Tagebuch

2013:Dec // Einer von hundert

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12-2013














Einer von hundert
/ Tagebuch aus dem Berliner Sommer und Frühherbst

12. Juli, 10.13 Uhr im Büro
Schock am frühen morgen. Silke Neumann schreibt in einer knappen Pressemitteilung, dass Martin Klosterfelde schließt. Dass es den kleinen Galerien nicht gut geht, ist klar. Kaum einer kauft noch Arbeiten nach Gefallen, damit fällt das sogenannte mittlere Segment aus. Aber Klosterfelde? Er gehört eigentlich zu den Groß-Galerien Berlins. John Bock verkaufte sich bestimmt gut, Jorinde Voigt bestimmt auch wie teure Brezeln, flankiert von Altstars wie Hanne Darboten und Matt Mullican, oder Wiederentdeckungen wie Jürgen Drescher. Außerdem Jorindes Freund Jankowski … Dass Klosterfelde zu den Galeristen mit der schlechtesten Zahlungsmoral gehörte, nahm ich eher als unangenehmen Tick wahr, als dass ich dahinter dauerhafte Finanzknappheit vermutete. Er verlor auch einige wichtige Künstler über die Jahre. Die komplette Henrik-Olesen-Peer-Group wanderte vor etlichen Jahren ab. Darunter Kirsten Pieroth und Elmgreen&Dragset.
Ich spekuliere, dass es eher Ermüdungserscheinungen waren, die zur Aufgabe bewogen. Er hat als Galerist eigentlich alles erreicht, war auf allen Messen präsent, schon lange in den inneren Machtzirkeln der Berliner Kunstszene. Die nächsten zwanzig Jahre wären nur noch auf Erhalt des Bestehenden hinausgelaufen, weitere 107 Ausstellungen, weitere Enttäuschungen, die dauerhafte Institutionalisierung aller sozialen Bindungen höhlt einen über die Zeit aus. Da kann man sich schon mal das große Warum fragen? Ich frage mich, was er jetzt vorhat, Kunsthandel ist ja eigentlich noch öder? Da fällt mir ein, ich muss mal wieder meine Liste der geschlossenen Galerien seit 2000 aktualisieren …

5. August, nachmittags, Zimmerstraße
Erst Amerika, dann Klemm’s, jetzt Ikono – ihr Friseur in Berlin. So nur eine der vielen Transformationen in der Brunnenstraße bzw. in Mitte. Irgendwie schon ein mulmiges Gefühl … Ähnlich in der Zimmerstraße 88–89 am Checkpoint Charlie. Im Gebäude, in dem früher u. a. Claes Nordenhake und Barbara Weiss investiert und mit ihren Mitarbeiter/innen und Künstler/innen geackert und brilliert haben, befindet sich jetzt nach Totalentkernung und -umbau ein modernes Hotel: Winters Hotel Berlin Mitte. Ziemlich seltsam … Ein Ausflug lohnt sich, kann ich wirklich empfehlen.
 
1. September, Philippstraße
Von der alten Galerie neu ist jetzt gar nichts mehr zu sehen. Wie ausradiert das Ding, das da mal so forsch neben der Charité stand. Dort soll jetzt ein neues Forschungszentrum hin.
 
9. September, abends zuhause
Erst Playboy- dann Grünen-Wahl-Werbung auf der ­Monopol- Website! Auf der Suche nach „hot news“ gestern Abend ­konnte ich meinen Augen kaum trauen. Gefunden habe ich dann noch die Neuigkeit, dass Martin Klosterfelde Chef von Phillips in Berlin wird.

12. September, Lichtblickkino
Klaue mir das kleine Artweek-Booklet von einem zum Verkauf ausliegenden Tip. Zwölf Leute führen durch ihr Kunst-Berlin. Lese: „Es gibt neben Kaffee, auch Quiche, Möbel von Manuel Raeder, Taschen von Bless, die auch als Handtuch verwendet werden können, das abc-Büro ist in den Shop eingezogen … “ Hilfe!
Lese woanders: „Die KünstlerInnen dieser Ausstellungen zeigen ihre eindrucksvollen Werke in einer neuen, vollkommen eigenen Bildsprache. Jedes Objekt für sich repräsentiert einen Aspekt der Künstlerpersönlichkeit.“ Hier ein klarer Fall für Peter K. Koch (siehe nächste Seite). Der Rest ist eigentlich ganz gut und ich kenne nicht viel vom Beschriebenen.

20. September, abc-Messe
Lese grade die neue Spike, genauer gesagt den Berlin-Spezial­teil, und wundere mich: Da durchquert Timo Feldhaus das aktuell gehypte ­Berliner Styler-Milieu rund um Silberkuppe, Motto, Chesters und Nike, und um gefeierte Künstler wie Dan Vo, Kerstin Brätsch, Wolfgang Tillmans und nicht zu vergessen den Multitasker Friedrich von Borries, und lässt uns daran teilhaben, wie er mit großem Vergnügen und ohne die geringste Distanz, ohne Kritik und leider auch ohne Humor einfach nur mitmacht und auch noch stolz darauf ist. Er checkt einfach nicht, dass er selbst einfach nur ein naiver und narzisstischer Konsument ist, den alle benutzen. Warum druckt Spike so einen Artikel?

20. September, abc-Messe
Die einzige Ecke, die ich gut finde, ist beim Rauslaufen in der Seitenhalle, einmal Timo Klöppel bei Kwadrat mit seinem 500-Neon­röhren-in-alten-Fenstern-Cube. Drinnen hat man Ruhe, Licht und Klarheit und dann gegenüber ­Muntean/Rosenblum bei Zink, zwar kitschig, aber immerhin berührt mich plötzlich was. Erst ein Bild mit jugendlichen Badenden, drunter „das Geheimnis ist im Hier und Jetzt, das was man mit sich macht“, dann bei einem zweiten Bild rennt einer weg „und es schien ihm plötzlich, dass er völlig von der Welt verschwinden würde, wenn niemand mehr an ihn denkt“, und dann eine abgebrannte Ecke mit einem letzten Bild auf dem nur noch ein Stop-Schild zu erkennen ist. Ok, jetzt wo ich’s aufschreib, vielleicht doch etwas zu romantisch, aber immerhin eine Art Verbindung zum Leben und nicht nur diese völlig entkoppelte Post-Post-Konzept-Design-Bastel-Kacke…

21. September, wieder zuhause
Gerade das Interview mit Klosterfelde in der FAZ nachgelesen. Einerseits denke ich, wie kann man nur diesen Seitenwechsel zum Auktionshaus so schönreden, plötzlich leisten die Auktionshäuser Pionierarbeit …  hallo? Auktionshäuser sind so was wie eine Mischung aus EZB und Börse des Kunstmarkts. Da werden nur bestehende Währungen gehandelt und geschützt, ein Drittel sind gedeckte Stützungskäufe durch die Galeristen der Künstler, damit die Währungen nicht abschmieren. Aber Pionierarbeit? Vielleicht wird immer mal wieder ein Werk längst verstorbener Künstler aus der Versenkung gezaubert, aber das dient meist nur der eigenen Geldvermehrung, ansonsten nur Bluechips, und das Doofe für alle anderen Künstler ist ja zur Zeit, dass sich fast nur noch Kunst im Primärsektor verkauft, die auch auf dem Sekundärmarkt gehandelt wird, Kunst dient zu oft als Geldanlage, und wer, wenn nicht die Auktionshäuser befeuern diese Idee? Andererseits denke ich, ist doch ok, der Martin dachte halt schon immer so. Warum soll er sich weiter quälen? Illies macht ja auch auf Auktionshaus, das kann man dann bis ins hohe Alter weitermachen. Je älter man wird, desto mehr baut man auf Expertise, und Graubärten nimmt man die dann auch ab.

21. September, zuhause
Les ich vielleicht zu viel und schau zu wenig an?
Martin Klosterfelde, Montage (© Andreas Koch)
Lateinisches Land, 2013, Courtesy Kwadrat (© Timo Klöppel)
Neue Baulücke, Ex-Galerie-Neu-Gebäude Philippstraße, Foto (© Barbara Buchmaier)
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