Über Grenzen

HKW

2012:Dec // Anna-Lena Wenzel

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12-2012



Ausweitung der Grenzzone
/ Ostkreuz-Fotografen im Haus der Kulturen der Welt

In der Foto-Ausstellung „Über Grenzen“ im HKW wird der Grenzbegriff in seiner ganzen Breite aufgefächert: Neben Gren­zen in Form von Mauern und Zäunen, wie in Zypern und Belfast, werden Grenzräume gezeigt. Grenzen stellen hier nicht nur eine willkürlich gezogene Linie dar, sondern dehnen sich zu Sonderzonen aus. Dies ist zum Beispiel an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea zu beobachten, einer demilitarisierten Zone, die zugleich Tourismusmagnet und ideologisch überfrachtete Zone ist, aber auch in der Erweiterung von Grenzen zu Überwachungsräumen, die von der Agentur Frontex kontrolliert, zum Teil bis ins Meer und ins Ausgangsland der Flüchtlinge hineinreichen.
Zwei Serien widmen sich der Zeitlichkeit von Grenzen: ihrer Vergänglichkeit bzw. Neuerrichtung. Ute und Werner ­Mahler haben 22 Jahre nach dem Mauerfall Reste der deutsch-deut­schen Grenze festgehalten, also die Orte, „wo die Welt zu Ende war“. Espen Eichhöfer dagegen zeigt anhand der Unabhängigkeitserklärung und der darauffolgenden Gründungsfeier des Südsudans, wie „Ein Staat entsteht“ – und aus einem Land plötzlich zwei Länder mit unterschiedlichen Uniformen, Flaggen und Institutionen werden.
Ein Schwerpunkt der Arbeiten der Ostkreuz-Fotografen aber liegt auf den Menschen, die Grenzen überschritten haben. In mehreren Serien werden Migranten gezeigt: chinesische Textilarbeiter in Süditalien sowie Asylbewerber in Berlin. Hier wird die Paradoxie der Migranten besonders deutlich: Die Menschen, die Heimat und Familie verlassen und sich auf den Weg gemacht haben, sind in Deutschland zu Untätigkeit und Unbeweglichkeit verdammt.
Am immateriellsten werden Grenzen in der Serie „Das Weltgericht“ von Frank Schinksi, in der er die Arbeit des Internationalen Weltgerichtshof in Den Haag dokumentiert. Dieses internationale Gremium soll über Landesgrenzen hinaus Menschenrechtsverbrechen ahnden. Auch in der Serie „Terminal“ von Tobias Kruse sind die Grenzen nicht real, sondern zeigen sich anhand sozialer Segregation. Sie trennen den Reichtum Tel Avivs, wie er sich auf dem Rothschild Boulevard präsentiert, von den Drogenabhängigen und Sex­arbeitern, die sich wenige Gehminuten entfernt im Alten Busbahnhof eine Art rechtsfreien Raum erobert haben.
In weiteren Arbeiten werden Grenzen eher moralischer oder ethischer Art verhandelt. Pepa Hristova zeigt Fotos von bulgarischen Kinderheimen. Aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, wachsen behinderte und nicht behinderte Kinder unter z.T. unmenschlichen Bedingungen auf. Statt (bekanntes) Unrecht anzuprangern und in die Ferne zu schweifen, verstört Linn Schröder mit ihrem „Selbstporträt mit Zwillingen und einer Brust“. Wie im Titel angedeutet, sieht man die Fotografin vom Hals abwärts, rechts und links jeweils ein (dünnes) Baby im Arm, aber es fehlt eine Brust, die der Künstlerin nach einer Krebserkrankung amputiert wurde. Das Bild beeindruckt nicht nur durch den Mut, sich als Künstlerin so zu exponieren, sondern auch durch die ambivalenten Gefühle, die es auslöst: Wie ernährt man zwei Babys mit einer Brust? Schröder thematisiert nicht nur das Tabu Brustkrebs, sondern auch die Frage nach der Bedeutung des Stillens für Babys und Mütter.
Andere Fotoarbeiten wie die zum etwas durchgenudelten Thema „Arabischer Herbst“ oder die Porträts von Menschen im „Exil in Kalkutta“, deren Lebensgeschichten aber weder in den Bildern noch in Form von Texten anschaulich werden, verblassen dagegen.
Insgesamt sind in der Ausstellung Arbeiten von achtzehn internationalen Fotografen zu sehen, allesamt von der Agentur Ostkreuz. Ihnen ist ein dokumentarischer Ansatz gemeinsam – der sich dezent und unaufdringlich den Phänomenen annähert und weitgehend auf experimentellere Ansätze und Knalleffekte verzichtet. Das heißt, es handelt sich bei dieser Ausstellung nicht um die Suche des World-Press-Fotos und auch nicht um eine intellektuelle, konzeptuelle Auseinandersetzung mit der Frage, was Bilder heute leisten können oder eben nicht, wie es noch die Ausstellung „A Blind Spot“ tat, die von Catherine David kuratiert, ebenfalls im HKW zu sehen war. Vielmehr kann man sich hier vom Stil und dem Handwerk der Ostkreuzagentur überzeugen lassen. Wie einflussreich bzw. erfolgreich dieser Stil mittlerweile ist, belegt neben der Ausstellung im HKW die Präsentation des Abschlussjahrgangs der Ostkreuzschule für Fotografie in der Oranienstraße, in der zwar auf eine offene wie dankbare thematische Klammer wie „Grenzen“ verzichtet wurde, aber trotzdem viele ähnliche Arbeiten zu sehen sind.

„Über Grenzen“, Eine Ausstellung von Ostkreuz – Agentur der Fotografen, Haus der Kulturen der Welt, 9. 11.–30. 12. 2012
Linn Schröder „Selbstporträt mit Zwillingen und einer Brust“, Ostkreuz (© )
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