Jason Rhoades u.a.

Hamburger Bahnhof

2007:Nov // Andreas Koch

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11-2007
















Nachdem bei der vorletzten Flick-Gruppenausstellung das Nichts des Minimalismus die Klammer war, galt als diesmaliges Leitmotiv der Tod. Die Ausstellung war dem jüngst verstorbenen Künstler Jason Rhoades gewidmet und versammelte Sammlungspositionen die mit dem Begriff des Todes und verwandten Themen wie Verwesung, Trash oder Fäkalien zu tun haben. Die zuerst mit „Who kills death“ annoncierte Ausstellung wurde später auf Drängen Flicks in „there is never a stop and never a finish“ umbetitelt. Soviel Tod und Töten schon im Titel war dem Erben, des im Dritten Reich vermehrten Vermögens, dann doch zu heikel. 

Jason Rhoades Thema war vordergründig allerdings auch nicht der Tod, sondern im Gegenteil das pralle Leben in all seiner Geschwindigkeit. Man könnte sein Leben in der Tradition eines exzessiven Künstlerdaseins und -werkes sehen. Schon Francis Picabia hatte eine Vorliebe für schnelle Autos gepaart mit dem anderen Geschlecht. Die Frauenportraits des französischen Hobbyrennfahrers flankieren die Skulptur „Fucking Picabia Cars“ von Jason Rhoades, die als autoähnliche Erektionsrakete mit eingebauten Pornobildern diese Vorlieben direkt zusammenbringt. Ein Ausschnitt aus seiner über 1700 Wörter umfassenden Sammlung von Synonymen des weiblichen Geschlechtsorgans leuchtete am Rande der Hauptinstallation, die einen weiteren Erotomanen der Kunstgeschichte, Gustav Klimt aufnimmt. Dessen hier auf Planen ausgedruckte Beethoven-Fries umrundet auf einem eingeschossigen Baugerüst als Digitaldruck eine Automatenspielhölle, die benutz- und spielbar war. Allerdings konnte der obere Stock entgegen den Intentionen des Künstlers nicht betreten werden.  

Die Ausstellung stellte Rhoades Hedonismus und seine Kommentare zu ebenso lebensbejahenden Künstlern der jüngeren Kunstgeschichte in den Vordergrund und sparte das Ausufernde und Verausgabende seines Werkes aus. Der neue Titel der Ausstellung passte deshalb umso weniger. Denn wo so viel Leben war, ist der Tod nicht weit, und um diesen zu thematisieren, wurden andere Künstler der Sammlung in Stellung gebracht. Leider wählte man für den zentralen Nachbarraum Andreas Hofer in die namhafte Runde der Museumsausstellung und entblöste ihn als platten Illustrator einer immergleichen Fantasy-Welt, in der sich der Tod meist als rasselndes Skelett mit Nazi-Insignien durch die Bilder und Zeichnungen kritzelt. Eine zentral aufgestellte Skulptur eines Zentaurus (halb Pferd, halb einäugiges totenkopfbemütztes Monster mit fleischigem Maul an Stelle des anderen Auges) könnte auch in einem Harry-Potter-Roman das Böse verkörpern.  

Die Schwäche Hofers offenbart sich im Vergleich zu Raymond Pettibon, der aus einem ähnlichen Bildfundus, also der komplexen Welt des amerikanischen Comics, des Film Noirs, der Westküstensurfer, der Punks und Junkies schöpft. Während Hofer jedoch in der engen Welt des Andy Hope (so sein Pseudonym) wie in einem fortwährenden Alpmär eines Pupertierenden kreist, benutzt Pettibon, die ihm vertraute Zeichenwelt der amerikanischen B-Welt zu weitaus böseren, vielschichtigeren, abgründigeren und nicht zuletzt besser gezeichneten Bildfolgen. Während Pettibon das Material zu komplexen gesellschaftlich-psychodynamischen Text-Bild-Collagen verwebt, scheint Hofer aus jeder seiner Zeichnungen „Ich, Hofer“ herauszurufen.   

Andere transatlantische Paarungen sind in der Ausstellung nicht unbedingt gleichgewichtiger, da die deutsch-österreichische Behandlung der Themen immer direkter ist, als die der stärker dem Fiktionalen anhängenden Amerikaner. So ist die Kunst eines Otto Mühls mit seinen unmittelbaren körperlichen Ein- und Übergriffen schon immer fragwürdig und Cindy Shermans Selbstinszenierungen für große Fototableaus viel präziser und eindringlicher als die Snapshots einer Mühlschen Farbwühlperformance. Auch Paul McCarthy zieht in seinen Filminstallationen alle Register der Fäkalklaviatur und doch wird der Ekel in seinen Inszenierungen vermittelt und die Protagonisten sind eher Schausteller mit großen Nutellagläsern. Der Reiz seiner Arbeiten ist genau diese theatralische Präsenz des Körpers. Bei Dieter Roth und Daniel Spoerri kann man den Ekel der Verwesung in Echtzeit verfolgen und doch bleibt man merkwürdig unberührt, so historisch wirken deren Arbeiten schon.

Am Ende fragt man einmal mehr nach dem Sinn des Gesamtprojekts Flick im Hamburger Bahnhof. Sollen hier schwache Teile der Sammlung museal aufgewertet werden? Wird der Spagat Westküste/Berlin nicht doch überstrapaziert, um kunsthistorische Verbindungen zu proklamieren und schließlich wie selbstverständlich dastehen zu lassen?  Konnte man sich wegen des Isa-Genzken-Raums die Reise nach Venedig sparen? Und schließlich: Warum wird die Ausstellung nun halbiert unter abermals anderem Titel noch bis Ende Januar gezeigt – glücklicherweise ohne Hofer, den man für Roman Signer geräumt hat?   

„there is never a stop and never a finish“, 5.5.–19.8.2007
„Von Francis Picabia bis Jason Rhoades“, bis 27.1.2008
Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50‒51, 
Andreas Hofer, Installationsansicht Hamburger Bahnhof (© the artist)
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