Ayşe Erkmen

Hamburger Bahnhof

2009:Feb // Jasmin Jouhar

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02-2009












Es ist seltsam still in der Werkschau „Weggefährten“ von Ayşe Erkmen im Berliner Hamburger Bahnhof. Jedoch nicht, weil sich während des Besuchs nur wenige Menschen in den Räumen verlieren. Es sind die Arbeiten der Künstlerin selbst, die stumm bleiben. Aber was sollten sie uns auch erzählen, so isoliert von ihrem Entstehungskontext, wie sie in der retrospektiven Schau präsentiert werden? „Weggefährten“ versammelt insgesamt 19, meist ortsspezifische, konzeptuelle Arbeiten aus den Jahren 1985–2008, die Erkmen neu in Szene gesetzt hat. Dabei blieb zwangsläufig der ursprüngliche Zusammenhang der Arbeiten auf der Strecke. Und so wird die Ausstellung zu einer Reflexion darüber, wie das überhaupt gehen kann, an einen bestimmten Ort und an einen bestimmten Moment gebundene Kunst, an eine andere Stelle in eine andere Zeit zu übertragen.

Zum Beispiel das ausgestopfte, aufgesockelte Weißschwanzgnu: Das vereinsamte Herdentier fährt auf einer Schiene im Raum vor und zurück. 2003 hatte Erkmen das Gnu und fünf andere Tiere aus der Sammlung des Naturkundemuseums St.Gallen ausgeliehen und in dem im selben Gebäude untergebrachten Kunstmuseum gezeigt. Sie verwies auf den seltenen Fall, dass sich beide Museen in einem Haus befinden, während ansonsten Natur und Artefakt in der Museumswelt seit dem 19. Jahrhundert meist streng getrennt sind. In St. Gallen bewegten sich die sechs Schienentiere in einer komplexen Choreographie durch die Räume. Im Hamburger Bahnhof wirkt das Gnu nur wie eine schwache Erinnerung an eine einst interessante Idee.

 Oder die frühe Arbeit „Imitating Lines“ (1985/2008): Erkmen vermaß einen Ausstellungsort (das Foyer der Istanbuler Kunstakademie) und die dort aufgestellten Abgüsse von antiken Statuen. Aus den Maßen entwickelte sie ein Modulsystem mit Stahlrohren. Mit diesen auf Standplatten montierten Rohren ‚zeichnete‘ sie die Formen, die Skulpturensockel oder den Verlauf der Treppe nach. Die Linien steckten, so der Katalog zu Weggefährten, „das Ausstellungsterrain ab“, also eine klassische Intervention in der Manier der Institutional Critique. Im Hamburger Bahnhof formen die Stahlrohre nun die geschwungene Silhouette des Aufzugsgehäuses nach: Gut, dass uns mal jemand darauf aufmerksam gemacht hat.

Es ist nicht so, dass den Kuratorinnen die Schwierigkeiten einer Retrospektive von ortsspezifischen Arbeiten nicht klar gewesen wären: Alle Arbeiten werden von Texten begleitet, die den Ursprungskontext erklären und manchen Aha-Effekt auslösen. Der Katalog dokumentiert Erkmens umfassendes Œuvre und erläutert den jeweiligen Ortsbezug. Dabei versuchen die Autoren, durch Querverweise – Hyperlinks ähnlich – inhaltliche Verbindungen zwischen den einzelnen Arbeiten zu schaffen und der Ortsspezifik eine andere Dimension hinzuzufügen. Eigentlich ist der Katalog die bessere Ausstellung, denn hier finden sich die schönsten Arbeiten von Ayşe Erkmen, deren Größe oder Komplexität es nicht zugelassen hätte, sie erneut umzusetzen: etwa „Shipped Ships“ (2001), für die Personenfähren aus Japan, Italien und der Türkei auf Schiffen nach Frankfurt herantransportiert wurden, die dann auf dem Main umher fuhren.

In der Ausstellung gibt es einige Arbeiten, die ihre Bedeutung nicht zwingend aus der Geschichte eines Ortes beziehen müssen, und diese Arbeiten wirken auch weniger fehl am Platz. Beispielsweise „Portiport“ (1996/2008), eine Flughafen-Sicherheitsschleuse: Sie durchleuchtete die Besucher von Erkmens Ausstellung im Frankfurter Portikus. Am Eingang zu „Weggefährten“ löst sie zumindest einen Moment der Irritation aus. Die darauf folgende Arbeit „Das Haus/Ev/The House“ (1993/2008), eine weitere räumliche Intervention im Geiste von Michael Asher oder Daniel Buren, entwickelt ebenfalls ein Eigenleben. Die Lichtdecke des Ausstellungsraums ist geöffnet, die Leuchtstoffröhren in unterschiedliche Höhe abgehängt. Die Besucher müssen sich einen Weg zwischen den Röhren suchen, die architektonischen Bedingungen des Ausstellens werden in den Mittelpunkt gerückt. Besonders originell ist das allerdings nicht. Dass das Konzept von „Weggefährten“ scheitert, mag nicht nur daran liegen, das ortsspezifische Arbeiten schwer transformierbar sind. Vielleicht ist auch die Idee des Ortsspezifischen selbst zu ausgereizt (siehe von hundert 07, Text von Melanie Franke). Es steckt eine große Authentizitätsbehauptung darin, zu sagen: Dieser Ort hat mir eine Geschichte erzählt, und durch meine Arbeit erzähle ich sie euch, auf dass ihr lernt, vielleicht sogar: die wahre Geschichte erfahrt. Der scheinbar zwangsläufige und authentische Prozess der Themenfindung vor Ort und der Umsetzung in Kunst steckt natürlich voller Setzungen der Künstler. Es sind keine wahren Begebenheiten, die uns die Arbeiten erzählen, es sind Fiktionen, die auch aus einem Aspekt des Kontexts gespeist sein können. Daran ist nichts Falsches, für die Ver- und Umdichtung der Realität ist die Kunst schließlich da. Dass aber der Ortsbezug immer noch dafür herhalten muss, den künstlerischen Fiktionen die scheinbar notwendige Relevanz zu verleihen, ist ermüdend.

Ayşe Erkmen „Weggefährten“
Hamburger Bahnhof
Invalidenstraße 50–51
10557 Berlin
13.9.2008–25.1.2009
Ayşe Erkmen „Das Haus / Ev / The House, 1993/2008, Installationsansicht Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart Berlin (© Foto: Jens Ziehe, Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin)
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