Hinterm Schloss

beim Außenministerium

2009:Feb // Stefanie Peter

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02-2009
















Die Gegend zwischen Schlossplatz und Leipziger Straße liegt geographisch zwar ziemlich genau in der Mitte Berlins, und doch ist sie nur ein Randbezirk von Berlin-Mitte. Hier verändert sich das Stadtbild zur Zeit in rasanter Geschwindigkeit und kaum irgendwo bietet ein Spaziergang deshalb so interessante Aufschlüsse. Vielleicht hat aber die Finanzkrise nun auch ihr gutes, vielleicht friert sie die Szenerie für eine Weile ein, solange die Baukräne still stehen. Beginnen wir Unter den Linden: Dem allmählichen „Rückbau“ des Palasts konnte man hier dreiunddreißig Monate lang zuschauen wie einem rückwärts gekurbelten Film. Nicht einmal der Stumpf eines Treppenturms ragt jetzt noch aus dem sandigen Boden. Stattdessen eröffnet die riesige Baugrube, diese Lücke, durch die der Wind fegt, plötzlich einen ganz neuen Panoramablick. Im Norden sieht man Marienkirche, Rotes Rathaus, im Hintergrund das Park Inn und den Fernsehturm. Weiter östlich steht der Neue Marstall, worin die Musikhochschule Hanns Eisler residiert, rechts davon das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR mit dem integrierten Portal des barocken Berliner Stadtschlosses, heute Sitz der „Hertie School of Governance“. Weiter rechts die rekonstruierte Musterfassade von Schinkels Bauakademie. Und an vorderster Front die Temporäre Kunsthalle mit der Fassade von Adolf Krischanitz. Blau und weiß leuchtet sie nachts schon von Ferne, wie ein gebautes Logo. Zwischen ihr und der neuen Freifläche führen – wie in einem archäologischen Park – Holzstege über die ausgegrabenen Grundmauern des Berliner Schlosses. Wo oben die Kulisse triumphiert, erhascht man so auch einen Blick in die Keller der Vergangenheit.

Wir überqueren den Schlossplatz und gehen weiter in Richtung Auswärtiges Amt, vorbei an einem Container, der aussieht wie der kleine Bruder der Temporären Kunsthalle und dessen grelles Pink uns später noch einmal wieder begegnen wird – auf einem Spielplatz. Das Auswärtige Amt blickt uns mit seinem 90er Jahre Gesicht aus Sandstein und Glas entgegen. Folgt man der Straße rechts vom Haupteingang, beginnt bald der lang gezogene Altbau in reinster Naziarchitektur. Hier, im „Haus am Werderschen Markt“, saß die Reichsbank und später in der DDR das ZK und Politbüro der SED. In den siebziger Jahren wurde dort noch ein Plattenbau herangesetzt, in dem man die Gäste der Partei beherbergte. Heute befinden sich darin Abteilungen des Auswärtigen Amtes, Forschungsinstitute, Archive und – wenn man um die Ecke, in die Kleine Kurstrasse einbiegt und eine verrottete Wendeltreppe über der Reprofirma im Erdgeschoss hinaufsteigt – der so genannte „Museum Store“ des Magazins 032c. Im letzten Jahr eröffnet, ist der kleine Laden mit seiner großen Ausstellungsvitrine längst Anlaufstelle und erste Adresse für die internationale Design-, Kunst- und Fashion-Szene. Wechselnde Ausstellungen, gemeinsame Eröffnungen mit der Nachbargalerie „Schlechtriem Brothers“ und zuletzt die „Ever Ever Altar Bar“ verpassen der Gegend so zumindest gelegentlich einen Hauch von Glamour. Ansonsten ist das hier, ganz gleich ob tagsüber oder nachts, eine der seltsamsten Ecken Berlins; nirgends sonst werden die gebauten Zukunftsträume der Hauptstadt so unaufhörlich von den Gespenstern ihrer Vergangenheit heimgesucht wie hier auf dem Friedrichswerder. Gegenüber dem Behördenkomplex des Außenministeriums liegt eine Zeile schmaler, mehrstöckiger Wohnhäuser, die „Berlin Townhouses“, von denen jedes eine andere Fassade und eine Garage hat. In den unteren Etagen sind Büros, und auch in denen darüber scheint nur selten jemand zu Hause zu sein. Kein Kind turnt auf den eigenwillig gestalteten Klettergerüsten in knallbunter Airbrush-Lackierung. Dafür weisen Schilder auf die omnipräsente Video-Überwachung hin. Diese Kameras filmen eine Szenerie fast ohne Schauspieler. An der Westseite des Blocks bietet eine nach einem Urwaldtier benannte Kette ökologisches Fastfood für die Angestellten der umliegenden Büros an. Hin zur Leipziger Straße hat erst letztes Jahr ein farbenfrohes vietnamesisches Kulturhaus mit Restaurant, Café, Hotel, Boutique und eröffnet.

Demnächst wird der traditionsreiche Suhrkamp Verlag seinen Frankfurter Standort gegen Berlin eintauschen und sich im nur ein paar hundert Meter von hier beginnenden Nicolai-Viertel, in der Brüderstraße, ansiedeln. Auf der Gertraudenbrücke, über der Friedrichsgracht, steht ein Denkmal der Heiligen Gertrud, die einem ihr zu Füßen knienden Mann aus einem Krug zu trinken gibt. „Hei wie das Nass / durch die Kehle rinnt / und der Bursche mit eins / wieder Wut gewinnt / nun dankt er laut / dir heilige Gertraut“ steht auf dem Sockel. Gertrud gilt als Patronin der Reisenden und Pilger und soll außerdem vor Mäuse- und Rattenplagen schützen. Diese Gegend wäre ideal für das Setting eines paranoiden David-Lynch-Films. Es ist eine Gegend im Kommen und eine Gegend, in der von allen Seiten alles Mögliche kommen kann. Augen auf!
Hinterm Schloss beim Außenministerium (© Foto: Andreas Koch)
Hinterm Schloss beim Außenministerium (© Foto: Andreas Koch)
Hinterm Schloss beim Außenministerium (© Foto: Andreas Koch)
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