Markus Strieder

Wohnung

2009:Feb // Birgit Effinger

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02-2009
















Wer in seiner Wohnung nach jahrelangem Zigarettenkonsum endlich den überfällig gewordenen Schönheitsanstrich in die Hand nimmt, kennt das Phänomen: Bereits beim Möbelrücken zeichnen sich an den Wänden deutliche Konturen ab, die die Patina der vergilbten Wände und somit auch die Dringlichkeit der anstehenden Maßnahme drastisch unterstreichen. Der Heimwerkerblick entdeckt an den leeren Wänden schlagartig dunkle Abriebsspuren, fleckige Ecken und verschwommene Ränder. Nun gilt es, die Verbrauchsspuren möglichst schnell zu übertünchen, um sich dann umso entspannter dem neuen Schöner- und Besser-Wohnen-Gefühl hinzugeben.

Markus Strieder hat in seiner Wohnung diesen tendenziell unappetitlichen Zwischenzustand in anderem Licht, besser gesagt mit großem Interesse für die sich zufällig ereignete Oberflächenstruktur betrachtet. Er belässt es nicht bei der Deklaration der so gesehenen Readymade-Kondensate, sondern eröffnet mit kalkulierten Gesten eine Vielzahl von Diskontinuitäten, die den Blick auf die intensionslos entstandene Bildmäßigkeit merkwürdig aufspalten.  Ausstellungen in Wohnräumen kontrastieren erwartungsgemäß die klinischen Ausstellungskonventionen des White Cube mit dem Aroma des Privaten. Dabei wartet die Wohnzimmerausstellung mit einer Fusion von Kunst und Alltag auf, die je nach Motivation mehr oder weniger geprägt ist von der individuellen Nutzung ihrer Bewohner und deren Drang zur Selbstdarstellung. In Markus Strieders „wallpaper“ nähern sich Wohn- und Präsentationssort hingegen dort an, wo sich Ursache und Wirkung, Bild und Abbild überschneiden. Strieder hat eine jener von Zeit und Zigarettenrauch gezeichneten Wände fotografiert und die bildgewordenen Farb- und Fleckenformationen im mittlerweile frisch renovierten Wohnzimmer mit mehreren Tapetenbahnen an gleicher Stelle montiert. Das von Stieder so benannte „wallpaper“ schmiegt sich als identische Wiederaufführung des ursprünglichen Zustandes sozusagen wie eine zweite Haut über sein reales Bezugsobjekt. Auf den ersten Blick offenbart es die zweifache Referenz zum Originalschauplatz und Ausgangszustand, die mit einem beigen Neuanstrich der Fußbodenleiste konsequent weitergesponnen wird. In seiner alpinaweißen Umgebung evoziert das wandfüllende Tableau zunächst eine phänomenologische Bestandsaufnahme des Vorher und Nachher.

Indes sind Vorbild und Abbild leicht zueinander versetzt tapeziert. Durch diese minimale örtliche Verschiebung findet sich die viel beschworene Indexikalität der Fotografie besonders an der Steckdosenleiste wirkungskräftig exponiert. Denn dort tritt das fotografische Abbild der Steckdose wie ein dokumentarisches Beweisstück quasi in Hautkontakt direkt neben der realen Steckdose auf. Dieser relativ kleine Deplatzierungsmoment setzt die Bildgrundlage und die Abbildungsleistung der Fotografie buchstäblich in Szene. Die Steckdosenleiste führt in Strieders „wallpaper“ gleichsam ein raffiniertes Schauspiel des indexikalischen Prinzips auf, demzufolge die Repräsentation eines Stückes Wirklichkeit stets auf dem kausalen Abdruck des real Vorgefundenen basiert.  Beim zweiten Blick erschöpft sich Strieders „wallpaper“ nicht vollständig in seinen abbildenden Bezügen. Schon die Stoßnähte der Tapete geben deutlich zu verstehen, dass die Arbeit nicht die Wand ist, die sie zeigt. Durch einen gewissen Abstraktionsgrad der großflächigen Zufallsformen kommen zudem mehrere Bildintensitäten zum Tragen, die sich dem vermeintlichen Abbildungsdiktum entziehen und autonome Wirkungen entfalten. Der Blick kann über die Wandfläche gleiten oder irgendwo in den weichen Farbverläufen des „Tapetenmusters“ hängen bleiben, ohne geradewegs Rauchschwadeneffekte in Betracht zu ziehen. Vielmehr beschwören die gedämpften Farbigkeiten und die verfließenden Konturen sogar den Anschein eines zeitgenössischen Sfumato. Andere Areale erwecken Erinnerungen an monochrome Malerei. Diese bildimmanenten Indifferenzen zwischen Repräsentanz, Illusionismus, Opazität und Gegenstandslosigkeit geben deutlich zu verstehen, dass Markus Strieder sich mit den ästhetischen Spuren seiner Rauchervergangenheit weder aus einer melancholischen Nostalgie heraus, noch aufgrund einer simulationstheoretischen Voreingenommenheit beschäftigte. „wallpaper“ formuliert eine Ästhetik des Erscheinens, die zwischen ortspezifischem Abbilden und eigendynamischem Hervorbringen oszilliert. So wie sich die einstmaligen Rauchschwaden als vergilbte Patina in die weiße Wand eingeschrieben haben, zeichnet sich umgekehrt deren Abbild als neue, distanzierte Textur ab, die sich immer wieder dem Gewesenen entzieht. Was bleibt sind unterschiedliche Wirklichkeitsansichten. Es ist, als ob sich die Arbeit permanent aus ihrer kontextuellen Anbindung herauslöst und doch nie ganz von dem abstrahieren kann, was hinter der Tapete liegt: Schöner blauer Dunst im Ex-Raucherzimmer.

Markus Strieder, „wallpaper“
Wohnung Strieder
Pücklerstraße 18
10997 Berlin
8.11.–7.12.2008         
Markus Strieder „wallpaper“, 2008 (© Markus Strieder)
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