Boris Dornbusch

Internetperformance

2009:Nov // Julia Gwendolyn Schneider

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11-2009
















Es heißt zwar Sofortbild, anders aber als das digitale Bild, tritt das analoge Polaroidbild nie ohne einen Moment des gespannten Wartens zum Vorschein. In „Performance for a Guest Population“ von Boris Dornbusch liefen am 23. September um 20 Uhr eine Reihe solcher Schnellentwicklungsverfahren über den Internetservice Ustream, live vor den Augen der zugeschalteten Gäste ab. War das Polaroid ursprünglich dazu konzipiert, Echtzeit zu erfassen und so unmittelbar wie möglich wieder zu geben, ist diese Idee mit der Abbildungstechnologie der Webcam tatsächlich möglich geworden. Dornbuschs Arbeit bedient sich beider Verfahren gleichermaßen.

„Performance for a Guest Population“ begann mit dem Ertönen einer Nachrichtensendung über die Entwicklung der Milchpreise in Deutschland. Dazu passend zeigte das erste Polaroid zwei Nachrichtensprecher, Im weiteren Verlauf brach die Beziehung zwischen Bild und Ton stetig ab. Zwar wurde auch ohne Bild weiterhin unbeirrt über die Milchpreisentwicklung diskutiert, es ließ sich aber nicht mehr eindeutig ausmachen, ob der Nachrichtentext live übertragen oder im Nachhinein als ein Mitschnitt abgespielt wurde. Zugleich versammelten sich auf dem Polaroidstapel vor unseren Augen Dokumentationen unspektakulärer häuslicher Aktivitäten. Während auf einer Fotografie noch die Schreibtischlampe leuchtete, erklang bereits das Rauschen eines Föhns, der aber erst auf dem nächsten Polaroid eine rote Socke trocken blies. Der Ton des Fernsehprogramms verkam derweil zu einem Soundteppich, der sich wie eine sinnlose Begleiterscheinung anhörte – ähnlich wie bei Joseph Beuys „Filz-TV“ (Aktion von 1970), bei der eine mit Filz beklebte Mattscheibe die neuesten Nachrichten über die damals aktuellen Milch- und Fleischpreise verkündete.

Gegen Ende der Performance trat die Sofortbildkamera plötzlich selbst ins Bild und knipste in Richtung des Publikums. Oder wurde sie etwa auf den bislang unsichtbaren Künstler gerichtet, der sich nun, indem er sich in einem Selbstbild verewigte, doch noch zu erkennen gegeben wollte? Nein, wir bekamen kein Bild von ihm und auch keins von uns selbst zu sehen, sondern eine Aufnahme des Laptopbildschirms und der Webcam, vor der sich das gesamte vorherige Schauspiel ereignet hatte. Ähnlich wie „Filz-TV“ ist „Performance for a Guest Population“ vor allem eine Performance für die Kamera.

Während Beuys Aktion 1966 in Kopenhagen vor Publikum im Rahmen eines Happening-Festivals zum ersten mal stattfand und für Gerry Schums TV-Sendung „Identifications“ noch einmal für die Kamera inszeniert wurde, war Dronbuschs Performance von Anfang an ein einmaliger Online-Live-Auftritt. Die dazugehörige Dokumentation ist wie der Mitschnitt einer Fernsehsendung immer noch aus demselben Blickwinkel wie das ursprüngliche Ereignis anzusehen und unterscheidet sich damit wesentlich von den nur ausschnitthaften Aufzeichnungsmöglichkeiten anderer Performances. Sie existiert genauso wie sie stattgefunden hat, allerdings nicht mehr live.

Wir konnten live dabei sein, aber was war das für ein Dabei-Sein? Dornbusch hatte dazu eingeladen, sich weltweit zuzuschalten, während er von zu Hause aus seine Inszenierung präsentierte. Er konnte die Zuschauer zwar zahlenmäßig über das von ihm verwendet Livestreaming-Programm ausmachen; sehen wer ihm tatsächlich zusah, konnte er aber nicht. Was sich als eine globale Zusammenkunft im gemeinschaftlichen Netz präsentierte, wurde letztlich zu einer einsamen, wenn auch intimen Begegnung mit einem Kunstevent vor einer Echtzeitkamera. Eine Vorführung bei der theoretisch alle dasselbe gesehen haben, aber zugleich keiner sicher weiß, wer außer ihr oder ihm noch dabei gewesen ist.

Zugleich hat Dornbusch eine Live-Performance geschaffen, in der die Körperlichkeit in den Hintergrund gedrängt wird. So wie er sein Publikum nicht sieht, sehen wir vom Künstler nur eine Hand, die ein neues Polaroid auf den Stapel vor unseren Augen legt. Ist das Miteinandersein folglich nur eine Illusion, der wir mal mehr oder weniger auf den Leim gehen? Dornbusch hat nicht nur das Live-Moment des Verbundenseins der neuesten Technologie genutzt, er stellt es zugleich auch in Frage.

„Performance for a Guest Population“ wurde am 23.11.2009 um 20 Uhr aus Berlin live über das Internet gesendet und ist Teil des Ausstellungsprogramms von HIRSCHFELD, Prenzlauer Promenade 151, 13189 Berlin

www.hirschfeld.byethost31.com
Boris Dornbusch „For A Guest Population“ (Still) (© Courtesy HIRSCHFELD, Berlin)
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