 2012, Courtesy Galerija Gregor Podnar, Berlin/Ljubljana (© Ludovic Jecker)
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