Ming Wong

Portrait

2009:Nov // Ludwig Seyfarth

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11-2009











Für die diesjährigen Biennale d’Arte in Venedig hat sich der Kurator des Deutschen Pavillons bekanntlich für einen britischen Künstler entschieden. Liam Gillick lebt allerdings nicht in Deutschland, anders als viele Künstler/innen aus aller Welt, die es vor allem nach Berlin zieht. Zu ihnen gehört der 1971 in Singapur geborene Ming Wong, der auch in Venedig dabei ist, denn er wurde für den Länderpavillon seines Heimatlandes ausgewählt. Ming Wongs Schau „Life of Imitation“ war sogar für den Preis für den besten Pavillon im Gespräch und wurde von der Jury schließlich mit einer lobenden Erwähnung bedacht.

Ming Wong, der an der Slade School in London studierte und seit 2007, als er ein einjähriges Stipendium im Künstlerhaus Bethanien erhielt, in Berlin lebt, kennt die Erfahrung, als ,Fremder‘ in einen neuen Kulturkreis zu kommen, neue Sprachen und andere kulturelle Codes erlernen zu müssen. Und diese Erfahrung reflektiert er immer wieder in seiner Kunst. Ebenso facettenreich wie ironisch nutzt er die Mittel der Nachinszenierung und der absichtlichen Verfälschung, um wie im Reagenzglas die Klischees vorzuführen, welche die Vorstellungen von kultureller Identität und die Idee der Multikulturalität beherrschen. Ein dabei immer wieder eingesetztes Mittel ist das humorvolle Reenactment von Kinofilmen.

Die Präsentation in Venedig konzentriert sich auf seine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kinos in Singapur. In „Four Malay Stories“ hat Ming Wong Szenen aus Filmen nachgestellt, die in der frühen Blütezeit der dortigen Filmindustrie Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre gedreht worden sind. Die Produzenten waren in der Regel Chinesen, die mit indischen Regisseuren zusammenarbeiteten. Für die melodramatischen Stories wurden Stereotypen des Bollywood - und Hollywoodkinos ebenso aufgegriffen wie Elemente des europäischen, japanischen und chinesischen Films. Die Schauspieler waren jedoch keineswegs international, sondern fast alle Muslime malayischer Abstammung.Dass diese Streifen heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind, liegt auch daran, dass in der mittlerweile streng muslimischen Gesellschaft Malaysias vieles der Zensur unterliegt, was damals ohne Probleme in den Filmen vorkommen konnte – etwa Küsse, Ehebruch, Nacktheit, Alkoholkonsum oder Glücksspiel. Die 16 sowohl männlichen wie weiblichen Rollen in den auf vier Monitore verteilt gezeigten Szenen spielt Ming Wong selbst. Dabei werden die einzelnen Takes loopartig bis zu fünf Mal wiederholt, denn die Originalsprache Malayisch, in der auch die Remakes stattfinden, beherrscht der Künstler nicht und so spricht er die Texte wie in einem Sprachlernkurs mehrere Male hintereinander, bis die Aussprache halbwegs stimmt.

Eine weitere Reminiszenz an die große Zeit des Kinos in Singapur und Malaysia ist eine Polaroidfoto-Serie von damals errichteten Kinogebäuden, die architektonisch oft reizvoll sind und auch Einflüsse aus Bauhaus und Art Déco zeigen. Viele von ihnen sind inzwischen abgerissen worden, andere werden als Supermarkt, Restaurant, Nachtclub oder Kirche genutzt. Ming Wong reiste herum und suchte die noch existierenden Kinobauten. Er setzte die digitalen Fotos am Computer neu zusammen, so dass die heute meist zugebauten Filmpaläste freistehend und nicht ganz originalgetreu ihre Pracht entfalten können. Danach fotografierte er die ausgedruckten Fotos mit einer Mittelformat-Handkamera als Polaroids ab, so dass der Eindruck historischer Aufnahmen entsteht. Die Erfindung der Polaroid-Technik fällt historisch mit der Errichtung der Kinogebäude zusammen.

Als Ming Wong nach Berlin kam, sprach er noch kein Deutsch. Das dokumentierte er anhand einer Szene aus Rainer Werner Fassbinders Film „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (1972). Er spielte die große Soloszene der Hauptdarstellerin Margit Carstensen nach und sprach, ohne zu verstehen, den mit Schimpfworten und obszönen Ausdrücken gespickten Monolog. Seine zweite, umfangreichere Auseinandersetzung mit einem Fassbinder-Film ist „Angst Essen / Eat Fear“, eine Nachinszenierung zentraler Szenen aus „Angst essen Seele auf“ von 1973. Fassbinder schilderte die ungewöhnliche, sozial nicht akzeptierte und tragisch scheiternde Liebesgeschichte zwischen der über 60-jährigen Putzfrau Emma (gespielt von Brigitte Mira) und dem über zwanzig Jahre jüngeren marokkanischen Gastarbeiter Ali. Ming Wong spricht alle Dialogtexte in gebrochenem Deutsch und spielt auch alle Rollen selbst, was er durch den virtuosen Einsatz digitaler Postproduktion möglich macht. Nur bei direkter körperlicher Interaktion, beispielsweise wenn Emma und Ali zusammen tanzen, lässt der Künstler eine der beiden Personen von anderen Darstellern doubeln.

Auf subtile Weise reflektiert Ming Wong dabei auch die eigene Rolle des Künstlers und ihre Verstrickung in politisch korrekte Diskurse. So sieht er den von ihm schauspielerisch verkörperten „Gastarbeiter“ Ali in einer Parallele zu der Rolle, die er selbst im Leben spielt. Ming Wong bezeichnet sich als „guestartworker“ und spielt damit subtil darauf an, dass die Präsenz ausländischer Künstler in Berlin zum Stadtmarketing-Faktor geworden ist.

Offizielle Erhebungen britischer Behörden während Ming Wongs Studienzeit in London dürften seine Sensibilität für solche Vorgänge geschärft haben. Nach der großen Volkszählung 2001 gab es verstärkte Bestrebungen, die ethnische Vielfalt der dortigen Bevölkerung genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Art Council entwickelte gar einen „cultural diversity“-Fragebogen, den seither alle Künstlerinnen und Künstler, die Fördermittel beantragen wollen, ausfüllen müssen. Dabei gilt es nicht nur anzugeben, ob man afrikanischer, karibischer, indischer, chinesischer, lateinamerikanischer, süd- oder osteuropäischer oder aber irischer Abstammung ist. Man soll auch ankreuzen, welche Ethnien in dem eingereichten künstlerischen Projekt inhaltlich angesprochen werden. Der aus Singapur stammende Ming Wong lebte damals in London, wo er gerade an der Slade School sein Studium beendet hatte. Er machte auf dem Formular bereitwillig bei sämtlichen Gruppen sein Kreuzchen und wurde dafür belohnt: Er konnte 2003/04 sein Filmprojekt „Whodunnit“ realisieren und zwar mit Mitteln des Art Council, dem die eigentlichen Intentionen des Künstlers womöglich nicht einmal aufgefallen waren.

Der Film basiert auf den Stereotypen eines in England eingespielten Genres, des in der Mittelschicht spielenden Fernsehkrimis. Anders als bei üblichen Krimis gibt es jedoch keinen Mord. Die alte Genre-Frage des „Whodunnit?“, das spannungssteigernde Rätsel, wer der Täter sei, wird bei Wong zur Frage nach der kulturellen Identität und den damit verbundenen Klischees. Die Besetzung nahm der Künstler in Übererfüllung der politischen Korrektheit des Fragebogens vor, den er durchaus als politisches Kontrollinstrument und Gängelung der künstlerischen Freiheit empfand, auch wenn es der Administration nur um die strenge Berücksichtung der „ethnischen Vielfalt“ ging. Alle Darstellerinnen und Darsteller beginnen bei ihm zunächst, einen bewusst übertriebenen, ihrer ethnischen Herkunft entsprechenden ausländischen Akzent zu sprechen, bis sich die Dialoge immer mehr einem Standardenglisch annähern, wie es traditionell von BBC-Sprechern gepflegt wird.

Als ich vor einigen Jahren in Singapur war, kam es mir so vor, als befände ich mich in einem multikulturellen Disneyland. Vielleicht lässt sich Ming Wongs Kunst auch als eine humorvoll vorgetragene Warnung davor verstehen, dass die Welt bald überall so aussehen könnte wie in seiner ,Heimat’, in der er aus guten Gründen nicht mehr lebt.

Ming Wong im Singapur-Pavillon
„Life of Imitation“ auf der 53. Venedig Biennale
7.06.–22.11.2009

Ming Wong „Angst Essen“(Still), 2008 (© Courtesy MK Galerie, Berlin / Rotterdam)
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