Abdecken und abwaschen

/ Callum Innes bei Loock

2011:May // Anna Fiegen

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03-2011












Der schottische Maler Callum Innes (*1962) stand 1995 im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, als er auf die Shortlist des renommierten Turner-Prize gesetzt wurde – neben Mark Wallinger, Mona Hatoum und Damien Hirst, der letztendlich den Preis gewann. Trotz zahlreicher internationaler Ausstellungen ist es seither aber erstaunlich still geworden um den Schotten, der sich so systematisch an der Ungegenständlichkeit abarbeitet.

Die Verteilung der Werke von Callum Innes an den Wänden der Loock-Galerie war sehr großzügig. Auf den ersten Blick, so schien es, hatte man die Situation schnell erfasst: Die 2010 entstandenen Bilder der Serie „exposed paintings“ sind allesamt in der Mitte durch eine senkrechte schwarze Linie getrennt, ansonsten sind beide Hälften weiß. Dieses Weiß ist jedoch nicht monochrom, sondern auf jedem Bild sehr fein nuanciert. Immer gibt es eine warme und eine kalte Hälfte. Dass Callum Innes seine Farben selber herstellt, wird hier für Materialkundige offensichtlich; die feine Abstimmung der Töne erinnert an keine bekannte industrielle Zusammensetzung. Aus der Nahperspektive wird dann klar, dass die schwarze Linie, die das Bild teilt, nicht auf die weißen Flächen aufgesetzt ist, sondern vielmehr unter den pastosen weißen Farbschichten liegt, also zeitlich davor entstanden ist. Die Struktur des Pinsels zeichnet sich auf der einen Hälfte des Bildes reliefartig auf den dicken weißen Farbschichten ab und ergibt durch die Reflektion des Lichtes ein ganz eigenes Farbenspiel und zugleich eine nahezu haptische Präsenz der Oberfläche. Auf der anderen Hälfte ist das Weiß nicht durch Auftragen der Farbe entstanden, sondern Resultat des Abwaschens schwarzer Farbe. Die Gemachtheit lässt sich, wie oft in Innes’ Bildern, daran deutlich ablesen; sie ist somit ein wesentlicher Teil des Werkes selbst.

Besonders deutlich wurde dies an der großformatigen Leinwand im links angrenzenden, separierten Raum, in dem wie eine kurze Erinnerung an früher eines der „monologue paintings“ von 2007 hing, bei denen besonders deutlich wird, wie der Künstler seine „exposed paintings“ freilegt. Schwarze Farbe wird an einem bestimmten Zeitpunkt der Trocknung mit viel Terpentin wieder von der Leinwand herunter gewaschen. Dabei entstehen Verlaufsspuren durch die Farbpigmente, die teilweise stehen bleiben und an Ort und Stelle trocknen. Gerade in der Serie der „monologue paintings“ entsteht ein Effekt, als sei die Zeit eingefroren.

Nach diesem Exkurs in die Entwicklung von Innes’ Malerei, gewann man bei der Rückkehr in den Hauptraum einen neuen Blick auf die dort präsentierten weißen Bilder. An den Seiten der Leinwände sah man noch die Verlaufsspuren der herunter gewaschenen schwarzen Farbe, die ansonsten nur noch in der Mitte als die schwarze Linie präsent war. Im Gegensatz zu den „monologue paintings“ von 2007 gewinnt der Maler über das fließende Terpentin durch genau diese Linie die Kontrolle: Sie leitet die Flüssigkeit an sich entlang, so dass das Auswaschen kontrolliert und systematisch zu beiden Seiten der Leinwand vorgenommen werden kann. Die – im Gegensatz zu den waagerecht aufgetragenen Weißschichten – so frei fließend wirkende Linie ist also eigentlich ein Instrument der Regulierung. In dem Bewusstsein, dass unter den weißen Farbschichten eines der exposed paintings liegt, eröffnet nun das erneute Zudecken dieser Freilegung eine andere Fragestellung, eine neue Perspektive. Ist das vielleicht ein Rückschritt? Die Enthüllung, das Freilegen, wieder rückgängig zu machen? Das Bild, das so schonungslos aufgedeckt wurde, wieder einzuhüllen, fast schamhaft zu verstecken? Oder ist es die folgerichtige Weiterentwicklung von Innes’ Vorgehen, das Wechselspiel von Freilegen und Verhüllen noch einmal zusätzlich zu betonen?

Im hinteren Teil der Galerie, in einem weiteren Raum, fanden sich dann noch zwei Arbeiten mit je einer weißen und einer stark farbigen Hälfte, wieder getrennt durch die schwarze Linie, die das darunter liegende Bild verrät. Nach den feinen Weißnuancen im Hauptraum traf einen die Wucht des Rot und Blau wie ein Schlag. Man wollte sich intuitiv diesen Farbexplosionen entziehen, die den leisen, schleichenden Prozess, mit dem die weißen Leinwände die Wahrnehmung unterlaufen, nun völlig überdecken. Die farbgewaltigeren Gegenstücke verlieren das fragile Gleichgewicht, das in den übrigen Werken aufgebaut wird.

Es ist überraschend, wie aktuell und zeitgemäß im Licht dieser Ausstellung wieder Fragestellungen erscheinen, die man im Kopf vielleicht schon als längst obsolet abgehakt hatte. Dass die Reflexion der Malerei über ihre eigene Gemachtheit kein alter Hut ist, vergisst man in der zeitgenössischen Flut der figurativen und narrativen Tafelbilder leicht. Umso schöner ist es, wenn eine so leise, reduzierte Ausstellung daran erinnert, dass Malerei nicht mit großen Gesten und starker Farbigkeit daherkommen muss, um spannend und fordernd zu sein.

Callum Innes, Loock Galerie, Invalidenstraße 50/51 30.10.–19.12.2010

Callum Innes, „Untitled No. 110“, 2010 (© Galerie Loock)
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