Baugemeinschaften

Wenn Berlin erwachsen wird

2010:Dec // Barbara Buchmaier

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11-2010







Die ewigen „Children of Berlin“ sind erwachsen geworden und sie machen sich fest – am und im eigenen Haus mitten in Mitte. So könnte man es überspitzt ausdrücken, auch wenn dieses Phänomen nicht für alle zutrifft, sondern lediglich für einen kleineren Teil der Protagonisten der Berliner Kunst- und Kulturszene. Denn bauen kann ja bekanntlich nur der, der genug Geld hat oder ein lukratives geregeltes Arbeitsverhältnis, das ihn bei der Bank kreditwürdig macht.

In diesem Kontext ist in Berlin, wie auch in anderen deutschen Städten, und zwar vor allem in denen mit angespanntem Wohnungsmarkt, seit einigen Jahren das Modell der „Baugemeinschaft“ en vogue. Meist Leute zwischen dreißig und vierzig, Gleichgesinnte, oft junge Familien mit Kindern, die auf eine solide Zukunft setzen und über ausreichend (Grund-)Kapital verfügen, schließen sich vertraglich zu einer GbR zusammen und bestellen einen Architekten. Dies geschieht ohne zwischengeschalteten Bauträger oder Investor, dafür aber zumeist in Zusammenarbeit mit einem kompetenten Koordinator (hier zeichnet sich ein neues Berufsbild ab!) mit dem Ziel, ein von ihnen erworbenes Grundstück mit einem Mehrparteienhaus zu bebauen, oder – weitaus seltener – ein bestehendes Gebäude umzugestalten. Dabei unterscheidet sich die „Baugemeinschaft“ von der „Baugruppe“, die einzelne (Reihen)Häuser auf ein gemeinschaftlich erworbenes Grundstück baut. Solche Häuser nennt man gegebenenfalls auch „Townhouses“.

Ein typisches Beispiel für ein „Baugemeinschaftsprojekt“, ist das 2008 fertiggestellte Vorderhaus Strelitzer Straße 53 (fast Ecke Bernauer Straße), erbaut von Fat Koehl Architekten in Kooperation mit Anna von Gwinner. 2009 erhielt es den undotierten „Architekturpreis Berlin“, augelobt vom gleichnamigen gemeinnützigen Verein. Das Gebäude, hinter dessen Grundstück eine größere, noch nicht komplett fertiggestellte, elegante Siedlung von auffällig zeitgenössisch sich gebärdenden Townhouses anschließt, die man besonders gut von der Bernauer Straße aus sehen kann, zeichnet sich unter anderem durch eine nüchterne Fassade aus, in die neben relativ großen Fenstern Türen eingebaut sind, welche sich als Balkone nach außen öffnen lassen. Der Anbau von Balkonen in Straßenrichtung war und ist hier untersagt. Populärstes Mitglied dieser Baugemeinschaft und so auch Bewohner des Objekts, ist wohl John Bock, der dort mit seiner Familie in einer das gesamte Gebäude durchlaufenden Loftetage lebt.

Die Vorteile der „Baugemeinschaft“ im Vergleich zum Erwerb einer Eigentumswohnung vom Investor liegen auf der Hand. Denn im Regelfall lassen sich Kosten einsparen (um die 15%) und gegebenenfalls auch unter Kontrolle halten. Und: Jeder Einzelne kann in direkter Zusammenarbeit mit dem Architekten und in Kommunikation mit dem Baukoordinator, der ca. 3% des Gesamtaufwandes ausmacht, mitgestalten, mitbestimmen, eventuell sogar mitbauen, wenn er über ausreichend Zeit verfügt… So sieht Bocks Wohnung tendenziell nicht zufällig aus wie ein typisches Spielplatz-Environment einer seiner Performances (zu sehen auf der Website des Architekten). Und der Künstler Nikolai von Rosen, ebenfalls Bewohner der „Strelitzer 53“, berichtet, dass er die Aufteilung und Ausstattung seiner weitläufigen, mit vielen architektonischen Finessen versehenen Eigentums-Maisonette-Wohnung, die er gerne als „sein Haus“ bezeichnet und zusammen mit Partnerin und Kind bewohnt, bereits während des Bauprozesses anhand eines Modells mitentworfen hat. Mit der Konsequenz, dass er sie heute als „maßgeschneidert“ empfindet. Ob es nun immer nur erbauend ist, „ständig mit seinem eigenen Wohntraum“ konfrontiert zu sein, sei dahingestellt.

Allerspätestens während des idealerweise demokratisch vonstattengehenden Bauprozederes lernen sich die Mitstreiter der Baugemeinschaft gegenseitig besser kennen – vielleicht ähnlich, wie wenn man eine Künstlergruppe gründet oder einen Projektraum plant. Jeder Einzelne realisiert spätestens jetzt genauer, mit wem er nun auf geraume Zeit das Treppenhaus und die weiteren Gemeinschaftsflächen, Dachterrasse oder Garten, teilen wird. Auf die Gefahr hin, in einer äußerst homogenen Gemeinschaft zu stranden, in der Freundschaft und Konkurrenzdruck – wer hat die prestigeträchtigere Ausstellung, wer hat den besseren Posten, wer den angesagteren Kinderwagen? – sich hoffentlich die Waage halten. Was passiert, wenn man sich nicht mehr verträgt, darüber denkt man jetzt noch nicht nach, oder man lernt, sich zu vertragen.

Durchaus betonenswert ist die Zusammenarbeit der Bauherren mit einem Architekten, der hier nicht als genialischer Entwerfer, sondern als kompetenter Kooperationspartner gefragt ist. Erwähnt sei hier eine Studie der Zeitschrift „Das Haus. Europas größte Bau- und Wohnzeitschrift“, die ermittelt haben will, dass in den letzten Jahren durchschnittlich nur fünf Prozent der privat erbauten Häuser von einem Architekten betreut wurden.

Das Konzept der Baugemeinschaft oder Baugruppe steht also für einen neuen Trend. Und so ein gelungenes Baugemeinschaftsprojekt kann für einen Architekten und auch für den jeweilig bestellten Baukoordinator heutzutage durchaus eine interessante Visitenkarte sein, denn das Modell hat Konjunktur. So arbeitet beispielsweise Florian Koehl bereits an zwei neuen Projekten mit – diesmal in Berlin-Friedrichshain („Simplon Baugruppe“ und „Simplus Baugruppe“).

Gentrification, performed by Baugemeinschaft?

Ein extra „Baulückenmanagement“ bietet die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den Initiatoren solcher Projekte an, die ihm offenbar besonders förderungswürdig erscheinen, und offeriert landeseigene Restgrundstücke in zentralen Lagen zum Festpreisverfahren, wohl in der Hoffnung, dass sich die Leute, die sich zu „Baugemeinschaften“ zusammenschließen, einen besonders positiven Einfluss auf den jeweiligen Kiez nehmen und sich speziell sozial engagieren: Verbürgerlichte Familien mit Kindern, Künstler, Kreative, oft sind es auch ehemals Alternative, die zu Geld gekommen sind und nun auch besonderen Wert auf nachhaltiges Bauen legen. Je nach Ökostandard offeriert die KfW-Bank besonders zinsgünstige Darlehen.

Neben der Qualitätsfrage, die hier nicht ausführlicher diskutiert werden soll, denn Anspruchsdenken und Geschmäcker sind ja bekanntlich zumeist recht unterschiedlich, steht für eine kritische Betrachtung des Phänomens „Baugemeinschaft“ vor allem der Begriff der Gentrifizierung auf dem Plan. Denn sie holt Berlin auf immer schnellerem Fuß ein, hört man jetzt doch konstant von stark steigenden Mieten in Neukölln und auffälligen Zuzugsraten nach Marzahn. Sind die Baugemeinschaften, die auf ihre Weise versuchen, den Investoren ein Schnäppchen schlagen, in diesem Zusammenhang besonders zu loben? Geht es ihnen darum, sich selbst – quasi durch Zusammenschluss und langfristig gedachte Investition – vor der Gentrifizierungskeule zu schützen? Handelt es sich hier gar um ein besonders vorausschauendes Denken, oder spiegelt sich darin letztlich doch nur der Wunsch nach individueller Sicher- und Geborgenheit, nach Selbstverwirklichung und profitabler Geldanlage, gerade in dem Kiez, den man vorher noch in einer Altbau-Mietwohnung bewohnt hat, die es jetzt vielleicht so gar nicht mehr gibt?

Eine Brache und eine Investorenfassade weniger, dafür das Haus der Baugemeinschaft, gestaltet vom Architekten und der Auftraggebergemeinschaft nach demokratischem Ideal? Sicher macht es keinen Sinn, eins gegen das andere auszuspielen. Gerade wenn man selbst nicht über ausreichende Mittel verfügt, oder eben nicht so langfristig planen und investieren möchte, gerät man ja schnell unter Verdacht, nur neidisch oder missgünstig zu sein.

Viel eher gilt es doch zu beobachten und zu begreifen, wie sich solche Verhältnisse erst entwickeln und welche Rolle man selbst in einem solchen Kontext spielt, spielen möchte. „What’s next?“ oder „Who’s next?“, sollte man sich da immer wieder fragen und dabei gehörig aufpassen, am Ende nicht gänzlich nackt dazustehen, sei es in Mitte oder Marzahn...

Barbara Buchmaier

Strelitzer Str. (© www.fatkoehl.com)
Baugruppe (© Andreas Koch)
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