Eine Absage

2013:May // Andreas Koch

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05-2013
















Warum ich kein Professor werden will
/ Eine Absage

P. gab mir einen A4-Ausdruck mit den Worten: Das könnte was für dich sein. Wir befanden uns in seinem Büro, einer Art Verwaltungsbüro mit zwei zueinanderstehenden Schreibtischen, großen ordnergefüllten Regalen, aber ohne Filterkaffeemaschine und auch ohne Topfpflanze. Dresden, Kunsthochschule, Abteilung Bühnenbild und Maske, Theorie etc. in der Güntzstraße. Ich hatte gerade den ganzen Tag unterrichtet. Portfoliogestaltung in der Computerwerkstatt, Indesign auf PCs, acht Stunden frontal, Herr Koch, wo ist denn nochmal das Menü mit dem Seitenlayout, bei mir geht’s irgendwie nicht? Ich mag das. Es ist zwar in der Hierarchie der Lehre vermutlich an unterster Stelle, kein Lehrauftrag, Honorarworkshop, vier, fünf Tage im Semester. Anreise 6  Uhr 50 im Budapester Intercity, Abreise im gleichen Zug 19 Uhr, gute 40 Euro die Stunde – und dann ist Mappengestaltung, so doof es klingen mag, die exakte Schnittmenge meiner Fähigkeiten: Text, Gestaltung, Kunst. Ich als Exgalerist, Schreiber, Künstler, Kataloggestalter und manchmaliger Stipendien­gewinner weiß, wie das geht.

Auf dem Ausdruck stand also eine Stellenausschreibung für eine Professur (oberster Platz in der Lehrhierarchie) in Hamburg. Grundlehre (ok, nicht ganz oben), Fotografie in der Kunst samt Grundlagen Gestaltung und Grafikdesign, dazu noch eine Ausstellungsreihen-Betreuung, Lehrerfahrung natürlich usw. Hey, wer kennt einen das Medium Fotografie nutzenden Künstler, der gleichzeitig noch ein einigermaßen erfolgreicher Buchgestalter und Grafikdesigner ist, viel unterrichtet und eine Ausstellungsreihe nebenbei kuratieren könnte, einen Moholy-Nagy der letzten Jahre (ok, ziemlich vermessener Vergleich)? Heidi Specker fällt mir ein, die hat aber schon eine Professur in Leipzig, Peter Piller sitzt ebenfalls schon professoral in Leipzig, aber wo ist bei ihm die Gestaltung? Bleibe eigentlich nur ich, aber wer weiß das schon. Die meisten verstecken ja ihre Multitalente (siehe weiter unten). Der übliche Reflex, gleich bewerben. Das heißt: Text schreiben, die Eignung und Motivation herausstellen, Lehrkonzept, Mappe, Katalog, Lebenslauf hinschicken. Habe ich schon ein paar Mal gemacht (Fotografie UdK, Bildhauerei Udk, Grundlagen digitale Medien Weißensee). Immer Absagen, aber, so what, irgendwann klappt’s dann bestimmt.

An diesem Nachmittag beendete ich aber einen über die letzten Monate andauernden Denkprozess, der um die Frage kreiste, warum willst du das eigentlich, Professor werden? Ich hatte letzten Sommer meinen Lehrauftrag an der UdK, Fotografie in der Grundlehre (vorletzter Platz) gekündigt. Zwei Jahre oder vier Semester radelte ich anderthalb Mal die Woche für je vier Stunden in die Hardenbergstraße und versuchte den frischgebackenen Kunststudenten die Tücken des Mediums Fotografie zu erklären, nicht technisch, eher konzeptionell. Was unterscheidet eine Fotografie in der bildenden Kunst von einem anderen Foto? Ein schwammiges Feld. Ich erzählte viel, es gab ein paar Aufgaben, wir gingen in Ausstellungen, wir machten einmalig ein Fotomagazin. Superbeliebt war mein Kurs nicht, meine Kollegen aus der Malerei, Zeichnung oder Bildhauerei hatten mehr Zulauf. Vielleicht lag’s an mir, vielleicht am Medium, who knows? Mein Freund S. meinte, ich sei halt kein echter Fotograf und am Anfang will man Technik, Aufgaben, Wissen und nicht so viel negatives Gequatsche, ob das jetzt überhaupt Kunst wäre. Ja, ja, der Fotograf als Meister des Augenblicks, der richtigen Blende und Tiefenschärfe, ISO-Zahlen und Photo-RAWs, aber meiner Meinung nach hat man das alles auch selbst recht schnell raus.

Das nur als Hintergrundinformation. Ich machte mir mehr Gedanken. Wenn man eine eigene Klasse hat und echter Kunstprofessor ist, wäre das eh anders. Mehr Engagement, engere Zusammenarbeit, die Klasse als Verbund im Kampf um Wissen und Präsenz. Außerdem regelmäßiges Einkommen, jeden Monat zwischen drei und vier Tausend Euro auf’m Konto, dafür fünf Monate Semesterferien (klar sind das nicht nur Ferien), 28 Semesterwochen im Jahr unterrichten, ein paar Tage die Woche (laut Ausschreibungen meist 18 Stunden) an die Akademie, das sind 70 Euro netto pro Lehrstunde, Traum! Ich habe schließlich zwei Kinder. Außerdem das Ansehen, der Ruhm und endlich Klarheit im Berufsbild (Was machst du so? Ich bin Kunstprofessor!).
Warum aber entgegnete ich P. damals in Dresden, das interessiert mich nicht, mach ich nicht, ich will kein Professor werden?

Für mich sind Künstler und Lehrer zwei unterschiedliche Berufe, genau wie Grafikdesign und Kunst, oder Schreiben und Unterrichten unterschiedliche Tätigkeiten sind. Natürlich habe ich nichts gegen unterschiedliche Arbeiten, ich liebe es, von einem Beruf in den anderen umschalten zu können, ich ziehe meine Energie daraus. Was ich damit nur sagen will, ist, dass das Professorsein keineswegs artverwandter mit der bildenden Kunst ist als andere Berufe. Die Tätigkeit des Künstlers unterscheidet sich insofern, als dass man als solcher etwas produziert. Als Professor redet man nur darüber, wie man etwas produziert. Meist bespricht man die Arbeiten anderer Künstler, meist die seiner Studenten, und ist hier dem Berufsfeld des Kritikers oder sogar des Galeristen (wenn dieser auf Atelierbesuch ist) sehr nahe. Man produziert aber nichts. Trotzdem ist es im Codex des Kunstbetriebs so, dass der einzig akzeptierte Nebenberuf eines Künstlers der des Professors ist. Alle anderen sollte man besser verschweigen oder ständig als lästige Geldverdien-Jobs deklassieren: Mach ich halt, weil ich auch meine Brötchen verdienen muss …

Lehre ist ein großer Teil Sozialarbeit, oder milder ausgedrückt, soziale Arbeit, Kommunikation. Es bleibt nichts übrig. Die Studenten machen die Arbeit. Die wird durch einen Professor vielleicht besser oder sichtbarer. Einem selbst bleibt nur das Geld. Und der soziale Dauerkontakt, der einen weiterträgt, von Student zu Student, ähnlich wie ein Pfleger von Patient zu Patient schreitet und sich am warmen Feuer der persönlichen Nähe wärmt, aber auch nur manchmal.
Ich will aber produzieren, ich bin Künstler. Selbst wenn ich Bücher gestalte und diese Tätigkeit sehr fern meiner künstlerischen Arbeit ist, steht am Ende doch ein Produkt, das ich maßgeblich mitgestaltet habe. Mit dem ich mich identifizieren kann, das ich zeigen kann, das am Ende eines schöpferischen Prozesses steht. Auch habe ich mich dann sehr intensiv mit dem Werk eines anderen auseinandergesetzt.
Das Gleiche gilt für einen Text, ein von-hundert-Heft, eine Ausstellung, sogar eine gestaltete Postkarte für irgendjemanden bedeutet mir am Ende mehr, als beim Rundgang vor einer studentischen Arbeit zu stehen, die ich irgendwann ein bisschen mitbetreut habe. Ok, das klingt jetzt unsozial, aber bei einer gut gestalteten Postkarte sind auch zwei Menschen glücklich, der Künstler und ich als Gestalter.

Dass man als Professor angestellt ist, drei Tage seiner meisten Wochen im Jahr verpfändet, in Administrationen kämpft, sich rechtfertigen muss, sich wieder auf die ­Semesterferien freuen muss (die dann auch noch von allen Seiten und Ecken angeknabbert werden), auf’s Wochenende, auf die unterrichtsfreien Tage, genau wie man sich als Schüler danach sehnte – all das für Geld und für vermeintlich höheres Ansehen? Mein kompliziertes Konstrukt aus verschiedenen Berufen, an dem ich zwanzig Jahre gebastelt habe, über den Haufen werfen? Keine Bücher mehr, keine von hundert? Der Familie am Montagmorgen Tschüß sagen, um dann donnerstags erst wieder die Kinder in die Kita zu kutschieren? Das Leben ist zu kurz, um Zeit zu verschwenden, besonders wenn man über vierzig ist, da wird es nämlich rapide kürzer (siehe Grafik letzte Seite, den subjektiven Lebenszeitraum). Bitte also kein Trott, kein Alltag, keine Sicherheit. Viel lieber Gefahr, Existenzangst (man wird im Alter eh immer gelassener), neue Herausforderungen und Freiheit.

Nachtrag: Die Stelle in Hamburg war, wie ich später hörte, scheinbar schon intern vergeben und die Ausschreibung exakt auf diese Person ausformuliert. Hätte also eh nicht geklappt. Sollte ich es mir je anders überlegen, so kann dieser Text ­gerne gegen mich verwendet werden. Außerdem entschuldige ich mich bei all meinen Freunden, die Professor sind oder werden wollen und sich durch den Text herabgesetzt fühlen. Das oben Gesagte gilt erst mal nur für mich, Professor ist ein toller Beruf. 
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