Richter am Rand

Gerhard Richter in der Neuen Nationalgalerie

2012:Apr // Thomas Wulffen

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04-2012


Vielleicht sollte man angesichts dieser Ausstellung von einem Paradigmenwechsel sprechen. Denn die Ausstellung der Arbeiten Gerhard Richters im oberirdischen Kubus der Neuen Nationalgalerie ist ein Skandal, den man – frei nach Goethe – nicht wahr haben will: „Das Bemühen seh’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Den allerdings haben Udo Kittelmann und der Künstler selbst verloren. Der Glaube aber ist hier falsch am Platze. Denn die kuratorische Arbeit berührt sich mit dem Glauben nur an den Rändern. Aber diese Ränder treten in dieser Präsentation allzu deutlich hervor. Da ist zum einen der Einbau der Ausstellungsbox, die sich als White Box sui generis erweist. Störend sind allenfalls die Säulen der gegebenen Architektur, aber das wollen wir jetzt mal übersehen. Um dem Sinn der White Box noch näher zu kommen, werden die einzelnen Werke ihrer Chronologie nach gehängt. Das älteste Werk steht so am Anfang und das jüngste am Ende. Welch ein genialer Trick! Im Hinweis auf die Geschichte braucht dieselbe auch nicht hinterfragt werden. Der zusätzliche Nutzen dieser chronologischen Hängung besteht darin, dass man sich um die Position eines einzelnen Bildwerks keinen Sorgen machen muss, außer darum, ob die Chronologie wirklich stimmt. So können wir als Betrachter etwas live erleben, in den Worten von Udo Kittelmann: „Das schafft die wunderbare Chance zu sehen, wie Abstraktion und Figuration permanent nebeneinanderher laufen.“ (Die-Welt-Beilage, Februar 2012)

Das Dumme ist aber dabei, dass es kein Einzelbild gibt. Das einzelne Werk hat keinen Rahmen für sich, sondern stößt immer auf den Rahmen des nächsten Bildes. Das führt in der Chronologie dazu, dass jedes Werk mehr oder minder gleichwertig erscheint. Wer sich dabei auf eine spezifische Arbeit konzentrieren will, dem wird es nicht gelingen. Tatsächlich könnte man in diesem Falle von einer cinematografischen Hängung sprechen, die bei der Präsention der „4900 Farben“ an der Außenwand der weißen Box auch gelungen ist. Dieser Teil der Ausstellung zeigt dann endlich auch, was möglich gewesen wäre. Ob dieses Wahrnehmungmuster den einzelnen Werken gerecht wird, ist jedoch stark zu bezweifeln. Es mag cinematografische Elemente in einzelnen Gemälden von Richter geben, aber deren Wirkung geht in der intendierten Präsentation unter.
Wenn man dann noch hören muss, dass die Präsentation in der Tate Gallery ähnlich misslungen war, greift man sich an den Kopf und will es nicht glauben. Gerhard Richter ist es wahrscheinlich egal, und von „wunderbarer Zusammenarbeit“ lässt sich schnell reden. Aber Herr Kittelmann war seine eigene Sicht der Dinge wohl wichtiger als die Retrospektive Gerhard Richters. Nur so ist zu erklären, dass er die Ausstellungsräume im Untergeschoss nicht frei gemacht hat für die Richter-Präsentation. Ein Sicherheitsproblem liegt jedenfalls nicht vor. Und die Retrospektive der Nachkriegsmalerei hätte auch noch in drei Monaten ihre Wirkung zeigen können. So geht diese Darstellung des Werks von Gerhard Richter als misslungener Versuch eines „Panoramas“ in die Geschichte ein. Das ist der Titel der Schau, die wir so bald wie möglich vergessen wollen. Aber die Schlange vor dem Eingang wird weiter stehen, bis zum 13. Mai.    

Gerhard Richter „Panorama“, Neue Nationalgalerie, 
Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin, 12.2.–13.5.2012

Gerhard Richter „Vorhang III“, 1965, Staatliche Museen zu Berlin (© Nationalgalerie © Gerhard Richter, 2012)
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