Ökologische Graffiti

2007:Jul // Raimar Stange

Startseite > Archiv > 07-2007 > Ökologische Graffiti

07-2007
















"Artbusting" der engagierten Art: jüngst war am Senefelder Platz ein Werbeplakat zu sehen, dass ein Foto einer menschenleeren Autobahnkreuzung zeigte - ungemeintes Stichwort: die Ölkrise und ihre sonntäglichen Fahrverbote 1973. Auf diesem stand gedruckt: "Autos? Hier sind sie alle! Mobile.de - der Fahrzeugmarkt im Internet". Damit nicht genug, denn (anonyme) Sprayer hatten ein schwarz-weißes "Stencil" der Gebrauchtwagenreklame hinzugefügt, und zwar in Form eines Pferdekopfes, dem ein "A" beigestellt war. Darüber war gesprayt: "Horses". Natürliche Pferdekraft statt umweltvergasende Pferdestärke also preist die Künstlergruppe "HorseArt" hier demonstrativ mit ihrer visuellen Duftnote an (eine lp von Patti Smith nebenbei mit zitierend). "Das Benennungssystem aus der Fassung bringen", so hatte schon Jean Baudrillard in seinem Aufsatz "Kool Killer" diese Strategie des strategischen Eingreifens in die urbane Medienlandschaft charakterisiert.  

Eine andere überaus intelligente Blüte des ökologischen Graffiti hat die Künstlerin Christine Würmell zuvor am Friedrichshain ausgemacht, denn dort stand an einer Wand neben einer abzuholzenden Grünfläche - die Investoren seien einmal mehr gepriesen! - zu lesen: "Mein Freund der Baum ist tot". Dieses Graffiti, das natürlich einen Schlager-Titel der Sängerin Alexandra zitiert, bildete die Künstlerin nun in ihrer Collage "o.T. II (Mein Freund der Baum)" (2007) ab und konfrontierte es mit einer Zeichnung  der Aktion "Eichenbaum-Pflanzen", die Joseph Beuys auf der Kassler documenta 1972 initiierte. Aktivismus, Pop und Kunst fügte Würmell so zu einer Dreieinigkeit, die kritisch Stellung nimmt gegen die umwelt- und damit auch menschenverachtende Politik des Neoliberalismus.

Die Reihe solcher Beispiele von "Grünffities" lässt sich Gott sei Dank fortsetzen, etwa mit dem gesprayten grünen ddr-Ampelmännchen, dass mit Gewehr im Arm an der Torstraße entlangläuft und ein Herz mit Blumenblättern aus seiner Mündung hervorquellen lässt. Oder mit dem großem Banner gleich am Potsdamer Platz, auf dem mitten in dem offiziellen Zeichen für Atomenergie ein markantes "Off" geschrieben ist. All dies sind "Einschreibungen" in öffentliche, eben noch nicht gänzlich privatisierte Haut des städtischen Gesichtes, "Einschreibungen", die der französische Philosoph J.-F. Lyotard in seinem Aufsatz "Die Malerei als Libido-Dispositiv" als "Polymorphie der Malerei, die von einer […] Auflösung der Objekte, der Zustände, der Konfigurationen, der Orte, der Arten herrührt, welche bis jetzt die Institution der Malerei ausmachten" beschrieben hat. Lyotard stellt nämlich fest, dass diese "Auflösung der Malerei" zu tun hat mit "der Verwendung von Industriefarben, einem neuen Einschreibungswerkzeug wie die Spritzpistole" - das Graffiti kann in diesem Sinne also selbstbewusst als Malerei behauptet werden, die sich außerhalb der sanktionierten Kunst-Cubes ereignet. Unter "Einschreibung" versteht Lyotard übrigens "die chromatisierte Libido, auf einen Untergrund aufzutragen". Diese "Libidoauftragungen" sei bestimmt davon, das sich "Energie umwandelt". Eine Energie in diesen Fällen, die sich konsequent gegen den Irrsinn der zumindestens fahrlässig vorangetriebenen Klimakatastrophe richtet.
Werbung mit Arbeit der Künstlergruppe „HorseArt“ (© Foto: Raimar Stange)
Microtime für Seitenaufbau: 1.25461196899