Ortsspezifische Kunst

2008:Nov // Melanie Franke

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10-2008


Der Bezeichnung „Ortsspezifik“ und damit verbunden eine allgemein auf den Ausstellungsort bezogene Arbeitsweise gab es in der Kunstgeschichte in unterschiedlichen Ausprägungen schon immer. In den 60er Jahren wurde sie mit „site specific“ zum Label. Einerseits war damit eine Kunst gemeint, die sich je nach Situation auf architektonische, funktionale und andererseits auf historische, soziologische und politische Aspekte des Ausstellungsortes bezog. Der Ort wurde also nicht mehr als neutrales Display angesehen, sondern als einflussnehmender Faktor, der nicht selten anteilig zur Arbeit gehörte. Damals machte diese Art der Produktion nur einen kleinen Teil aus, dem gegenüber standen die leicht konsumier- wie distribuierbaren Bilder, Drucke, Zeichnungen zum Beispiel der Pop Art, die sich ihrem Präsentationsort zumeist autonom gegenüber verhielt. Jetzt, in der gegenwärtigen Kunstproduktion, hat sich das Verhältnis vertauscht. Man findet kaum mehr Arbeiten, die sich nicht auf den Ort ihrer Präsentation beziehen, die ortsspezifische Arbeitsweise ist inflationär geworden. Zu Ausstellungen werden immer weniger Werke und immer häufiger Künstler zur Produktion vor Ort eingeladen. Warum sich immer mehr Künstler auf diese Arbeitsweise einlassen und was die Kunst dabei gewinnt beziehungsweise verliert, das soll im folgenden kurz angerissen werden.

Doch zunächst noch ein Blick zurück: In den 60er Jahren war die ortsspezifische Arbeitsweise getragen von einer Kritik an den Definitionsmechanismen der Ausstellungsinstitutionen und des Kunstbetriebs generell, der durch Distribution und Präsentation als Wertbildungsinstanz figurierte. Die üblichen Verdächtigen jener damaligen ortsspezifischen Arbeitsweise: Michael Asher, Daniel Buren, Dan Graham, Robert Smithson (usw.) machten es sich zur Aufgabe, innerhalb wie außerhalb der Institutionen deren Normensysteme mit künstlerischen Arbeitsweisen sichtbar zu machen. Zumeist wurde dieses Vorgehen gleichgesetzt mit einer normativen und kritischen und damit distanzierten Haltung den Institutionen gegenüber. Ziel war es, sich von den Mechanismen, die, mit dem Impetus der 60er gesprochen, auch als Zwangsmechanismen angesehen wurden und dem auf Freiheit gegründeten Lebensstil zuwider liefen, nicht einnehmen zu lassen. Damit verbunden war eine Haltung, dass Kunst etwas bewirken, verändern, generell sichtbar machen kann.

Ortsspezifisch zu arbeiten führte aber zu einer paradoxen Situation: Einerseits bindet man ein Objekt an den Ort seiner Präsentation und entzieht es somit dem Kunstmarkt als Ware, es lässt sich nicht mehr distribuieren. Konsequenterweise, mit einem absoluten Verständnis von Ortsspezifik, könnte man es nur zusammen mit seinem Ausstellungsort verkaufen. Diese untrennbare Anbindung an den Ort führt seltsamerweise auch zu einer Fetischisierung desselben. Andererseits wollte man aber gerade mit dieser Arbeitsweise eine Distanz gegenüber dem Normativen der Institutionen einnehmen und diese sicher nicht huldigen. Kritik an der Institution schien zunächst nur inmitten der institutionellen Strukturen möglich.

So weit die alten Zeiten und die Anfänge der ortspezifischen Arbeitsweise in den 60ern. In der gegenwärtigen Kunstproduktion hat sich dieses Paradox aufgelöst. Jetzt entstehen die künstlerischen Arbeiten nahezu ausschließlich für einen Ausstellungsort und werden auf diesen hin konzipiert, ohne ihn zwingend zu hinterfragen. Zwar werden spezifische Eigenheiten des Ortes in die Arbeit integriert, jedoch selten kritisch-distanziert oder politisch-motiviert. Diese Art von distanzloser Hingaben an den Ausstellungsort als architektonischer und formaler Rahmen führt zu einer Kunst, die nichts mehr hinterfragt, nichts mehr bewegt, die man schnell vergisst, die generell unspezifisch wird. Die unspezifische Kunst ist zumeist unauffällig und geht in ihrer Bezogenheit auf den Ort ein gefälliges Spiel mit diesem ein. Manchmal kann man die Kunst von dem Ort nicht mehr trennen, was den Effekt hat, dass man sie in ihrer Unauffälligkeit, die von der tatsächlichen Dimension unabhängig ist, schon wieder vergessen hat, wenn man die Ausstellung verlässt. In ihrer ästhetischen Gefälligkeit oder gewollten Nicht-Gefälligkeit wird sie schlicht zum Interieur. Diese Kunst gibt es nicht nur auf den Raum bezogen, sondern auch als Einzelteil, zum Beispiel als Lampe. Wenn mir zwischen einer ‚Kunstlampe‘ und einer ‚Ikealampe‘ kaum mehr Unterschiede auffallen, dann ist es um die Kunst geschehen. Die kann man dann hinstellen wo man will, das ändert auch nichts mehr.

Ein Grund für die Produktion vor Ort ist sicherlich die generelle Erweiterung des Kunstmarktes, einmal geographisch über die ganze Welt und andererseits auch institutionell. Es schießen immer mehr Museen aus dem Boden, die sich in ihrem Profil immer stärker ausdifferenzieren, immer mehr Galerien produzieren eigene Ausstellungsprogramme, immer mehr weltumspannende Biennalen positionieren sich; es wird einfach immer mehr Kunst gezeigt. Sprich die Expan­sion des Ausstellungsbetriebs lässt eine von dem jeweiligen Ort unabhängige Arbeitsweise schlicht als Zeitverschwendung erscheinen, jedenfalls für den Entrepreneur-Künstler. Indem man für den Ort produziert, schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Man verliert keine Zeit und passt sich den Bedingungen möglichst gut an, huldigt die Ausstellungsinstitution. Genau in diesem Punkt differenzieren sich die Nuller-Künstler von den 60er-Künstlern. Vergleichsweise harmlos erscheint einem diese Design-Kunst. Man denke in diesem Zusammenhang an die letzte Berlin Biennale, insbesondere an die obere Halle der Nationalgalerie, da beispielsweise an Gabriel Kuri oder Goshka Macuga. Man könnte an dieser Stelle sicher noch differenzierter auf die einzelnen Arbeiten dieser sogenannten Affirmationskunst eingehen und voller Nostalgie die gute alte auf Intervention basierende ortsspezifische Kunst vermissen.

Doch das würde bedeuten anachronistisch zu argumentieren und die Veränderungen des Kunstbetriebs auszublenden. Die Künstler können heute die althergebrachten Mechanismen von Distribution, Präsentation und damit die Wertbildungsinstanzen im Allgemeinen gar nicht mehr sichtbar machen, weil sich diese selbst nicht mehr lokalisieren lassen. Betrachtet man die vielschichtigen Märkte, sowohl lokal als auch strukturell, dann zeigt sich ein komplexes System auf, in dem die Institution Museum nur noch ein Mitspieler ist. Die guten alten Mechanismen der Wertproduktion wirken in diesem globalen Netz der Transaktionen eher niedlich. Die vielfältigen Märkte definieren, wer mit welchen Anteilen als erfolgreich gilt und damit dann zumeist auch von den Kuratoren so eingestuft wird. Die Reihenfolge der Wertbildung hat sich verändert. Diese neuen Strukturen sind hochkomplex, transnational, nicht mehr lokalisierbar.

Die ortsspezifische Arbeitsweise ist zu einem Grundphänomen geworden und hat ihre normative Bedeutung auf dem Weg dorthin verloren. Zwar ist das Museum als Ort mit seinen Strukturen der Bewahrung, Vermittlung und Distribution noch immer vorhanden und noch immer gibt es Künstler, die im althergebrachten Sinne der 60er Jahre ortspezifisch arbeiten und in diese altmodischen Strukturen eingreifen. Doch diese Arbeitsweise ist heute so überholt wie einige Museen – sie ticken wie schwere Standuhren im Hintergrund und man hört sie kaum noch.

Um heute ortsspezifisch im Sinne einer kritischen Haltung zu arbeiten, muss man das komplexe gegenwärtige System des Marktes reflektieren, wie es unter anderem Tino Seghal versucht, der sich mit seiner Produktion mit den gegenwärtigen Mechanismen des Marktes auseinandersetzt und Ortsspezifik im Sinne einer kritischen Haltung begreift, indem er Werke schafft, die sich im Moment ihrer Aufführung verbrauchen und absolut nichts, was sich über den Markt distribuieren ließe, hinterlassen. Die performativen Arbeiten setzten während sie sich verbrauchen ein Kapital um, was sich direkt durch die Arbeit der Beteiligten verbraucht, die zumeist gut bezahlt werden. Ebenso wie sich der Künstler selbst durch den Verkauf der Aufführungsrechte finanziert. Das Kapital wird distribuiert, nicht die Arbeit an sich. Doch wenn wir noch mehr von solchen, sich gleich verbrauchenden Werken hätten, dann würde die Kunst irgendwann zu Theater werden. Das kann man sich dann wie bei Marthaler vorstellen, irgendwann stellt sich jemand an den Rand der Bühne und starrt vor sich hin, das ist zwar lustig, aber auch keine Lösung. 
Josef Strau „Leselampen“, 2006 (© Courtesy Anna-Catharina Gebbers / Bibliothekswohnung)
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