Schissige Kunstamseln

2013:May // Christoph Bannat

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05-2013














Schissige Kunstamseln
/ Eine freie Analyse


Scheißen. Sägen. Schütteln. Frost und Fieber. Kunst und Lehre. Es ist paradox, dass Kunsthochschulen eine Sprache lehren sollen, die sie noch nicht kennen. Ein schönes Paradoxon, zwischen Avantgarde und Reproduktion. Vorausgesetzt, man versteht Kunst überhaupt als eine Sprache und nicht nur als ein Versprechen. Als eines, das ständig erneuert werden muss. Seit Neuestem, umgerechnet auf die Menschheitsgeschichte – also seit den 10er Jahren des 20. Jahrhunderts haben Kunstschulen ein Problem mit jenem Paradoxon von Lehre. Auch weil das von mir Sprechen genannte Machen um die Jahrhundertwende, unabhängig von einer offiziellen Lehre, zunehmend auf dem (Kunst-)Markt seine gesellschaftliche Wertschätzung erfährt. Zu meiner Kunsthochschulzeit in Hamburg, Ende der 1980er bis Mitte der 90er Jahre, gab es zwei Pole. Einer hieß Franz Erhard Walther, der andere Kai Sudeck. Ersterer vertrat die Haltung, dass man Kunst lernen kann. Zweiter fragte, wie Kunst mit dem eigenen Leben zu verbinden ist. Zwischen diesen Polen konnte man, da ein Wechseln zwischen den Kunstklassen gern gesehen wurde, oszillieren. Das machte die soziale Intelligenz der Kunsthochschule aus. Nebenbei, ganz allgemein, ist das vielleicht ein Merkmal von Intelligenz; dem eigenen Schaffen und darüber hinaus dem eigenem Körper gegenüber verschiedene Positionen einnehmen zu können. Ein Merkmal, das vielleicht auch für den Begriff der handwerklichen Intelligenz gilt. Und geht es an Kunsthochschulen nicht immer auch um handwerkliche Intelligenz, gepaart mit Kreativität? Deren Merkmal wiederum darin besteht, sich die Verhältnisse auch anders denken zu können. Nun ist dies Andersdenken an Kunsthochschulen insofern ein Problem, da es zum Pflichtprogramm auf dem Weg zum freien Künstler gehört. So lernt er sich durch unangepasste Gesten anzupassen. Woran aber? Etwa an kommende Umstände, die man sich nicht anders denken kann? Eine erschreckende Vorstellung. Dem Naturgesetz von Anpassen und (Mit)Teilen folgend – wie bei jeder Spezies? Das Beispiel der avantgardistischen Amsel, die innerhalb der letzten 150 Jahre vom Wald- zum Stadtvogel wurde, verdeutlicht es. Im Herbst teilen sie sich in verschiedene Gruppen. Eine Gruppe bleibt z. B. in Berlin, mit dem Risiko, den Winter nicht zu überleben. Die andere geht das Risiko, über die Alpen zu fliegen, ein, um dabei, vielleicht vor Erschöpfung, nicht aber durch Kälte zu sterben. Zurück in Berlin sind die einen hungrig mit Nahrungssuche beschäftigt, während die Daheimgeblieben bereits wohlgenährt, ihr Revier abgesteckt, mit dem Nestbau beschäftigt, attraktiv für die Weibchen, in vollem Gange sind. Und dann gibt es noch die Gruppe, die nach Süd-England und nicht über die Alpen fliegt. Ein Befehl lautet: Erhalt der Spezies, wenn ihre Subjekte sich den Gegebenheiten anpassen. Ein anderer, sich fortzupflanzen, wenn alle wieder zusammenkommen. An den Kunsthochschulen nun pflanzt sich nicht, wie im Fall der Amsel, der Gen-, sondern der Sprachcode der Spezies Künstler fort. Dies unausgesprochene Denken wird an den Kunsthochschulen kultiviert. Und wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung. Das könnte heute der Stand der Dinge sein. Und nun verzweigen sich diese Gedankengänge ein weiteres Mal, gibt es doch gar keine Spezies unter den Menschen, sondern nur die eine Art – es sei denn, man ist Faschist, oder Rassist. Nur brauchen wir Konstruktionen, um uns mit der Ganzheit nicht beschäftigen zu müssen, denn diese berührt unsere Körper-Grenzen. An den Kunsthochschulen herrscht heute eine trostlose Mutlosigkeit. Die Kompass-Spitze der Utopie, die den Weg über die Alpen zeigen könnte, ist stumpf. Doch ist eine stumpfe Spitze eben auch breiter. An den Kunsthochschulen herrscht die Fantasielosigkeit der Lehrenden, sich ihr verschissenes Leben irgendwie interessant zu gestalten. Sie sind zu schwach zuzugeben, dass sie nichts wissen, um dann davon: aus-zu-gehen. Sie haben Angst, alles auch nur zusammenzusch(m)eißen, um dem Dreck anschließend beim Hartwerden zuzusehen. Um ihn dann mit dem Skalpell – oder der Kettensäge zu behandeln. An den Kunsthochschulen gibt es doch alle Freiheiten, nur nehmen sie sich diese nicht. Nicht einmal die Freiheit, alles an die Wand zu fahren. Sie haben alle Möglichkeiten, alles falsch zu machen und gerade das passiert nicht. Auch weil Kunst als bildgebendes Medium – seit wann eigentlich? – keine Bedeutung mehr hat. Dabei lebt das Versprechen der Kunst weiter. Dass mit ihr Gegensätzen und Widersprüchen eine Form gegeben werden kann. Dass diese so greifbar und begreiflich gemacht werden können. Und damit vielleicht ausgehalten werden können. Oder ihnen, doch wenigstens eine Form – und sei es die einer schönen Fragestellung – gegeben werden kann. Verbunden mit dem tiefen Glauben, diese Gegensätze und Widersprüche formal aufzulösen, um sich bestenfalls von ihnen lösen zu können. In diesem Erlösungsglauben entspricht das Ritual des sich Ausstellens, das man an Kunsthochschulen lernt, einer Messe. Hostie der (Auf-)Klärung, Vergebung der Sünden und ein ewiges Leben. Es gibt eben Leben, die müssen ständig behandelt werden. Die von Künstlern und die von Kranken. Künstler kümmern sich ständig um sich selbst, um Kranke muss man sich kümmern. Auch eine Frage der Spezies. T’schuldigung, der Art. Natürlich.
 
Zeichnung (© Christoph Bannat)
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