Suhrkamp

Berlinumzug

2009:Nov // Barbara Buchmaier

Startseite > Archiv > 11-2009 > Suhrkamp

11-2009
















Wer hätte sie nicht gerne vollständig in seinem Besitz, die seit 1963 erscheinenden Taschenbücher der „edition suhrkamp“ („es“), die bis 2004 im Design von Willy Fleckhaus in einer von 48 Farben des Sonnenspektrums gestaltet wurden, um das heimische Bücherregal optisch in einen Regenbogen zu verwandeln? Nicht zu Unrecht gelten die inzwischen über 2000 Bände der „es“, mit ihren literarischen wie theoretisch-essayistischen Texten u. a. von Adorno, Beckett, Enzensberger, Barthes und Foucault als wichtigste avantgardistische Buchreihe der Republik.

Als ich im Frühling aus der Zeitung erfuhr, dass der Frankfurter „Suhrkamp Verlag“ Anfang 2010 zusammen mit seinen Co-Verlagen „Insel Verlag“, „Jüdischer Verlag“, „Deutscher Klassiker Verlag“ und „Verlag der Weltreligionen“ komplett nach Berlin umziehen wird, löste das bei mir eine gewisse Irritation aus. Unklar ist mir bis heute, warum meine Meinung zu diesem Thema – finde ich das jetzt gut oder schlecht? – so unentschieden ist. Zunächst ist da ja die ganz grundsätzliche Frage nach dem „Warum?“. Dann folgt die Überlegung, was die Entscheidung für den Verlag bedeuten könnte und was sie mit sich bringt, für die alte und die neue Heimat des traditionell stark mit dem Standort Frankfurt/Main (Frankfurter Schule) verwachsenen, 1950 in der Mainmetropole gegründeten Verlagshauses, das im Übrigen bereits seit 2006 eine Dependance in der noblen Berliner Fasanenstraße, gleich neben dem Literaturhaus, unterhält. Wie soll man die Entscheidung der rebellischen, geistige wie physische Mobilität proklamierenden Verlagsleiterin und Unseld-Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz bewerten, die ,ihren‘ Verlag, samt den etwa 130 von den Umzugsplänen großteils wenig begeisterten MitarbeiterInnen in die deutsche Hauptstadt verlegen will? Ist man konservativ, wenn man Berkéwizcs’ Entscheidung in Frage stellt?

„Wenn wir nicht dahin gehen, wo Krise und Chance aufeinander treffen, verlieren wir das Recht, Bücher, Stücke, Musik oder Kunst zu machen und zu verkaufen, die sich mit Krisen und Chancen, also mit dem Leben auseinandersetzen. (…) In den digitalen Werkstätten der Metropolen von New York bis Moskau entstehen Arbeitsweisen und in deren Gefolge Kämpfe über die Art, wie die Dramaturgie und das Theater, das Lektorat und das Buch, die Orchesterprobe und die Aufführung der Zukunft beschaffen sein werden“, argumentierte Berkéwicz im Spiegel (Ausgabe 12/2009).

Lebt man schon länger in Berlin – und vermutlich nicht nur dann – kommen einem derartige Argumentationsklischees um die Ansiedelung und Nutzbarmachung von Kunst, Kreativität und Ökonomie nur allzu bekannt vor. Gar kann man hier eine gewisse Parallele zur Umzugs- und Zentralisierungswelle der internationalen Großgalerien sehen, die inzwischen ja fast vollzählig in Berlin präsent sind, unter anderem auch, um ihrer internationalen Künstlerschar eigene Ausstellungsflächen in der ach so hippen Kunstmetropole zu bieten. Aber geht es hier nicht vielmehr um die schiere Demonstration von Macht.

Doch, Berlin ist momentan weder Verlags- noch Bücherstadt! Diese Rolle, die sie noch bis vor dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit Leipzig spielte, konnte die Stadt bisher nicht wieder aufnehmen. „Fischer“ sitzt in Frankfurt, „Hanser“, „dtv“ und „C.H. Beck“ arbeiten von München aus, „Rowohlt“ in Reinbek (wobei es auch den Unterverlag Rowohlt Berlin gibt) und „Dumont“ wie KIWI in Köln. Schon in Berlin sind bisher auf der interessanteren Belletristik-Schiene neben dem (ewig insolventen?) „Aufbau Verlag“ und „Matthes & Seitz“ nur einige kleinere Gegenwarts-Verlage wie „blumenbar“ (seit diesem Sommer) und „kookbooks“. Hier kommt Bürgermeister Klaus Wowereit ins Spiel, seines Zeichens auch Kultursenator und überzeugter Regenbogenfahnenhisser. Laut Presse, die zum Thema „Suhrkamp-Umzug“ (vermutlich auch wegen der unklaren Informationspolitik des Verlags) ein eher diffuses Bild vermittelt, bemühte er sich spätestens seit der Eröffnung der Berliner Suhrkamp-Dependance im edlen Charlottenburg um den Zuzug des gesamten Unternehmens. Und dies ist ihm nun auch gelungen, vermutlich auch aufgrund seines großzügigen Angebots, dem Verlag, dessen Frankfurter Zentrale in der Lindenstraße angeblich sanierungsbedürftig ist, den Umzug zu zahlen. Wie kolportiert wird, soll das Geld dafür aus den Mitteln des europäischen Strukturfonds kommen. Zudem bot Wowi dem Verlag diverse Gebäude aus den Liegenschaften des Landes zum Kauf an. Als „Solidaritätszeichen Berlins“ interpretierte dies Ulla Unseld-Berkéwicz, die an einem Orts- und Imagewechsel des Verlages auch aus persönlichen Gründen nicht uninteressiert sein könnte, gab es doch seit dem Tod des langjährigen Verlagsleiters Siegfried Unseld im Jahr 2002, nachdem sie die Verlagsleitung übernahm, nicht nur positive Meldungen aus Frankfurt.

Dass sich der „Suhrkamp Verlag“, laut Presse, für das noch wenig sanierte, denkmalgeschützte Nicolai-Haus in der heute noch recht unwirtlichen Brüderstraße nähe U-Bahnhof Spittelmarkt entschieden hat, liegt möglicherweise an der Tradition des Gebäudes, das zur Stiftung Stadtmuseum Berlin gehört. Im 18. und 19. Jahrhundert war das barocke Gebäude eines der zentralen Begegnungsorte der Berliner Aufklärung und der Romantik, in dem sich Johann Gottfried Schadow, Karl Friedrich Schinkel, Daniel Chodowiecki und Theodor Körner trafen. Ebenfalls in dem Haus untergebracht war die 1713 gegründete Nicolaische Verlagsbuchhandlung (heute: „nicolai-Verlag“). Die Lage hinter dem Außenministerium verspricht natürlich auch noch einiges an Entwicklungspotential, wie Wowereit sicherlich betont hat.

Doch noch mal zurück zur grundlegenden Frage des „Warum“ – diesmal an Wowi gerichtet. Könnte es funktionieren, mit der Eroberung des „Suhrkamp Verlages“ ein Signal in Richtung deutsche Verlagslandschaft und Buchindustrie zu setzen? Träumt er nun schon davon, mehr oder weniger im Alleingang, aus der deutschen Hauptstadt (wieder) eine zentrale Bücherstadt zu machen? Bemüht man hier nochmals den Vergleich mit der aktuellen Entwicklung Berlins zum Kunstmarktzentrum, ist zu bedenken, dass es hier vor allem die Künstler waren, die – Schritt-für-Schritt – die Galerien nach sich gezogen haben.

Nichts ist unvorstellbar. Doch soll man sich das wünschen?

Die Information, dass „Suhrkamp“ nun vorübergehend erstmal für zwei Jahre in das seit kurzem leer stehende Finanzamt Friedrichshain-Prenzlauer Berg in der Pappelallee einziehen wird, ist keine Zeitungsente. Denn das Nicolaihaus steht vom Frankfurter Verlag noch gänzlich unberührt in der tristen Brüderstraße. Noch finden sich an seiner Fassade die roten Schilder des „Museum Nicolaihaus“. Man wird sehen, wann der erhoffte Regenbogen über dem tristen Spittelmarkt-Kiez aufziehen wird. Bis es soweit ist, kann man vermutlich noch einige Bücher lesen.
Suhrkamp-Haus Frankfurt (© Foto: Christos Vittoratos)
Ehemaliges Finanzamt Friedrichshain-Prenzlauer Berg, Pappelallee (© Foto: Barbara Buchmaier)
Microtime für Seitenaufbau: 1.63327503204