Meisterhäuser

Reparierte Meisterhäuser in Dessau

2014:Jul // Stephanie Kloss

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07-2014














Nur ein totes Bauhaus ist ein gutes Bauhaus

„Das alles ließe sich als Provinzposse abtun, wäre es nicht eine Weichenstellung für die Zukunft des Bauhauses. Die Durchsetzung dieser reinen Machtpolitik erfolgt genau in dem Augenblick, in dem Bundes- und Landespolitik mit Blick auf den 100. Geburtstag des Bauhauses 2019 ein mehrjähriges nationales Jubiläumsprogramm auf den Weg bringen. Aber offenbar ist nur ein totes Bauhaus ein gutes Bauhaus. Kulturpolitisch gewollt ist nicht eine eigenständige, lebendige Institution, gewollt ist ein Bauhaus, das sich brav der Politik unterordnet und damit alle Eigenmächtigkeit einbüßt.“ Philipp Oswalt, „Die Zeit“ (21/14

Vom Bahnhof aus geht es entweder in die Innenstadt oder zum Bauhaus Dessau. Zu Fuß über die verkehrsberuhigte Straße dauert es eine Weile, bis das Hauptgebäude zu sehen ist. Unter der Brücke hindurch, den Eingang links liegen gelassen, führt der Weg entlang der Bauhaus-Apotheke, dem Schlemmer-Buffet, einem leeren Parkplatz und einer Junkers-Arbeitersiedlung zu den etwa nochmal sechshundert Meter entfernten Meisterhäusern.
An der weißen Mauer vor der wiederauferstandenen Trinkhalle von Mies van der Rohe warten viele Rentner mit blauen Aufklebern am Revers. Sie sind gekommen, um die neu reparierten Meisterhäuser, Haus Gropius und Haushälfte Moholy-Nagy mit einer Führung zu besichtigen.
Am Tag zuvor wurden sie in einem Staatsakt von Bundespräsident Gauck mit schönen Worten eröffnet: Es ginge hier nicht wie bei Kant um die interesselose Bewunderung von Schönheit, sondern um das benutzbare Schöne, das dem Menschen diene, einer Ästhetik des Brauchbaren und deren Demokratisierung. Die Idee einer lichten Zukunft zwischen den großen Kriegen.
Als Zentrum deutscher Rüstungsindustrie wurde Dessau 1945 stark zerstört, darunter auch die Meisterhäuser, siebzig Jahre waren sie in Vergessenheit geraten. Der Wiederaufbau dauerte lange, der Wettbewerb wurde zwei mal ausgeschrieben, es wurde gestritten und schließlich unter den Augen von David Chipperfield irgendwann ein Berliner Büro (Bruno Fioretti Marquez) gefunden, das in der Lage schien, mit dem Erbe kritisch und ästhetisch umzugehen. Ihre sogenannte Reparatur der vollständigen Kubatur folgt dem „Prinzip der Unschärfe“, neblig wie unser Blick in die Vergangenheit soll hier das Neue entstehen.
Das Bauhaus will heute kein Museum sein, sondern lebhaftes Labor der Zukunft. Aber macht das nach all den Jahren in einer kafkaesk verknöcherten Verwaltungsstruktur überhaupt noch Sinn? Wie repariert man ein solches Erbe mit zeitgenössischen Mitteln, ohne beim Berliner Schloss zu landen? Und ist die Moderne nicht sowieso gescheitert?
Gemeinsam leben und arbeiten war Gropius Idee. Konzipiert waren die Bauten als prototypische Musterhäuser, industriell und klar. Glas, Beton und Stahl bildeten damals eine revolutionäre Architektur, die dennoch offen war zur Natur: Es ging um das Verständnis modernen Wohnens, die Revolution des ganzen Lebens, heute ein eher alter Hut und internationaler Standard. „Rekonstruktion ist unmöglich“, sagt Architekt Marquez, „weil wir sonst verweigern würden, was wir heute sind.“ Lebhafte Erneuerung wollten sie schaffen, zeitgenössisch interpretiert, und nicht perfekt rekonstruierte Verleugnung wie z. B. bei Frauenkirche oder Schlossfassade: „Wir können nicht zurück haben, was verloren ging. Wir haben versucht, respektvoll und leise mit dem historischen Erbe umzugehen.“
Die Architekten haben eine Hülle gebaut, einen monolithischen Abguss, der die Volumina, Türen und Fensterpositionen genau wiedergibt. Die Öffnungen sind jedoch bündig zur weiß lasierten Dämmbetonfassade, Streben wurden weggelassen, die Fenster sind blind und eine weiße Kirchenfensterglasur macht sie sakral und heilig.
Ein Kubus mit messerscharf gezogenen Kanten und blinden Öffnungen, die aussehen als hätten sich ein paar Bausteine aus einem CAD-Programm selbständig gemacht. Die mehrfach gedrehte L-Form im ersten Stock könnte ein Fenster mit angeschlossener Tür sein – nur: Wo ist der dazugehörige Balkon und passt das überhaupt zu dem, was sich im Inneren dieser Attrappenarchitektur ereignet, denn ein Wohnhaus ist es nicht mehr. Oder sollte die neue Bauhaus-Direktorin Claudia Perren nicht doch darin einziehen? Ist es überhaupt ein Haus? Alles hat etwas gespenstisch Modellhaftes, erinnert an Thomas Demands fotografische Rekonstruktionen aus Finnpappe. Ein Trugbild von einem Haus – die Wohnräume innen wurden zu einem Artefakt variierbarer Nutzung, bleiben aber seltsam klaustrophobisch und erinnern vage entfernt an Gregor Schneider. Also doch alles irgendwie Skulptur und Installation? Dennoch ist es ernst gemeinte benutzbare Architektur. Ein besseres Beispiel war das 1:1 Modell des Golfklubs von Mies van der Rohe, das nur einen Sommer lang 2013 auf einem Acker bei Krefeld stand.
Oder Rachel Whitereads „House“, eine Skulptur aus innen abgegossenen viktorianischen Wohnhäusern, die 1993 den Turner-Prize gewann und nach nur elf Wochen zerstört wurde. Hier in Dessau kommt die Kunst im Innenraum von Olaf Nicolai. „Le pigment de la lumière“ nennt er sie, seinen Mondrian mit Diagonalen, der aber nicht mit Farben gestaltet ist, sondern das Licht auf der weißen Wandoberfläche nur durch verschiedene Putzformen rhythmisiert. Er bezieht sich außerdem auf Moholy-Nagy, der Wände durch Lichtbilder auflösen und den Geist damit überfluten wollte. Bei Nicolais Werk ist man erstaunt über die Zurückhaltung, statt historisch revolutionärer Lichttechnik sensibles Malerhandwerk … eine Subtilität, die in den engen Räumen Sinn macht.
Meine Freundin Anne Retzlaff hat den Auftrag, am zweiten Tag der Feierlichkeiten die Häuser in einer 45-minütigen Tanzperformance zu bespielen. Allein und ohne Musik. Beginnen soll sie auf der dreißig Meter langen Tafel, die vor den Meisterhäusern aufgebaut wurde. Ein weißes Wachstuch, weiße Kerzenständer und Blumensträuße schmücken spärlich den Tisch. Zuvor tanzten darauf drei Damen in roten, gelben und blauen Schlemmer-Fatsuits. Es gibt Würste und Bier. Sobald Anne den Tisch verlässt und sich in Richtung der Häuser bewegt, ist das Interesse zusehens erloschen. Sie tanzt meisterhaft bis zum letzten Haus, bei Klee und Kandinsky folgt ihr keiner mehr.
Dessau ist und bleibt Provinz.
DSCF2795_sw.JPG (© Heidi Specker)
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Performance von Anne Retzlaff (© Stephanie Kloss)
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