Maria Eichhorn, Hartmut Bonk / Karl-Marx-Platz

Erbärmliche Kunst

2010:Dec // Thomas Wulffen

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11-2010







Es war eine ungewöhnliche Begegnung zwischen dem abwesenden Harmut Bonk und der anwesenden Maria Eichhorn. Im Rahmen einer Gruppenausstellung zum Thema Liebe unter dem Titel „Aporien der Liebe“ in der Galerie BQ, kuratiert von Marcus Steinweg, traf man sich am Dienstag, den 5. Oktober, in Neukölln am Karl-Marx-Platz zu einer Performance ohne Titel. In einer Ecke des Platzes stand eine Kamera, gegenüber auf der anderen Ecke traf man sich, zwischen elf und zwölf Uhr. Wer nicht im Gespräch vertieft war, konnte sich am Platz und dessen Gestaltung festbeißen. Auffallend war eine Figurengruppe, gestaltet von Hartmut Bonk. Der Name musste recherchiert werden. Vor der Figurengruppe war eine Art Brunnen, der nicht mehr funktionierte. Eine kurze Recherche ergab den Titel des Werkes: „Imaginäres Theater: Leda mit Schwan, Zyklopen und Zentaur“, entstanden in den Jahren 1986–1987. Die Homepage von Hartmut Bonk bietet Links an, die dann genausowenig funktionieren wie der Brunnen. Vielleicht sieht das Werk besser aus, wenn der Markt am Wochenende eröffnet ist. Sonst aber handelt es sich in diesem Fall um ein Beispiel für „erbärmliche Kunst“. Der Begriff sollte Eingang finden in das Vokabular zeitgenössischer Kunst. Dabei ist es wesentlich, dass er unterschiedliche Bedeutungen aufweist. Im Falle der Kunst von Hartmut Bonk kann es sich nur um ein Erbarmen für das Werk des Künstlers handeln. Soll heißen, man stellt entweder die originale Situation wieder her oder man baut das Werk ab, um es anderer Stelle besser zu präsentieren. Von einer anders gearteten erbärmlichen Kunst ist ebenso zu sprechen. Umso mehr, weil sie kaum Aufmerksamkeit findet. Die gegebene Situation lädt selten dazu ein, denn es handelt sich um Kunst am Bau, weiter oder näher. Ein besonders geglücktes Beispiel für eine derartige Kunst zeigte sich anlässlich einer Reise zum Tegernsee. Das Objekt bestand aus einer nachgemachten Wasserwand, aus der sich das Gesicht Ludwig Erhards (1963 bis 1966 zweiter Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland) erhob. Wahrscheinlich war der Kanzler als Vater des deutschen Wirtschaftswunders gern gesehener Gast vor Ort.

Das Werk von Maria Eichhorn steht im klaren Gegensatz zum Werk von Hartmut Bonk. Und dennoch ließe sich über den Begriff der Skulptur im Sinne von Joseph Beuys eine Verbindung finden. Denn der gewählte Ort, der Karl-Marx-Platz, war am 1. Mai 1972 der Ort einer Aktion von Joseph Beuys mit dem Titel „Joseph Beuys: Ausfegen“. Das Ereignis vollzog sich wahrscheinlich für einen Großteil der anwesenden Personen, die nicht dezidiertes Publikum waren, jenseits der Wahrnehmungsschwelle. Mehr Aufmerksamkeit erregte der Künstler wohl durch seine Entlassung an der Akademie in Düsseldorf. Die Aktion von Maria Eichhorn nahm indirekt Bezug darauf, indem sie sich jeglicher Handlung enthielt. Dennoch stand eine Filmkamera in der Nähe, die das Geschehen als Geschehen festhielt. Aber auch hier war die Wahrnehmungschwelle deutlich auf minimal gesetzt. Die Frage nach dem Erbarmen stellt sich im Falle Eichhorn an ein unvollendetes Werk, wobei die inhärente Referenz jedoch Bedeutung schafft. Oder sollten wir Erbarmen zeigen mit diesem Selbstverständnis, das sich selbst nicht mehr in Frage stellen lassen will. Der Autor dieser Zeilen hat vor kurzem einen längeren Text über das Werk von Maria Eichhorn verfasst. Vom zuständigen Redakteur wurde dieser Text als eine Art „Steinbruch“ verstanden, der eine starke redaktionelle Überarbeitung nötig machte. Der Hinweis des Autors, dass Kunst zuweilen durchaus auch als Steinbruch auftreten kann, insbesondere was die zeitgenössische Kunst angeht, wurde nicht akzeptiert. Sollte der Text also Erbarmen mit dem Leser haben, damit er die Inhalte schneller schluckt? Das aber wäre die andere Seite des Erbarmens, die des Betrachters, des Lesers, den wir nicht kennen und zumeist auch nicht kennen lernen wollen. Erbarmen! Erbarmen? Erbärmliche Kunst produziert erbärmliche Texte. Wer Erbarmen mit dem Leser zeigt, meint es zu gut. Wer sagte es noch mal? Kunst ist Kunst und alles andere ist alles andere. Das heißt dann auch, „erbärmliche Kunst“ als das zu zeigen, was sie ist: schlechte Kunst. Aber was fangen wir mit der Kunst an, die eben nicht erbärmlich ist, aber deshalb das Erbarmen umso mehr verdient? Und sind wir uns dessen sicher? Ja, ganz sicher. Es gibt schlechte Kunst wie es gute Kunst gibt. Schlechte Kunst hat ihre Umstände wie gute Kunst. Gute Kunst allerdings hat den Nachteil, dass sie sich selten als solche gibt. Es gibt das Ereignis, das die gute Kunst in den Hintergrund stellt. Das lässt sich jetzt gerade erleben an der Rentierherde im Hamburger Bahnhof, einem Projekt von Carsten Höller. Die Frage nach den Rentieren in der Ausstellungshalle ist so erbärmlich, wie die Frage nach dem Güterwaggon am gleichen Platz. Kein Erbarmen mit der Kunst und vor allem kein Erbarmen mit dem Publikum. Es hat es so verdient.

Thomas Wulffen

Maria Eichhorn, „Aporien der Liebe“, Karl-Marx-Platz, 12043 Berlin-Neukölln

„Imaginäres Theater: Leda mit Schwan, Zyklopen und Zentaur“, 1986–1987, Karl-Marx-Platz (© Hartmut Bonk)
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